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Pfälzer Bote für Stadt und Land (29) — 1894

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Nr. 271 - Nr. 280 (28. November - 8. Dezember)
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richeint Lägli mit Ausnabme der Sonnz u. Zeiertage

Brei8 vierteljährlih . 1.20 45 Trägerlohn u. Boit-

wiſchlas DBeltellungen bei den Noſtanffalten u. bei der
Exvedilion Zwingerlirake 7.

_ Medalteur: Iof. Cremerius, Hauptiir. 121, Heidelberg.



für Start



— —
erbach, Sinsheim, Chbingen, Weinheim, Schwegin
gen, Wiesloch, Bruchjal, Bretten, Mosba , Buchen,

— Tauberbildhofsheim, Walldirn 7 D



















äeiüelhcru‚ Dienstag, den 4 Dezember 1394.















s Itreifzüge ins Amſturz⸗Gebiet.

Ein in der letzten Zeit erſt ſo xecht in Mode
ckommenes u. von den Zeitungsmenſchen ſawie allen
olitifern gern gebrauchtes Wort nennt fih „Umfturz“.
Man findet jhon ſeit Monaten kem Zeitungsblatt
Mehr, in deſſen Spalten ſich nicht dieſes dumme
Vort furchtbar breit machte. Daſſelbe gehärdet ſich
wahrHaftig, als wenn ſich um den Umſturz die ganze
Weit drehte. Freilich hat dieſes einfältige Wort
uch wohl recht etwas ſtolz und hochmüthig einher-
uſchreiten, denn das dumme Ding hat ſchon Unheil
enug in Deutſchland augerichtet. Am wunderharſten
{t nur, daß der Umſturz gerade an den Stellen ſo
Umftürzlerijch gewirft hat, von wo aus man gegen
en Umſturz zu Felde ziehen will. Der Umſturz bei









el ſchlimmer iſt als der Kobold des badiſchen Amts-
erkündigerthums. Jener Kobold iſt überall und

wagen aus dem Geleiſe zu werfen droht. So iſt
man beſonders in Berlin ſchon ſeit Monaten beſchäf-
igt, beſondere, ſchneidige Waffen gegen dieſen Kobold
u ſchmieden; alles wird mit furdtbarem Getöſe in
Szene gelegt. Das Klirren der Waffen dringt durch
le Zeitunhsſpalten und über alle Meere ı. Länder,
ber merkwürdig — gerade die größten Waffenjhmiede
nd Feldherren gegen dieſen ſchlimmen Buben purzeln
Hon durch ihn, bevor einmal die Waffen fertig ge-
orden ſind und bevor noch die Helden einmal zu
inem Hiebe ausgeholt haben.
Der „Umfturz“ neulich in Berlin am Steuerruder
es Staatsſchiffes mar jo gewaltig, daß nidht allein
er ganze deutſche Schiffskaſten, die große Arche mit
en vielen Staaten und Stäaͤtlein, den großen und
leinen Schmarotzern jeder Art, daͤbon in allen Fugen
rkrachte, ſondern der Krach brachte ſogar die
as Schiff umgehenden Wellen in gelinde Beweg-
Hg und der Wellenſchlag pflanzte ſich fort über
nſere ganze große Erdkugel. Sochſtens hei den
Fkimos, den Hottentotten und den Suͤdſee Inſulanern
ag der Krach nicht verſpürt worden ſein, weil
eſe Naturſeelen noch nicht mit den zarten
erven europaͤiſcher Bildung und Kultur durchzogen
nd. Allen Centrumsleuten, Freiſtauigen u. Demokraten
ber, die bekanntlich an das Vorhandenſein eines
niſturz Koboldes nicht glauben, und deshalb auch
n der Waffenſchmiederei zu dem geplauten Feldzuge
egen den Umſturz ſich nicht betheiligen wollen,
üßte jetzt doch ein Licht aufgehen, ſie müßten be-
— — E — —








greifen, wo der Umſturz wirklich zu Hauſe iſt. Be-
kanntlich geht das Umſtürzen am ſchönſten, wenn der
umzuſtürzende Gegenſtand recht hoch ſteht, weil dann
der Kuall-Effekt ein wirklich impoͤnierender iſt. Da-
rum hat der Kohold des Umſiurzes auch bei dem
höchſten und längſten Giehel im Reiche, dem hoheits-
vollen Reichelanzier, angefangen. Der lange und
ſchwere Giebel hat aber im ümſtürzen gleich einen

ſteine hinweggeriſſen, ſo daß der Rauch und Staub
ſich davon über ganz Deutſchland verbreitete.

