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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0088

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einst davon eingenommene, nun sorgfältig mit Reben beflanzte Raum, mahnen ernstlich
an die Wandelbarkeit aller irdischen Einrichtungen.

Die Fenster auf dem 27. und 30. Blatte bieten ebenso, wie die vorhergehenden,
eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit dar. Betrachten wir zuerst

das dritte Fenster in der linken Abseite ,

welches auf diesem Blatte völlig ausgeführt erscheint; das Urtheil Saloraons ist darin auf
eine ganz eigentümliche Weise dargestellt, und noch ziemlich wohl erhalten. Die über

den Figuren angebrachte Schrift ist vollkommen dem Zeitalter angemessen: „.....das

erste Buch te Kunig Salmons"; blos vor dem Worte „das" fehlt ein Stückchen, welches
durch ein Wort schwer zu ergänzen wäre. Zeugt aber die Zeichnung dieser Figuren
gerade nicht von grosser Meisterschaft, so ist doch die sinnige Zusammenstellung der-
selben zu berücksichtigen. In der ersten Abtheilung links sehen wir den König auf
einem Stuhle ohne Lehne, im königlichen Purpur mit Krone und Scepter sitzen, durch
die Bewegung der Rechten den Ausspruch seines Urtheils andeutend. Vor ihm in der
zweiten Abtheilung kniet in bittender Stellung, mit gefalteten, aufgehobenen Händen die
wahre Mutter des Kindes, welches von ihrer betrügerischen Hausgenossinn in Anspruch
genommen wird. Hinter derselben in der dritten Abtheilung sehen wir dann den Scharf-
richter; er soll das streitige Kind nach dem Ausspruche des Königes in zwei Hälften
theilen; doch hat er nicht, wie in so vielen Darstellungen neuerer Zeit, besonders aus
der Schule von Rubens, das Kind grausam an einem Beine gefasst und das Schwert
zur grässlichen Ausführung des Befehles erhoben, welches ohnehin eine unnatürliche
Action ist, da auf diese Art das Kind zwar zerhauen, schwerlich aber wohl in zwei
gleiche Hälften g'etheilt werden könnte; er steht hier vielmehr zögernd da, den fragenden
Blick auf den König gerichtet, und hält das Kind mit zarter Schonung auf dem Arme.
Dieses aber ahmt, mit seinen kleinen Händchen die bittende Stellung der Mutter nach
und beurkundet sich auch selbst dadurch als ihr leibliches Kind; denn die bittende
Fremde würde es wohl nicht zu dieser Stellung vermögt haben.

Die anmassliche falsche Mutter, im Begriffe ihre Einwilligung in die grausame
Theilung des Kindes zu geben, füllt sodann stehend die vierte Abtheilung aus. Der
Leichnam des erdrückten Kindes aber ist, als überflüssig bei dieser Verhandlung weg-
gelassen, da der Tod desselben constatirt ist, und der König mit einem so unangenehmen
Anblicke schicklicherweise verschont werden muss. Mit der imaginär geformten Ar-
chitectur von Thürinchen und Zinnen von regelloser Gestalt über den Figuren, scheint
 
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