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Pfälzer Bote für Stadt und Land (30) — 1895

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int täglich mit Ausnahme der Sonn⸗ u. Feiertage
54945 vierkellahrlich Mk. 1.20 1 5 Trägerlohn u. Poſt-
zufſchlag. lungen bei den Poſtanſtalten u. bei der

. pedition Zwingerſtraße 7. .
Redakteur: Jof. Eremer ins, Hauptſtr. 121, Heidelberg.

für Stat



Anzeige⸗Blatt für die Amtsbezirke badelberd,

Eberbach, Sinsheim, Eppingen, Wonen, S w in!

gen, Wiesloch, Bruchſal, Bretten, Mosbach, en.
Tauberbiſchofsheim, Walldürn ꝛc.

Ni. el.

U. Jahrt.

s Etwas über die Eheloſigkeit. In.

Von Politik wollen die Frauen bekanntlich nicht
viel wiſſen, ſie leſen lieber etwas anderes, trotzdem
ſie ſelbſt oft genug ziemlich ausgedehnte „Politik“
treiben, beſonders wenn eine Frau auch Mutter von 5-7
erwachſenen heirathsfähigen Töchtern iſt. Aber das
ſind ja ganz innere Angelegenheiten, wie man ſagt,
und von etwas heiklem Charakter und deshalb —
Schwamm drüber! Dagegen hat die ſog. hohe und
höhere Politik in den letzten zwei Wochen ſolch große

Kreiſe und tiefe Wellen im Meere des öffentlichen In-
tereſſes geworfen, daß alle Zeitungen dadurch bedeu-
tend ins Wanken kamen und wohl oder übel ſich
dieſem Wellenſchlage der Zeit anbequemen mußten. Die
Erregung, welche alle etwas politiſch angelegten Men-
ſchen erfaßt hatte in Folge der jäh hereingebrochenen
Zu⸗ und Umfälle auf der großen Weltbühne beginnt
ſich zu legen; ſchließlich wird das ewige „Miniſter-
ſtürzen“ auch eintönig und langweilig, wie überhaupt
jedes Schau⸗, Trauer⸗ und Luſtſpiel Langeweile her-
vorruft, ſobald es eine gewiſſe Anzahl von Stunden
und Minuten überſchritten hat. Darum wollen auch
wir heute auf ein Gebiet zurückkehren, das wir am
6. Januar verlaſſen haben, welches wir aber eigens
für unſere Leſerinnen und andere Leute betreten und
in richtiger Beleuchtung ihnen vorgeführt haben.

Wir ſchloſſen damals mit der kühnen Behauptung,
daß der Stand der Eheloſigkeit bei den Damen viel
mehr Licht ſeiten als tiefdunkle Schattenſeiten auf-
weiſt, was immerhin wohl von wenigen ſog. alten
Jungfern geglaubt werden dürfte. Eine Schmei-
chelei wollten wir ihnen damit aber auch nicht er-
wieſen haben und ſind deshalb ſo frei, heute mit den
Beweiſen für jene „alte, aber ewig neue Geſchichte“
anzutreten. Zunächſt erfreuen ſich 1 5 unverheirathe-
ten Mädchen jener goldenen Selbſtſtändigkeit und
Freiheit, die unter Umſtänden hundertmal mehr werth
iſt als die glänzendſte Sklaverei, in welche ſie ſich
durch ihren Eintritt in den „trauten Eheſtand“ be-
geben. Keine mürriſche Laune eines verdrießlichen
Mannes — höchſtens die eigene ohne jeden Grund
— macht ihnen den hellen Tag dunkel; kein Befehl
des geſtrengen Eheherrn hindert ſie, ihre Schritte zu
lenken, wohin es ihnen beliebt, falls nicht irgend ein
anderes ſtrenges Geſetz des Lebens, z. B. Broderwerb,
ihnen ein unerbittliches Daheimbleiben zur Nothwen-
digkeit macht. Bei ſehr vielen Mädchen gereifteren
Alters liegt aber ein ſolches Hinderniß nicht vor