Man ſpricht ſo gern und ſo viel über den „Um-
ſturz ven oben! als Gegenſatz zu dem Umſturz da
unten tief in der flachen Ebene Wenn aber von
oben herab das „Umſtürzen“ durch ſolch ſprechende
Beiſpiele gelehrt wird, daͤnn braucht man ſich ſchließ-
lich auch nicht zu wundern, wenn das Volt der
Zwerge in den unteren Regionen das Spiel von oben


wo denn die Leute find, die den Umfturz bekämpfen
und ihn aus der Welt ſchaffen wollen? Weder eine
Eiſenlohr'ſche noch eine Eifenbart'ſche Kur oder Ge-
waltmaßregel kann da helfen; denn bekanntlich
lämpfen gegen die dummen und die böſen Geiſter
ſelbſt die Götter vergebens. Daß der böſe Geiſt des
an allen hervorragenden Stellen
herrſcht, iſt eine nicht mehr fortzuleugnende That-
ſache, da wir ſämmtlichen Reichsbürger ja ſtets darunter
zu leiden haben.

Das „Umftürzen“ iſt eigentlich das einzige, was
bei den ſtets wechſelnden Erſcheinungen in der Welt-
geſchichte „Beftand“ gehabt haͤt, der Umſturz iſt der
größte Hiſtoriker oder Geſchichtoͤſchreiber der Welt und


mit Biut und zwar mit Wenſchenblut verzeichnet hat.
Auch gebraucht der Hiſtoriker „Amfturz“ ſehr gern
das Eiſen ſeit faſt 4 Jahrhunderten aber am
liebſten heißes Eiſen mit Bleizugabe und unter
Zuhilfenahme einer guten Bortion echten unver-
falſchten Feuers. Wirklich Großartiges hat der
Unſturz mit dieſen Mitteln ſchon geleiſtet. — Der erfte
war unſer Ur⸗Ur⸗Großvater
Adam im Paradieſe, der faſt den gleichen Fall ge-
than hat wie jüngſt der große Reichs-Wdam im deut-
ſchen Reichsparadieſe, gewoͤhnlich Reichskanzler ge-
nannt. Wer bei letzterem die Schlange geweſen iſt,
die ſeinen Umſturz herbeigeführt hat, wollen wir hier
nicht unterſuchen Fenem erſten Haupt-Umftürzler
Adam ſind bald darauf ſo viele kleine und große
Umſtürzier nachgefolgt, daß ihre Zahl eine ſchiek un-





5 e ene Gaͤchdruck verboten;

