Frſcheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Feiertage.
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ſchlag. Beſtellungen bei den Poſtanfſalten u. der Expedition.
Redaktion und Verlag von J5f. Eremerius,
für Stadt
Anzeige⸗Blatt für die Amtsbezirke Heidelberg,
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gen, Wiesloch, Bruchſal, Bretten, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Walldürn ꝛe-
S Zwinger ſtraße 7
Nr. 232
ebr. Huber, Heidelberg, Bwingerſtr. „
Die Tuchsmühler Vorgänge und die bayer.
Abgeordnetenkammer.
Die erſte parlamentariſche Woche wurde vollſtän-
dig durch die viertägigen Verhandlungen über die
nterpellation Dr. Schädler betreffend die
bekannten blutigen Vorgänge in Fuchsmühl
ausgefüllt. Es war ein gater Schachzug des Cen-
E trums, daß man mit dieſer Anfrage an die Staats-
kegierung den übrigen Parteien zuvorkam. Dr. Schäd-
let vertrat ſeine Sache mit großer ſachlicher Gewandt-
heit und zweifelloſem rhetoriſchem Effekt. Selbſt die
TLroßen liberalen Blätter zollten der Schädler 'ſchen
AVnterpellationsbegründung volle Anerkennung. Schäd-
bei wußte die traurige Angelegenheit von den setzeriſchen
AUaebenzwecken, zu denen ſie von radikaler Seite aus-
gebeutet worden war, gänzlich loszuſchälen, er hielt
ſich auf dem Boden der Thatſachen, ſchonte aber auch
le Schuldigen in gar keiner Weiſe, ſondern ſagte dem
zezirksamtmann, der das Militär gerufen, den Re-
gierungsbehörden und den Miniſtern bittere Wahr-
heiten, ſtellte den Lehensträger Freiherrn von
Zoller, der durch die Verweigerung des Rechts-
holzes aus dem Lehenswalde und durch die hart-
näckige Verfolgung des Ablöſungsprozeſſes die armen
; aldbauern zur hellen Verzweiflung getrieben hatte,
bverdientermußen au den Pranger und kritiſirte auch
das rückſichtsloſe Vorgehen des Militärs, dem 2
Todte und 16 Verwundete zum Opfer fielen, auf's
Schärfſte. Schädler warf auch ſcharfe Schlaglichter
auf den ſtarren Formalismus (Formelkram), der in
der Rechtſprechung Platz gegriffen habe, und machte
Den bureaukratiſchen Geiſt, der für die ſocialen Be-
ürfniſſe des Volkes kein Verſtändniß und kein Herz
habe, für die großen Fehler der Verwaltung ver-
antwortlich.
f Die fünf betheiligten Miniſter (Crailsheim, Fei-
Ultzſch, Riedel, Leonrod und Aſch) hatten ihre Antwort
auf die Juterpellation gemeinſam feſtgeſtellt. Die
erleſung der Antwort durch den Miniſter des In-
nern wurde vom Hauſe mit ruhigem Schweigen auf-
genommen. Und mit Recht! Denn wie die Redner
aus dem Hauſe faſt einhellig hervorheben, hat dieſe
Y An der
and von Paragraphen ſuchte die Regierung die ein-
zelnen Maßregeln der Behörden und des Militärs zu
kechtfertigen. Dabei wurden die durch jahrelange
hikanen verhetzten Bauern von Fuchsmühl als
ſchlimme Elemente dargeſtellt, dagegen der Bezirks-
amtmann, der die zur Selbſthilfe greifenden Bauern
A f
{ Ber Fonderling.
Roman von Philipp Laicus.