Glücklich kann man ſolche eigentlich ſchätzen, denn
ſie ſind vor vielen körperlichen Leiden und Beſchwer-
den, Schmerzen und Anſtrengungen, ſowie auch vor
tauſenderlei Sorgen bewahrt, weshalb ſie das Leben
ruhiger genießen können. Manche alte Jungfrau mag
mit dem berühmten römiſchen Redner denken: „Non
minus solus, quam solus; non minus otium, quam
otiosus“, d. h. auf Deutſch: „Ich bin nie weniger
allein, als wenn ich allein bin, und nie weniger
müßig, als wenn ich Muße habe. Beſchäftigung
kann ſich, wer will, jeder verſchaffen, auch eine
nützliche und für ihn angenehme, ſo daß die Lange-
weile keinen Platz findet. Was hat aber, ſtreug ge-
nommen, eine arme Frau vom Leben? Ein Gramm
Freude und viele Centner Kummer und Schmerzen!
Der poeſieverklärte Brautſtand, deſſen Schönheit nur
in der Phantaſie beſteht, und der oft genug mit den
größten Aergerlichkeiten und Bitterkeiten belaſtet iſt,
iſt ſchnell dahin, und in manchen Ehen zählen die
Flitterwochen nur nach Tagen und Stunden; was
dann übrig bleibt, iſt vielfach trüber Bodenſatz und
ſchmerzliche Enttäuſchung. Wie viele Tauſend Frauen
leiden unter der Rohheit, Brutalität, Rechthaberei u.
Trunkſucht der Männer; wie viele ſeufzen unter den
unberechenbaren Launen egoiſtiſcher Eheherren; wie
viele weinen heiße Thränen, von denen die Welt nie
eine Spur ſieht! Aber auch in verhältnißmäßig
glücklichen Ehen iſt meiſtens das Leben eine ununter-
brochene Kette von körperlichen Schmerzen, Mühen
und Sorgen. Wie manche ſchlafloſe Nacht verbringt
die Mutter an dem Bettchen ihres erkrankten Kindes;
wie zittert ſie für das zarte Leben und wie ringt ſie
die Hände, wenn der Mann, der Ernährer der Fa-
milie aufs Krankenbett ſinkt! Die alten Jungfern
hören zwar nie den ſüßen Namen „Mutter“, — aber
ſie empfinden auch nie den unnennbaren Schmerz,
einem geliebten Kinde zum ewigen Schlafe die Augen
zudrücken zu müſſen, — oder den Schmerz, der noch
größer iſt, daß entartete Kinder alle Mühe mit Trotz
und Frechheit vergelten.

Wie ſehr kann eine alte Jungfrau ſich im Kreiſe
der Ihrigen verdient machen und zum Schutzengel
der Familie, beſonders der Kinder, werden! Iſt bei
ihr Klugheit mit Gemüth und Humor gepaart, ſo iſt
ſie der Liebling und die Vertrauensperſon Aller.
Noch eins: wie thöricht handeln jene Mädchen, die
als Lehrerin in dem edelſten Berufe des Weibes


(Nachdruck verboten.)

Helene.

Erzählung von Th. Küſt er.

Helene verließ dann den Saal und drückte leicht ihre
Hände gegen die Schläfen, da ihr Kopf ſie ſchmerzte. Den
ganzen Tag faſt hatte ſie ſich mit Unterrichtgeben beſchäf-
tigt, wie ſie es ſchon ſeit lange regelmäßig gethan; ſie
hatte ſich indeſſen doch wohl heute ein wenig zu viel zuge-
muthet, denn es war eine ſehr anſtrengende Aufgabe, den
Unterricht der vielen lebhaften Kinder zu leiten. Helene
ſah jetzt erſt ein, was eigentlich die Schweſtern, die Urſuli-
nerinnen, leiſteten und wie anſtrengend ihr Leben war, wie
gufopfernd im Dienſte der Heranbildung der weiblichen
Jugend: auf wie großen Dank dieſe tüchtigen und dabei
doch ſo beſcheidenen Lehrerinnen Anſpruch erheben konnten
und ihn doch nicht erhoben. —

Helene hatte ihre Zeit ganz ſo eingetheilt, ihre Thä-
tigkrit ganz ſo geregelt, wie die Schweſtern; ſie hatte es
ſo gewollt, obgleich ſie eigentlich nicht einmal Novize war.
Dieſes entſagungsreiche, opferfreudige Leben, ſie hätte es
wohl gern angenommen für die Ruhe und den Frieden
ihrer Seele: doch ihr Herz war nicht erfüllt von jener
reinen, beſeligenden Liebe zum Heiland, wie es hätte ſein
müſſen, um ſie zur Aufnahme in den Orden tauglich zu
machen, es herrſchten noch zu viel irdiſche Rückſichten und
Wünſche darin vor, um ſo zu ſein, wie es ſein ſollte, um
ſich zufrieden, innerlich glücklich, mit ihrem Berufe ganz
ausgeſöhnt fühlen zu können in den engen Grenzen des
Kloſters. Umſonſt hatte ſie gekämpft — ſie konnte der ir-
diſchen Liebe nicht entſagen. — ;
Im Corridor begegnete ihr eine der Schweſtern welche
ir mittbeilte, Daß die nec wendige Mutter He zu {prechen
wünſche. Helene ging b dem kleinen, einfachen Zimmer
der Oberin, der von ihr ſo hochverehrten Frau. Sie fand

