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Nr. 22.

Münchner kunsttechnische Blätter.

roi

sondern es entstehen zunächst solche Formen, die zwar
beständiger sind ais die verlassenen, aber unter den
möglichen beständigen Formen gerade die wenigst be-
ständigen darstellen (Stufenreaktionen — W. Ostwald).
So verdichtet sich, wie ich bereits ausführte , der
dampfförmige Phosphorzuerst stets in der unbeständigen,
metastabilen Form des weissen Phosphors,
Bei diesen Aenderungen der Zustandsform der
mehrformigen Stoffe tritt stets auch eine Aenderung
ihres Energieinhaltes ein; so ist der rote Phosphor
energieärmer als der weisse Phosphor, denn bei der
Umwandlung des letzteren in den ersteren wird eine
Wärmemenge von 3710 Kalorien für ein Grammatom
frei; ebenso ist ja auch eine über eine Stufenleiter
herabrollende Kugel auf dem Boden angelangt energie-
ärmer als oben.
Also Phosphor weiss 2*-*- Phosphor rot -)- Arbeit.
Es gibt Stoffe, bei denen ein prompter Uebergangspunkt
von der einen Zustandsform in die andere existiert,
und solche, bei denen nur eine beständige und eine
oder mehrere unbeständige Formen Vorkommen. Wenn
es nach diesen Erörterungen unter gegebenen Umständen
immer nur eine beständige Form gibt, so müssten wir
in der Natur nur diese Form ßnden; in der Tat aber
kommen in der Natur, z. B. unter den Mineralien, viele
polymorphe Formen vor, deren Individuen sicher oft
Gelegenheit zur Berührung mit den Keimen oder
Kriställchen der anderen Form gehabt haben, z. B.
Kalkspat und Arragonit, welch letzterer bei Rotglut in
den ersteren übergeht. In der Natur muss also die
Geschwindigkeit des Ueberganges der einen Zustands-
form in die andere eine äusserst geringe sein. Bei
diesen Zustandsänderungen spielen die sog.
Ueberschreitungen oder Verzögerungserscheinungen
eine grosse Rolle. Es handelt sich darum, dass auch
solche Formen, die unter gegebenen Umständen unbe-
ständig sind, dennoch sehr lange bestehen können und
sich auch in Berührung mit der beständigen Form sehr
langsam umwandeln. Hierdurch ist es möglich, dass
wir derartige unbeständige Formen vielfach beobachten
können, ohne dass ihre Unbeständigkeit zutage tritt.
So kennt man drei feste Formen des Elementes
„Kohlenstoff", nämlich den Diamant, den Graphit und
die Kohle, ohne dass zwei dieser Zustandsformen die
Tendenz zeigen, zugunsten der dritten zu verschwinden.
Die Aenderung der Zustands form fester Stoffe
ohne weitere chemische Veränderung ist eine viel
häufigere Erscheinung als bekannt und gewöhnlich be-
achtet wird. Zunächst sind selbstverständlich die
Vorgänge bekannt geworden, die auffallend, z. B. durch
Farbenänderung, in die Erscheinung treten; aber auch
für manche farblose Salze, z. B. Ammoniumnitrat,
Natriumazetat u. a., sind derartige Zustandsänderungen
bekannt und untersucht worden, bei denen, abgesehen
vom Energieinhalt, bei einer gewissen Temperatur nur
die Kristallform verändert wird.
Nun einige Beispiele von mehrformigen, zu-
sammengesetzten Stoffen, sog. chemischen
Verbindungen. Es sind zwei Formen des aus einem
Atom Quecksilber und zwei Atomen Jod bestehenden
Quecksilberjodids (Hgjg) bekannt. Eine rote, die tetra-
gonal ist und eine gelbe, rhombische. Wird das rote
Quecksilberjodid erwärmt, so verwandelt es sich bei
Ueberschreitung des Umwandlungspunktes in die gelbe
Modifikation. Wird die gelbe Zustandsform abgekühlt,
so erfolgt Rückbildung der roten Form.
Quecksilberjodid rot ^ Quecksilberjodid gelb.
Der Umwandlungspunkt liegt prompt bei 126" C.
Oberhalb wandelt sich das rote Jodid in die gelbe
Form, unterhalb dieser Temperatur umgekehrt die gelbe
Zustandsform in die rote um. Auch hier findet man
die Ueberschreitungserscheinung, den metastabilen
Zustand. Denn kühlt man das in einem Reagenzglas

