H. Thiersch, Gefesselte Hera
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übrig, als an eine an der Armlehne angebrachte
Palmette zu denken. Die Form ist genau so gezeichnet,
wie sie in Wirklichkeit erscheint. Freilich mag die
Kontur oben im Gedanken an Palmettenblätter ein
klein rvenig schärfer gegeben sein, als es wirklich
der Fall ist.“
Daß und warum an eine vordere Verzierung der
seitlichen Thronlehne aber doch nicht gedacht sein
22 : Hera auf der Fran^oisvase.
(Nach Furtwängler-Reichhold, Griech. Vasenmalerei I Taf. 12.)
kann bei dem, was über Heras Oberschenkeln zu sehen
ist, hat Reichhold selbst erkannt. Gezeichnet und
gemalt ist deutlich ein großer dicker weißerKnäuel mit
unregelmäßig rundlicher Kontur, zweifellos ein großer,
mehrfach in sich selbst verschlungener Knoten. Von
ihm geht ein schmales Band aus, das wie ein Gurt die
Oberschenkel der Göttin überspannt, aber nur zu
einem ganz kleinen Teil sichtbar ist, in dem kurzen
(bei Reichhold schwarzen) Stück, das unterhalb des
Knotens zu der vorderen Ecke der Seitenlehne
herüberzieht, mit dieser wohl irgendwie verbunden
gedacht, wenn das Weitere auch unter dem überge-
hängten Streifentuche nicht mehr sichtbar ist.
Von diesem großen Knoten hat die ältere Ab-
bildung klon. IV, 56/7 gar nichts, die Michaleks, Wiener
Vorlegeblätter 1888, T. 3, nur eine schwache An-
deutung in Form eines unverstandenen Spiralschnörkels
über dem vorderen Ende der Armlehne gegeben.
L. A. Milani, den ich— ohne ihm zunächst meine Ver-
mutung auszusprechen — bat, das Original an dieser
Stelle genau zu untersuchen, hat meine Ahnung vollauf
bestätigt. Er schreibt mir: „Secondo la mia analisi si
tratta di un groviglio di ceppi a maglia. II
disegno del Reichhold risulta inesatto essendo la
superficie in questo punto scrostata ed il color
bianco molto discutabile. Al mio modo di vedere non
si avrebbe dunque, ne un vero o proprio pomo orna-
mentale del trono, ne un ciuffo di veste, ma sempli-
cemente i ceppi feciali dei vincoli ehe legano
Hera ai bracciali del trono.“1)
Hier ist also eine deutlich den Sitz der ganzen
Quere nach überspannende starke Fessel gemeint, die
mit ihrem mächtigen unlösbaren Knoten in der Mitte die
Unmöglichkeit jedes Aufstehens oder Entfliehens dra-
stisch ad oculos demonstrieren soll. Die Handbewegung
Heras bekommt dadurch einen Ausdruck der Hilf-
losigkeit, der bei der bisherigen Auffassung entweder
übersehen oder als „freudige Grußbewegung“ mißver-
standen werden konnte2). Die zuletzt noch von Eitrem
bei Pauly-Wissowa VIII, 345 und 360 mit verdop-
peltem Nachdruck ausgesprochene Behauptung, die
Fesseln der Hera auf der Fran^oisvase seien nicht
dargestellt, ist also gerade in ihr Gegenteil umzuwandeln.
Da das Thema von Heras Entfesselung in der
archaisch griechischen Kunst beliebt gewesen sein
muß (Paus. III, 17, 3 im Tempel der Athena Clialki-
J) Leider war ich nicht so glücklich, auch eine
neue genauere Detailaufnahme zu bekommen.
2) Den richigen Sachverhalt hatte Weizäcker
(Rhein. Mus. 33, 367) geahnt, war aber durch die
damalige ungenügende Abbildung irregeführt worden.
Er hatte sich die Gestalt der Hera auf Fesseln hin an-
gesehen, hatte genau erkannt, daß an den Armen nichts
derart sichtbar ist, und sprach darum ebenfalls von
„geheimen“ Fesseln. Doch sah er richtig die unge-
lenke Bewegung beider Hände „welche sie scheinbar
nicht von der Armlehne zu erheben vermag“. In Un-
geduld, meinte er, erwarte die Göttin ihre Befreiung.