dieſelbe nachdenklich, ihre bleichen, geiſtvollen Züge kummer-
chwer. Liebevoll ſtreckte ſie Helene ihre Hand entgegen und
as junge Mädchen neigte ſich über dieſelbe und drückte
ehrfurchtsvoll einen innigen Kuß auf die feinen weißen
Finger. .
% ß

47)

„Sie wünſchen mich zu ſprechen, hochwürdige Mutter?“
fragte Helene. . }

„Ja, mein Kind. Komm, ſetze Dich 11 zu mir und
ich will wie eine wirkliche Mutter zu Dir ſprechen.
Haſt Du die Dir fehlende Ruhe hier wiedergefunden, He-
lene? — Sieh mir in die Augen und ſprich ganz offen,
wie es Dir um's Herz iſt. Ausſprechen und theilnehmenden
Herzen mittheilen, was uns bedrückt, thut ja ſo unendlich
wohl, mein Kind“

„Ach, hochwürdige Mutter,“ antwortete unter Thränen
Helene, „ſo friedlich und ruhig, als ich war, kann ich nicht
wieder werden! — Ich glaube nicht, das ich würdig bin,


hängt noch immer an dem Manne, dem es Treue zugeſagt
und gelobt hat für immer; ich kann ihm nicht entſagen,
kann mich nicht zwingen, ungerührt, gleichgiltig an ihn zu
denken! — Eins aber habe ich hier wiedergewonnen; die
Liebe zu Gott, den ich wohl lauge vernachläſſigt hatte, denn
nur irdiſche Liebe erfüllte ja mein Herz und ich habe ge-
frevelt durch deren Uebermaß: doch ich habe das erkannt
und habe gebüßt dafür, Mutter! 3

Leicht und zärtlich legte die Oberin ihre Hand auf
55 0 Scheitel des jungen Mädchens und ſagte innig,

erzlich:

„Dein Herz iſt zum Lieben geſchaffen, Helene, es iſt
nicht Dein Beruf, unſerm Gott und Heiland ſo zu dienen,
wie wir es thun; darum kehre getroſt in die Welt zurück.
Dein Loos liegt in des Herrn gnädiger Hand, die Er liebt,
die züchtigt Er! — Du haſt ihn wohl zeitweis vergeſſen
können, doch er hat Deiner nicht vergeſſen; was Du ge ⸗
ſündigt, wird Er Dir vergeben, diene ihm nur treu in
der Welt — auch da kannſt Du es, denn glaube mir: es
iſt nöthig, daß auch gute, fromme Menſchen in der großen
Welt leben; es muß auch fromme und gottergebene Müt-
ter geben, denn ſie vermögen den beſten, den heilſamſten
Einfluß zu üben auf ihre Umgebung. Kein Mann, der
5505 Frau liebt, wird e die Kirche handeln, welche
einer Gattin das Höchſte iſt Und wenn er kalt, gleichgül-
tig iſt, ſo kann ſie ihn zurückführen zu Gott, dem Milden
und Gnadenreichen. — Wenn alle Mütter dieſes ver-

den Eheſtand, gegen das gewöhnliche Alltagsleben
vertauſchen! Man pflegt zu ſagen: „Es iſt der Be-
ruf des Weibes, Frau und Mutter zu werden“, —


richtig erfaßt? Freilich entſchließen ſich manche junge
Mädchen aus Gott weiß welchen Gründen zum Lehr-
fache, bevor ſie zur Erkenntniß der Bürde und Ver-
antwortlichkeit des Standes gelangt ſind. Bei der


geſchnitten iſt, kann es nicht Wunder nehmen, daß
die jungen Mädchen, die unerfahren, ſchutzlos, tauſen-


in thörichtem Wahne ihrem ſchönen Berufe Lebewohl
ſagen und vielfach einem Kollegen die Hand reichen.
In der Regel werden dann mehr als zwei Menſchen


welches ſeit Jahren entgegengeſetzte Ziele verfolgte,
und ſo weder Anleitung zum Hausweſen hatte, noch


frau wird? Welche Folgen hat dieſe Unkenntniß
für den Mann, für ſie und den Frieden in der Ehe?
Wird die Frau, die früher ſelbſt zu urtheilen, zu handeln u.
zu befehlen gewohnt war, die Herrſchaft eines Mannes
auf die Dauer ertragen? Wer wird in kurzer Zeit
das Szepter und den
und Eintracht herrſchen ſoll . {

