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C. Praschniker, Die Prokne-Gruppe der Akropolis
langhinziehende, wie geknittert aussehende Falten dargestellt wird, genau wie —
allerdings in viel weiterem Ausmaß — an der eben erwähnten Aphrodite.
Ich möchte hier vom Inhaltlichen der Darstellung ganz absehen und nur fest-
stellen, daß mir Fougeres Erklärung, der auf Grund des links von der Frau
sichtbaren Palmbaums in der Stele ein Votiv an die Göttin Leto erblickt und in
der dargestellten Frau, die als Attribut eine Leber in der linken Hand trägt, eine
Priesterin dieser Gottheit sieht, alle Wahrscheinlichkeit für sich zu haben scheint.
Die Deutung wird auch nahegelegt durch die Nachricht des Pausanias VIII 9, 1,
daß Leto in Verein mit ihren Kindern in Mantineia einen Tempel besessen habe,
dessen Kultbilder Werke des Praxiteles waren. Von ihrer Basis stammen die
bekannten Musenreliefs im Athener Nationalmuseum. Nun muß aber der Tempel
viel älter gewesen sein als diese. Pausanias beschreibt ihn als Doppeltempel, κατά
μέσον τοίχω διειργόμενος. Die eine Hälfte hätte der Leto und ihren Kindern gehört,
die andere dem Asklepios; dessen Kultbild aber war bekanntlich ein Werk des
Alkamenes, der es zwischen 420 und 418 geschaffen haben muß (Reisch, Eranos
Vindobonensis 21). Mit dem Relief kommen wir ungefähr in dieselbe Zeit, und
wenn man dann die Ähnlichkeit mit der vermutlich von Alkamenes gefertigten
Prokne in Betracht zieht, wird man sich mit Berechtigung- die Frage vorlegen,
ob wir das Relief nicht mit diesem Meister in Zusammenhang bringen dürfen.
Ich wenigstens möchte eher diese Frage bejahen als Fougeres zustimmen, für
den das Relief seinem ganzen Charakter nach auf dorischen Ursprung hinweist
und das Werk eines einheimischen Künstlers darstellt. Natürlich soll nicht be-
hauptet xverden, daß wir in dem Relief ein Werk von der Hand des Alkamenes
besitzen. Aber aus seinem Atelier mag es wohl stammen.
In meinen Notizen über das Relief finde ich die Angabe, daß der Marmor
desselben nicht, wie Fougeres meint, der einheimisch-arkadische, sondern pen-
telischer zu sein scheine. Ich kann das jetzt nicht nachprüfen; wäre die Beobachtung
zutreffend, so läge darin ein Beweis für die Richtigkeit unserer Vermutung.
Wien, Februar 1914.
CAMILLO PRASCHNIKER
C. Praschniker, Die Prokne-Gruppe der Akropolis
langhinziehende, wie geknittert aussehende Falten dargestellt wird, genau wie —
allerdings in viel weiterem Ausmaß — an der eben erwähnten Aphrodite.
Ich möchte hier vom Inhaltlichen der Darstellung ganz absehen und nur fest-
stellen, daß mir Fougeres Erklärung, der auf Grund des links von der Frau
sichtbaren Palmbaums in der Stele ein Votiv an die Göttin Leto erblickt und in
der dargestellten Frau, die als Attribut eine Leber in der linken Hand trägt, eine
Priesterin dieser Gottheit sieht, alle Wahrscheinlichkeit für sich zu haben scheint.
Die Deutung wird auch nahegelegt durch die Nachricht des Pausanias VIII 9, 1,
daß Leto in Verein mit ihren Kindern in Mantineia einen Tempel besessen habe,
dessen Kultbilder Werke des Praxiteles waren. Von ihrer Basis stammen die
bekannten Musenreliefs im Athener Nationalmuseum. Nun muß aber der Tempel
viel älter gewesen sein als diese. Pausanias beschreibt ihn als Doppeltempel, κατά
μέσον τοίχω διειργόμενος. Die eine Hälfte hätte der Leto und ihren Kindern gehört,
die andere dem Asklepios; dessen Kultbild aber war bekanntlich ein Werk des
Alkamenes, der es zwischen 420 und 418 geschaffen haben muß (Reisch, Eranos
Vindobonensis 21). Mit dem Relief kommen wir ungefähr in dieselbe Zeit, und
wenn man dann die Ähnlichkeit mit der vermutlich von Alkamenes gefertigten
Prokne in Betracht zieht, wird man sich mit Berechtigung- die Frage vorlegen,
ob wir das Relief nicht mit diesem Meister in Zusammenhang bringen dürfen.
Ich wenigstens möchte eher diese Frage bejahen als Fougeres zustimmen, für
den das Relief seinem ganzen Charakter nach auf dorischen Ursprung hinweist
und das Werk eines einheimischen Künstlers darstellt. Natürlich soll nicht be-
hauptet xverden, daß wir in dem Relief ein Werk von der Hand des Alkamenes
besitzen. Aber aus seinem Atelier mag es wohl stammen.
In meinen Notizen über das Relief finde ich die Angabe, daß der Marmor
desselben nicht, wie Fougeres meint, der einheimisch-arkadische, sondern pen-
telischer zu sein scheine. Ich kann das jetzt nicht nachprüfen; wäre die Beobachtung
zutreffend, so läge darin ein Beweis für die Richtigkeit unserer Vermutung.
Wien, Februar 1914.
CAMILLO PRASCHNIKER