*
Erzählung von Th Küſter.
Da fommt er ſchen rxief nun Lieschen, die Jüngſte
der Familie Achten und zugleih Ddie erflärte Frundin von
ar Gerhard dem ſo jehNnlichit Erwarteten Nach leiſem,
beicheidenem Klopfen, dem ein Dreiftimmiges „Herein !“
late, trat ein ſchlankey hübſcher Knabe von etwa adt
Bimmer. Seine großen, dunkeln Augem ruh-
n, nachdem er freundlich gegrüßt, verlegen auf Marte,
e iOm fremd war Freundlich nickte dieſe ihm zu und
gte: „Dw willit aljo ein Gelehrter mwerden, Mar Ger-
td? — „Nicht wahr, ſo hHeißt Dr ja wohl?“ —
„Sa, Sräulein, ſo heiße ich,” entgegnete der Knabe :
„Qber mit dem Gelchrten hat es noch lange BZeit; ich
Möchte es wohl, allein meine Nuner kann nicht ſo viel
berdienen ; obaleich fie ſo wunderſchone Blumen ſiickt ver-
dient fie doch nicht genug dazu und ich will auch nicht, daß
e immer für mich allein arbeiten ſoll. Ich möchte doch
am Ende lieber ein Handwerk lernen, Ddamit ich der Mut-
ter bald helfen kann, Geld zu verdienen. Ich hHabe es mir
Ddieje Nacht feit vorgenommen, als iM die Mama weinen
hörte und fie mir fagte, fie habe Kopfichmerzen .. .. —
a, KopjiOmerzen !“ wiederholte das Kind mit bitter
Ausdruc, „Die Kopfjchmerzen Kommen von all’ den Sor»
Gen und von dem vielen Hinjehen auf all die bunien
Iumen und ZJarben! Ach wär’ ich doch nur erſt groß,
Saß ich arbeiten Könnte l“ rief Mar traurig.
‚.. „ DaS iſt ja betrübend, lieber, Max,” ſaate WMarie, „Du
bijt aber ein gutes Kind, darum ſei auch nur recht feißig,
danı wirft Du ſchon etwas TüchtigeS lernen, ein braver,
eachteter Mann werden und Deine Mutter wird viel
eude an Dir haben!” — . 4
Marie haite liebevoll zu dem Knaben acſprochen, über
defjen braunlodkiges Haar ſie jebt ſchueichelnd firih. „IchH
Mmöchte der Mutter nur dreude wochen und ſie heiter und
koͤhlich jehen,“ fuhr Mar fort; „aber fie weint falt im»
Mer und i hHabe fie nodh nicht einmal lachen — {o recht
Berzlich Lacdhen jehen, das möcht' ih-jo gern einmal!“ —














will ſo wie ſa bald eine Stickeret anfangen und da könnte
Frau Gerhard mir vielleicht behililih fjein.” — Komm
jeßt mit auf mein Zimmer, Wax,“ fagte Qudwig. „Wir
woͤllen zujammen arbeiten,“ —

Frau Achten — Marie’s Mutter war inzwiſchen
aug in’S Jamilienzimmer gefommen und auch ſie begrüßte
Aa freundlich und xeichte dem Knaben einen jchönen,
rothwangigen Apfel hin. „IB, mein Iunge,“ fagte fie,
Ler wird Dir gut Ihmeden.“ Mar Ddankte freudig, biß
aber nicht in die Ihöne, ſo verführerijch lockende SFrucht,
vndern jagte vajd: „IchH will ihu für Mamna mitnehmen,
ſie ißt gern Obſt. *

„Hier, mein Junge, haſt Du noch ein ganzes Koͤrbchen
voll,“ entgegnete gerührt Fra Achten, „Ddie jollit Du
Deiner Müger bringen, weil Du fo gut und opferwillig

ift.“ Mar Gerhard ging nun vergnügt mit Ludwioͤ

Achten nach defjen Zimmer, um {ih von dieſen in Dden
%Irf\ifangägrünben der lateiniſchen Sprache unterrichten zu
aften.“ —

IL

In einem kleinen Stübchen des Hinterhauſes der Ach-
ten’fden Befigung Jaß Frau SGerhard, Max’s Mutter, über
den Stidrahmen gebengt. Sie jaß ſo von frlih bis {pät,
nur die Kurze Zeit ausgenommen, weldhe die ZJührung
ihre8 fleinen Hauswejens beanipruchte. — Sie war eine
Frau in der Mitte der dreißiger : Fahre, doch die dunfeln


Seitalt war gebeugt, ihrem ganzen Neußern waren die un-
verfennbaren Spuren tiefen Kummers, ſchwerztichen Seelen-

durchlichtig bleich, verriethen indeſſen viel von ehemaliger |
großer Schönheit. . —
Unendliches Mitleid erfaßte Naries Herz, als ſie bei
der arımen Stiderin eintrat und fih ihr Voritellte, Unter
dem Borwandte ſich bei zrau Gerhard ein Muiter füx eine
Stiderei zu erbitten, ſuche {ie die Bekannt{dhaft von Marz
Mutter zu machen welde durch die Art und Weife, wie
der Sohn, über fie gejprochen, des jungen Mabchens