Alle Achtung vor den alten Jungfern, wenn ſie in
Eh zen ergraut ſind und zumal vor den Lehrerinnen.
Diejenigen, welche verächtlich oder ſpöttiſch über dieſe
Jungfern reden, haben ſich ſelten die Mühe genommen,
ernſthaft über das Leben im Allgemeinen und das
Schickſal der Mädchen im Beſonderen nachzudenken.
Auch von ihnen gilt das Wort: Heirathen iſt gut,
aber Nichtheira then beſſer!


gar oft das hier Geſagte voll und ganz. Eines ſchickt
ſich zwar nicht für Alle und keine Regel ohne Aus-
nahme, aber dort, wo die Regel zutrifft, muß ſie auch
angewandt werden. Es gibt ſo viele Menſchen, bei
denen alle Bedingungen zu einem menſchlichen Glücke
gegeben ſind — ſie würden glücklich ſein, wenn ſie
ſich ein genügendes Maß einfacher menſchlicher Zu-
friedenheit anzuſchaffen wüßten und nicht ihr Herz
nach immer nenen Wünſchen die Zügel ſchießen ließen.
Das Herz darf nicht einem Faſſe ohne Boden gleichen
und nur diejenigen, welche ein „weiſes Maßhalten“ zur
Richtſchnur nehmen, können ſich ihres Lebens freuen, ſo
gut es überhaupt geht. Das gilt nicht nur für die oben
bezeichneten „Egeloſen“, ſondern auch für andere Leute.


ſöhnende Amt, das ſie von Gott erhalten, erkännten und

ausübten in Seinem Sinne, dann wären auch die Men-
119 0 beſſer und — — die Zeiten andere als ſte leider
in > ;


Seufzer geſprochen und nur mit Mühe
Thränen wehren, welche ihr die Augen zu verdun-
55 drohten. Nach einer Pauſe der Sammlung fuhr ſie
ort: | .

„Unſere Niederlaſſung hier wird bald zu beſtehen auf-
gehört haben, meine liebe Helene; der Befehl zur Nau
mung unſeres Kloſters iſt bereits eingetroffen von der Re-
gierung und unſere lieben Kinder müſſen wir verlaſſen. —
Wir werden uns in der Fremde, außerhalb unſeres Vater-
landes eine neue Heimath ſuchen müſſen, um unſerm
Gelübde, unſerer Ordensregel treu weiter leben zu
können. Unſer friedlich⸗ſtilles, arbeitsvolles Heim hier,
das uns nur zum it ſchn der Menſchheit diente, wir
müſſen, wenn auch mit ſchwerem Herzen, ihm Lebewohl


rief erſchrocken Helene.

„Es iſt ſo, mein Kind, ſagte die Oberin bitter. „Doch
wir wollen nicht murren, Gottes Wille iſt es doch. Seine
Rathſchlüſſe ſind eben unerforſchlich und Sein Wille ge-
ſchehe! — Darum, Helene, wäre es gut, wenn Du bald
in Dein Vaterhaus zurückkehrteſt, auf den Platz, auf den
der Herr Dich geſtellt hat. Und ſollteſt Du doch noch die
Gattin des Mannes werden, dem Dein Herz gehört, ſo
iſt Dein Beruf brot Bedenke, Kind, was ich Dir eben
geſagt habe, und ſollten die Wünſche Deines e nicht
in Erfüllung gehen, dann ſuche Deine Befriedigung im
Wohlthun zu finden und Du wirſt ein Segen für Deine
ganze Umgebung werden, denn auch dieſer Beruf iſt ein
t bebe e d Mutter hatte die würdige Frau ge-

Liebevoll wie eine Mu
ſprochen und gerührt drückte Helene der Oberin Hand an

ihre Lippen. (ortſetzung folgt.)

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