geschmolzene und erstarrte gelbe Quecksilberjodid vor-
sichtig unter 126° C ab, und zwar unter Ausschluss von
Kriställchen der roten Modifikation, so bleibt die gelbe
Modifikation auch unterhalb 126° C bestehen, jedoch
im metastabilen Zustand. Zusatz einer Spur der roten
Form oder Ritzen mit einem Glasstab ruft die sichtbare
allmähliche Umwandlung in die rote Form hervor.
Dieses schöne und mühelos leicht an-
zustellende Experiment ist so instruktiv für
die Begriffsbildung der so wichtigenZustands-
änderungen ohne weitere stoffliche oder
chemische Veränderung, dass es bei Ein-
führungen in die Malmaterialkunde vor allem
vorgeführt werden sollte.
Uebrigens wird das gelbe Quecksilberjodid, das
man erhält, wenn die farblose, alkoholische Lösung des
roten Jodids ins Wasser gegossen wird, schon durch
Belichtung in die rote Modifikation übergeführt. Es
ist das auch ein instruktives Beispiel dafür, wie das
Licht derartige Zustandsänderungen, also die Ueber-
führung polymorpher Stoffe ineinander, bewirken kann.
Ich komme später hierauf nochmals zurück. Ein weiteres
leicht auszuführendes Experiment als Beispiel eines
Stoffes, dessen beide Modifikationen beim Passieren des
Umwandlungspunktes schnell ineinander übergehen,
während das bei vielen anderen Stoffen langsam erst
im Laufe der Zeit geschieht, lässt sich wie folgt aus-
führen mit dem Doppelsalz Kupferjodür-Quecksilber-
jodid. Dieses Salz stellt einen roten Stoff dar. Am
besten verreibt man diesen Stoff mit etwas Gummi-
lösung und bestreicht damit Papier. Nach dem Trocknen
an der Luft tritt schon bei schwachem Erwärmen
braunschwarzer Farbenumschlag ein; beim Erkalten
schneller Rückgang in Rot. Aehnlich verhält sich das
Quecksilber-Silberjodid, dessen gelbe Zustandsform
beim Erwärmen auf ca. 40° C in die orangegelbe Form
übergeht, beim Erkalten blitzschnell in den gelben
Zustand zurückkehrt.
Bei allen Modifikations-oder Zustandsände-
rungen, die ein Stoff erfährt, ändern sich auch seine
physikalischen Eigenschaften, zumeist auch, was für den
Maler im Vordergrund seines Interesses steht, seine
Farbe. Letztere steht ja in einem engen Zusammen-
hang mit der inneren Struktur, dem atomistischen und
molekularen Aufbau der Stoffe. Hierüber liefert die
moderne Photochemie bemerkenswerte Aufschlüsse,
über die ich mich hier nicht näher verbreiten kann.
Wenn also eine Zustandsänderung eines Stoffes meist,
aber nicht immer in einer Farbenänderung sich äussert,
so ist umgekehrt eine Farbenwandlung stets durch eine
Zustandsänderung bedingt.
Bezüglich der Zustandsänderungen sind auch
viele Schwefelverbindungen (Sulfide), so z. B. das
Arsentrisulßd, Antimontrisulßd, Quecksilbersulfid (Zinn-
ober), Kadmiumsulfid, bemerkenswert; für den Maler
haben nur die letzteren Bedeutung. Das Queck-
silbersulfid erscheint bei chemisch gleicher Zusam-
mensetzung des Moleküls (= i Atom Quecksilber
und i Atom Schwefe!) in zwei verschiedenen Zustands-
formen, einer schwarzen und einer roten. Erstere Form
bildet das Mineral Metacinnabarit, letztere Form den
roten Zinnober. Während nun zweifellos dem ganzen
Verhalten nach die schwarze Form die unbeständigere,
die rote die beständigere ist, da erste leicht in letztere
umgewandelt werden kann, so ist doch gegenüber der
Lichteinwirkung das Verhalten gerade umgekehrt, indem
das rote Quecksilbersulfid, der Zinnober (nicht alle Sorten
desselben verhalten sich gleich), unter dem Einfluss
der strahlenden Energie in die schwarze Zustandsform
übergeht. Eine ganz besondere Stellung nimmt das
Kadmiumsulfid (=Schwefelkadmium —Kadmium-
gelb) ein, welches, abgesehen von seiner kolloidalen
Zustandsform, in einer gelben ^-Modifikation und einer
 
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