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Müller, Franz Hubert
Die St. Catharinenkirche zu Oppenheim: Ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert. Geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndem Texte versehen. Mit 24 Kupferplatten Imperialfolio ([Hauptbd.]) — Darmstadt, 1836

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https://doi.org/10.11588/diglit.18725#0044

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unteren Hauptpfeiler links, mit grossen, mohnartigen Blättern geziert. Darauf folgen in
der Mitte zwei Tragsteine für Bildsäulen, der mittlere von vorne genommen, ist mit
Epheu umrankt, an dem obersten Pfeiler des Langhauses zur rechten Seite angebracht;
der zweite Tragstein aber, welcher mit Massholder auf das zierlichste umwachsen ist,
befindet sich an dem unteren Hauptpfeiler ebenfalls rechts der Mitte des Kreuzes zuge-
wendet; beide sind auf dem Längendurchschnitte leicht zu finden, indem auf ersterein
der Apostel Paulus und auf dem anderen die heilige Jungfrau mit dem Kinde ergänzend
aufgestellt ist. In der unteren Reihe des Blattes blieb mir nun noch so viel Platz, um
zwei Schlusssteine aus den noch erhaltenen Seitengewölben der linken Abseite und zwei
dazu gehörige Knäufchen anzubringen. Der erste dieser Schlusssteine, aus der obersten
Abtheilung, stellt eine völlig entfaltete Blume, einer Rose gleich, mit den Staubfäden in
der Mitte dar, der zweite aber ist wieder mit Eichenlaub verziert. Aehnlieh diesen
sind noch zwei andere Schlusssteine in dem Gewölbe der linken Abseite, sie sind in
.der perspectivischen Zeichnung angedeutet. Die Knäufchen aber sind von den wenigen
noch erhaltenen in der linken Abseite genommen; die vorzügliche Zierlichkeit ihrer Form
eignet sie mit Recht zum Studium für junge Künstler, und es wäre zu wünschen, dass
sie mit noch einigen anderen in Gyps gegossen würden und so auch an anderen Orten
benutzt werden könnten. Eines derselben ist ebenfalls wieder mit Eichenlaub, das andere
aber mit einem Blatte mit flachem Stengel verziert, welches mir eine veredelte, an einer
Quelle allenfalls üppig entfaltete Steinmoosart zu sein scheint, denn Blätter und Stengel
sind platt und schmiegen sich dicht an die Glocke des Knaufes an. Diese Zeichnungen
habe ich übrigens aus dem Grunde perspectivisch gegeben, weil ihre Darstellung, welche
bloss auf das freie Auge berechnet ist, in geometrischer Forin eine unvollkommene Wir-
kung hervorgebracht haben würde und noch in der Construction obendrein sehr schwierig
gewesen wäre.

Der denkende Künstler wird nun hierdurch den Weg angedeutet sehen, auf welchem
ihm die Natur in so vielen lieblichen Baumzweigen, Stauden und Kräutern, Blumen und
Früchten eine unversiegbare Quelle zu immer neuen Erfindungen darbietet. Auch die
Griechen, diese hohen Meister der Plastik, schöpften aus der Natur die Muster zu ihren
Verzierungen, wie unter Anderem das corinthische Capitäl beweiset, dessen Verzierung
Vitruv, wie bekannt, ebenfalls von dem zufällio-en Umwachsen eines Körbchens mit den
Blättern des Acanthus herleitet. Viele der antiken Verzierungen sind daher von grosser
Feinheit und im reinsten Geschmacke, und wären desshalb, da sie noch ausserdem die
vollendetste Ausführung in Marmor haben, als Muster zum Studium für den Künstler zu
empfehlen, wenn er dazu irgend eines anderen Vorbildes als dessen der Natur selbst
bedürfte. Auch hat die Nachbildung der antiken Verzierungen in neueren Zeiten nicht
immer einen vortheilhaften Erfolg gehabt, weil man sich aus Ueberschätzung der Kunst
 
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