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Münchner kunsttechnische Bläu er.

Nr 22

sicht konzentriert erschien, und auf diese Weise
der Beschauer gezwungen wurde, den Blick nur
auf diesen Teil des Bildes zu richten.
Dieses Malsystem bot Lenbach aber noch
einen grossen Vorteil: das Gemälde erhielt
damit etwas Altmeisterliches. Schon die
Transparenz der nur mit Lasuren behandelten
Teile des Fleisches, des Hintergrundes, kam diesem
Etfekt sehr zu statten, und Lenbach liebte es,
diesen Eindruck zu steigern, ja er hat mit Vor-
bedacht auf das altmeisterliche Aussehen seiner
Werke hingearbeitet.
Wir kommen damit auf einen Umstand zu
sprechen, der nicht übergangen werden kann,
nämlich auf die fast zur Manie ausgeartete Vor-
liebe für den Altmeister-Ton und die ihm über
alles wertvolle sog. Patina.
Lenbach hatte durch seine Vorliebe für alte
Kunst, für alles, was mit dem Reiz des Alter-
tümlichen ausgestattet ist, sei es für Gewebe,
Gobelins, Möbel und die vielen Kostbarkeiten
des Antiquars, sich so sehr an das „Zauberhafte"
dieser Dinge gewöhnt, dass für sein Auge (und
er verliess sich ausschliesslich auf dieses) nur
das angenehm erschien, was alle Zeichen des
Alters aufwies oder wenigstens der äusseren Er-
scheinung desselben nahe kam. Erst dadurch
erhielt ein Gegenstand für ihn Wert, dass er alt
aussah! Er füllte die Prunkräume seines Atelier-
hauses mit alten Werken aller Art, mit alten
Gemälden, Schnitzereien, Statuen usw., die mit
ihren verblassten Tönen eine Augenweide für
ihn waren, und so gewöhnte er sich derart daran,
dass ihm etwas Neues direkt unerträglich vorkam.
ln solche Umgebung passte auch kaum ein Ge-
mälde neuerer Art, und Lenbach zauderte auch
nicht, auf seine Bilder die unter diesen Umständen
nötige „Patina" als Schlusslasur aufzumalen. Das
war zweifellos ein grosser Fehler, denn die echte
Patina ist das Ergebnis einer jahrelangen Ein-
wirkung, die sich bei Bildern durch den goldigen
Gesamtton kenntlich macht, während Lenbach
diese Patina mit auf seine Bilder malte, ihnen
damit also den Anschein des hohen Alters gab,
den sie eigentlich erst nach Verlaut von zwei
bis drei Jahrhunderten erreichen sollten. Wie
viele herrliche Werke dieser Patina-Manie ge-
opfert worden sind, lässt sich schwer ermessen,
es wird sich der Schaden aber schon bald be-
merkbar machen, weil die mit der künstlichen
„Altmeistersauce" überzogenen Bilder mit der
Zeit wirkliche „Patina" ansetzen, d. h. selbst nach-
dunkeln und alle anderen Alterszeichen annehmen
werden; sie werden dann bald noch älter aus-
sehen, als die Vorbilder je gewesen sind.
Mit dieser „Altertümelei" stand Lenbach nicht
allein. Sie ist wohl die tonangebende Richtung
der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ge-

wesen und eine Folge der sog. Pseudo-Renaissance,
die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, mit
der Romantik und Gotik beginnend, über alle
Stilarten weitergehend, bei der Biedermeierei
endete. Die allgemeine Begeisterung für die
Werke der Alten gelegentlich der ersten Kunst-
gewerbe-Ausstellung im Jahre 1876 zeitigte den
Trieb, alles durch die Augen des Altertumsfreundes
zu sehen, und keine Zeit war vielleicht so emp-
fänglich wie die des Aufschwungs nach dem
grossen Kriege 1870. Der Lenbachsche Freundes-
kreis, an der Spitze der geniale Lorenz Gedon,
die beiden Seitz, Gabriel Seidl u. a., traten an
die Spitze der Bewegung, die bald um sich griff
und sowohl in der Architektur als auch im üb-
rigen Kunstgewerbe die Nachahmung der alten
Formen auf ihre Fahne schrieb. Das wäre alles
nicht so schlimm, denn auch diese Zeit musste
überwunden werden, das ärgste war, dass man
durch die Not der beschränkten Mittel oder durch
die unvermeidliche Eile der Ausführung dazu ge-
langte, dem äusseren Schein allzu grosse Kon-
zessionen zu machen. Statt des echten Materials
kam das Surrogat, statt des Stucko kam der
Gips, und die Rabitzwände täuschten über die
mangelnden echten Wölbungen. Auf Material-
echtheit, dieser neuzeitlichen Forderung auf dem
Gebiete der Kunst und des Gewerbes, hat man
damals weniger Wert gelegt, wenn das Ganze
nur gut „ausgesehen" und vor allem einen „echten"
antiken Gesamteindruck gemacht hat, wenn das
Auge befriedigt war, das war die Hauptsache.
(Fortsetzung folgt.)
Was soll der Künstler, der Maler,
von der Chemie wissen?
Eine Einleitung zur Malmaterialkunde
von Georg Büchner. (3. Fortsetzg.)
Und geradeso, wie man eine übersättigte, metastabile
Salzlösung oder überkaltetes Wasser durch Impfung
mit einem Salz- bzw. Eiskriställchen zwingen kann, in
den bei der betreffenden Temperatur stabilen Gleich-
gewichtszustand überzugehen, kann das weisse Zinn,
das sich unter seiner Umwandlungstemperatur von
:8,5" C ebenfalls im metastabilen Gleichgewicht be-
findet, zum Uebergang in die stabile Zustandsform des
„grauen" Zinns veranlasst werden, indem man es mit
einem Kriställchen dieser Form in Berührung lässt. Auf
Grund der Unteisuchungen von Cohen, dem wir diese
Aufklärungen verdanken, hat sich überhaupt die inter-
essante und wichtige Tatsache ergeben, dass die Me-
talle, wie wir sie heute kennen und technisch verwenden,
metastabile Gebilde sind, die stets zu gleicher Zeit
mehrere allotrope Modifikationen oder Zustandsformen
nebeneinander enthalten. Deshalb befinden sich die
Metalle bei den Temperaturen, die im gewöhnlichen
Leben herrschen, nicht im stabilen Gleichgewichte und
zerfallen auf die Dauer.
Es hat sich das Bestehen eines allgemeinen Natur-
geschehens herausgestellt, indem bei einer Umwandlung
einer Zustandsform eines Stoffes in eine andere zunächst
nicht die Form entsteht, welche die beständigste ist,
 
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