U „Nun, was iſt denn da weiter dabei,“ meinte Lebrecht.
zueber Geldangelegenheiten ſoll man weder große Freude,
großen Schmerz empfinden.“ :
hä „Warum haſt Du mir das nicht gleich geſagt? Du
ätteſt mir einige Tage ſchwerer Sorge erſparen können!“
„Weil Du dieſe Züchtigung verdient haſt,“ ſagte Leb-
„„Ich habe Dich ſogleich bei meiner Ankunft um
argen gefragt, die Dich drücken und Du haſt mir
© Vertrauen verweigert. Dagegen haſt Du mich ganz
ien Weitem auszuforſchen verſucht, wie reich ich ſei, und
ic habe Dir ganz der Wahrheit gemäß mitgetheilt, daß
10 eine Penſion von fünfundzwanzighundert Dollars zu
erzehren hätte.“ } f
mi „Und Du haſt Dein ganzes Kapital verfilbert, um
W zu helfen!“
D „Was ich hier verkauft, geht meine Penſion nichts an.
as iſt Vermögen, welches ich zu verwalten habe.“
„Wie,“ meinte Leopold, „Du begehſt ein Verbrechen?“
„Nein,“ ſagte Lebrecht lächelnd, „ich kann damit nach
(Nachdruck verboren)
tteinem Gutdünken verfahren und muß das mir anver-
desu, Vermögen nur nach den wohlwollenden Abſichten
igenthümers verwenden.“ 5 ;
Jol „Und Du könnteſt eintretenden Falles ein Geſchenk von
ſchem Betrage machen?“ i
nicht Wenn ich damit einen guten Zweck erreiche,
mei „Ein ſolcher Herr iſt mir noch nicht vorgekommen,“
. ſagte Lebrecht eruſt
„Mir kommt er alle Tage vor,“ ſagte Lebrecht ernſt,
denn dieſer Herr ist Gott.“ ;
bMb„%{äaé‘; das wieder für eine barocke Idee iſt!“ rief Leo-
beinahe ärgerlich. ; .
u e Du biſt im Irrthum, Brüderchen; eine barocke Idee
Wer, das Gegentheil anzunehmen. Meinſt Du, Deine
Veuigket und Dein Witz verſchaffe und erhalte Dir Dein
ermdgen? O Du Thor! Gott gibt es Dir, und Gott
warum
nimmt es Dir, wie er will, und wenn er Dich zu ſich be-
30 Jm.
mit dem Bajonett niederſtechen ließ, nach jeder
Richtung in Schutz genommen. Großes Aufjehen
erregten zwei Enthüllungen der Regierung. Das
Ministerium erklärte, daß das Regierungspräſidium
in Regensburg (der damals präſidirende Regierungs-
direktor), ebenſo wie der Bezirksamtmann Wall nicht
die geringſte Mittheilung an das Miniſterium des
Innern gemacht habe, ſo daß der Miniſter die erſte
Nachricht durch eine vervielfältigte Zeitung 8⸗Correſpon-
denz, eigeptlich durch die „Amberger Volkszeitung“ er-
hielt. Ferner war der Bezirksamtmann durch eine
unſelige Depeſchenverſtümmelung zu dem Glauben ge ⸗
bracht worden, das Regierungspräſidium in Regens-
burg billige die ſofortige Herbeiziehung des Militärs.
Dieſer Umſtand erklärt wohl auch das rüttſichtsvolle
Vorgehen der Regierung gegen den Bezirksamtmann,
der noch immer nicht disciplinirt iſt. Unerklärlich iſt
dagegen, daß der Regierungsdirektor von Regensburg
nicht ſofort abgeſetzt worden iſt.