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übrig, als an eine an der Armlehne angebrachte
Palmette zu denken. Die Form ist genau so gezeichnet,
wie sie in Wirklichkeit erscheint. Freilich mag die
Kontur oben im Gedanken an Palmettenblätter ein
klein rvenig schärfer gegeben sein, als es wirklich
der Fall ist.“
Daß und warum an eine vordere Verzierung der
seitlichen Thronlehne aber doch nicht gedacht sein
22 : Hera auf der Fran^oisvase.
(Nach Furtwängler-Reichhold, Griech. Vasenmalerei I Taf. 12.)
kann bei dem, was über Heras Oberschenkeln zu sehen
ist, hat Reichhold selbst erkannt. Gezeichnet und
gemalt ist deutlich ein großer dicker weißerKnäuel mit
unregelmäßig rundlicher Kontur, zweifellos ein großer,
mehrfach in sich selbst verschlungener Knoten. Von
ihm geht ein schmales Band aus, das wie ein Gurt die
Oberschenkel der Göttin überspannt, aber nur zu
einem ganz kleinen Teil sichtbar ist, in dem kurzen
(bei Reichhold schwarzen) Stück, das unterhalb des
Knotens zu der vorderen Ecke der Seitenlehne
herüberzieht, mit dieser wohl irgendwie verbunden
gedacht, wenn das Weitere auch unter dem überge-
hängten Streifentuche nicht mehr sichtbar ist.
Von diesem großen Knoten hat die ältere Ab-
bildung klon. IV, 56/7 gar nichts, die Michaleks, Wiener
Vorlegeblätter 1888, T. 3, nur eine schwache An-
deutung in Form eines unverstandenen Spiralschnörkels
über dem vorderen Ende der Armlehne gegeben.
L. A. Milani, den ich— ohne ihm zunächst meine Ver-
mutung auszusprechen — bat, das Original an dieser
Stelle genau zu untersuchen, hat meine Ahnung vollauf
bestätigt. Er schreibt mir: „Secondo la mia analisi si
tratta di un groviglio di ceppi a maglia. II
disegno del Reichhold risulta inesatto essendo la
superficie in questo punto scrostata ed il color
bianco molto discutabile. Al mio modo di vedere non
si avrebbe dunque, ne un vero o proprio pomo orna-
mentale del trono, ne un ciuffo di veste, ma sempli-
cemente i ceppi feciali dei vincoli ehe legano
Hera ai bracciali del trono.“1)
Hier ist also eine deutlich den Sitz der ganzen
Quere nach überspannende starke Fessel gemeint, die
mit ihrem mächtigen unlösbaren Knoten in der Mitte die
Unmöglichkeit jedes Aufstehens oder Entfliehens dra-
stisch ad oculos demonstrieren soll. Die Handbewegung
Heras bekommt dadurch einen Ausdruck der Hilf-
losigkeit, der bei der bisherigen Auffassung entweder
übersehen oder als „freudige Grußbewegung“ mißver-
standen werden konnte2). Die zuletzt noch von Eitrem
bei Pauly-Wissowa VIII, 345 und 360 mit verdop-
peltem Nachdruck ausgesprochene Behauptung, die
Fesseln der Hera auf der Fran^oisvase seien nicht
dargestellt, ist also gerade in ihr Gegenteil umzuwandeln.
Da das Thema von Heras Entfesselung in der
archaisch griechischen Kunst beliebt gewesen sein
muß (Paus. III, 17, 3 im Tempel der Athena Clialki-
J) Leider war ich nicht so glücklich, auch eine
neue genauere Detailaufnahme zu bekommen.
2) Den richigen Sachverhalt hatte Weizäcker
(Rhein. Mus. 33, 367) geahnt, war aber durch die
damalige ungenügende Abbildung irregeführt worden.
Er hatte sich die Gestalt der Hera auf Fesseln hin an-
gesehen, hatte genau erkannt, daß an den Armen nichts
derart sichtbar ist, und sprach darum ebenfalls von
„geheimen“ Fesseln. Doch sah er richtig die unge-
lenke Bewegung beider Hände „welche sie scheinbar
nicht von der Armlehne zu erheben vermag“. In Un-
geduld, meinte er, erwarte die Göttin ihre Befreiung.