30 werdẽ Deine Mama bejuchen,“ bemerkte Marie; „ich

wärmſtes Intereſſe erregt haͤtte



über den Haufen geworfen hat,
Dentſchlands zulammen während mehrerer Jahrhun-
derte aufrichten konnten. Daͤrum muß man auch mit

(zu denen beſonders auch die
ten zählen), zu den

mangelt, ſoviel über den

Haufen zu werfen, als der
weiland Ober⸗Umſtürzler } ;

Suftavy Adolf.

— oder richtiger:
des Herrn Martinus Luther,

tenbecg. Jedoch iſt e& beſſer,
jumpfige Gehiet des Umſturzes verlaffen, denn ein
Zeitungsſchreiber lann ſehr keicht (
Jußangeln des Reichsſtrafgeſehes hängen bleiben, mit
denen man dieſes Umftnrzgebiet ausgeziert hat.

trieben von den Heidelberger
lern der engliſchen Collegs, die beim Fußballwettſpiel
und dem Kampfe um den „Siegesball“ ſich gegenſei-
tig ebenfalls gern einen „Umſturz“
der Laͤnge nach zu Boden ſtreckeu;

ten. Weit weniger haͤrmlos, ja geradezu unmenſchlich

Dieſe wollen ihre Ehre, welche fie verloren, oder
vielleicht gar nicht beſefſen haben, au
neu erſtehen laſſen,
weiſen Dichters:
Kuinen !“ Vernünftige Leute haben aber noch niemals
eine Ehre für einen Mörder
Blute ſeines im Duell tödtlich verwundeten Geguers
erſtehen ſehen Aus Menſcheublut
mähig vergoſſen wird, ohne daß die
bigleit eolhwehn zu dieſem letzien
eine „Chre“ zu konſtruiren, iſt eine jener verrückten
Ideen, welche man mit Recht eine Tochter der
großen Umſturzidee nennen kann. —
daß dieſe

Nun wiſſen wir aber alle ganz genau,
gerade in jenen Kreiſen ihreu Häuslichen

eiſerne Nothwen-

letztere Idee





Bilte, untexhrechen Sie
Serhard,” ſaate Marie ſchon aleich,
„nung betreten und gejehen, daß die Dame im Begriff
war, fidh ihrethalben zu Derangiren; „ich möchte Sie nicht
jtören, Jondern mir nur ihren Rath erbitten über eine
welche ich zum Gefcheuk für meinen Vater beftimmt

ſie die Wohr

„Ich ſtehe ihnen gern zu Dienſten,
macht mir große Freude,

Q emandem aus Ihrer
dienſthar ſein zu fönnen, .

da ich ſchon ſo viele Freund-

einer Handbemwegung Marie Achten einkud,
men, SOr ganzes Benehmen ließ die Frau von Welt, von
eleganten und diftinguirten Manieren erfennen., Marie

war befangen, ſie halte erwartet,

ein wahres Kuniiwerk zu finden, wie fie e& ANnlich
4 gejehen. Sie fonnte fich des Musrufs nicht
alten:

nie

Frau Gerhard !“ — *
Dieſe lächelte traurig und erwiderte:

„ „Sin Glück. daß ich es kann, Fräulein Achten;
wäre ſonſt aus mir und meinem Knaben geworden ? !“

zu thun, ihr ſeine heißeſten Wäniche zu obpfern. Er



gern {tudiren, aber er geftand uns Heute,

















ſelbſt.

‚ „ U, liebe Frau Gerhard!' rief Marie, „Sie können
nie wirllich unalucklich werden, denn Ihr Mar ift ein-
Sind wie?s. deren wenige gibt; er Liebt jeine Mutter auf '
































































 
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