Erſt am dritten Tage der Berathung, nachdem
nicht nur Dr. Ratzinger und Grillenberger, letzterer
mit ſozialdemokratiſcher Rückſichtsloſigkeit, ſondern auch
der liberale Abg. Wagner der Regierung rund heraus
geſagt hatte, daß die Antwort jeden höheren Ge-
ſichtspunkt vermiſſen laſſe, traten die Miniſter
etwas mehr aus ihrer Zurückhaltung heraus. Aber
eigentlich machte nur der kluge Herr Finanzminiſter
ein kleines Zugeſtändniß, indem er mit allerlei Ver-
klauſulirungen eine Abänderung des bedenklichen § 30
des Forſtgeſetzes über die Zwangsablöſung von Na-
turalrechten im Intereſſe der durch dieſe Ablöſungen
wirthſchaftlich ſchwer geſchädigten Bauern in Ausſicht
ſtellte. Der Miniſterpräſident, der Miniſter des In-
nern, der Juſtizminiſter und ſelbſt der Keiegsminiſter
träger Freiherrn von Zoller, der ein Bruder des
Chefs der Geheimkanzlei iſt, in ſeinen Nöthen beizu-
ſtehen. Im Uebrigen vertheidigten die einzelnen Mi-
niſter nach Kräften ihre angegriffenen Poſitionen. Der
Kriegsminiſter that dies nicht ohne das übliche S ä⸗
belgeraſſel. Seine Anſicht, daß der blutige
Zuſammenſtoß dem Lande eine heilſame Lehre gegeben
habe, indem er den vollen Ernſt eines Militäraufge-
botes gezeigt, hat wohl überall bedenkliches Kopfſchüt-
teln verurſacht. Miniſter Crailsheim gerieth ſehr ins
Gedränge, als Dr. Ratzinger die Unthätigkeit der
Behörden gegenüber der ſchlimmen Lage der Fuchs-
mühler mit den im Auftrage von 4 Miniſtern erfolg-
ten Vermittelungsverſuchen des Regierungspräſidenten
von Unterfranken in Sachen des reichen amerikani-
ruft, kommt es gar nicht darauf an, ob er Dir viel oder
wenig gegeben hat, aber darauf kommt es an, wie Du es
verwendet. Das iſt die barocke Idee unſerer Reichen, daß
ſie meinen, ihr Geld ſei Ihr Eigenthum; daß e meinen,
ſie hätten es, um jede Laune ihrer blaſirten Phantaſie zu
befriedigen; daß ſie meinen, dieſe Erbärmlichen, ſie könn-
ten darum ſtolz auf ihre minder bemittellen Brüder herab-
ſehen. Gott züchtigt ſie ſchon hienieden, denn je mehr ſie
die Sklaven ihres Mamons werden und je unumſchränkter
ſie ſich als die Herren deſſelben dünken, um ſo drohender
erhebt ſich das rothe Geſpenſt der Sozialdemokratie, und
je mehr dieſe ungetreuen Verwalter ihre Hand nach dem
ihnen zum Heile ihrer Mitbrüder anvertrauten Gelde aus-
ſtrecken, um ſo ſicherer wird Gott den Tag einer Abrech-
aber weiter nichts bekundet, als die ſtarke Hand ſeiner
Gerechtigkeit.“
„Nun, nun, Du kommſt in die Hitze.“ ;
„Ja, Leopold, ich komme in die Hitze, wenn ich das
ſehe und bedenke. Es gibt kein Eigenthum auf Erden, denn
die Erde iſt ein Gut, das Gott der Menſchheit anvertraut
hat, und was wir haben und beſitzen, beſitzen nicht wir,
ſondern Gott, und wir verwalten es zu Gunſten der Lei-
denden, die ebenſo wie wir ſeine Kinder und unſere Brü-
der ſind. Und wer nicht ſo handelt, iſt einfach ein Schurke,
und wer das nicht einſieht, iſt ein Dummkopf, und da haſt
Du nun meine baracke Idee über das Geld. Und Dir
namentlich will ich ſagen, betrachte Du Dich ja nicht als
den Herrn Deiner Arbeiter. Du biſt nur der Erſte unter
ihnen. Du haſt für ſie zu denken und zu handeln, und
das Wohlſein des letzten Lehrjungen in Deiner Fabrik hat
Dir ebenſo am Herzen zu liegen, ja noch viel mehr als
Dein eigenes. Du haſt, ſo viel an Dir liegt, Kummer und
Sorge von Ihnen fern zu halten, Du haft ihnen in allen
Nöthen des Leibes und der Seele beizuſpringen, Du haſt
dafär zu ſorgen, daß Deine Fabrik ihnen nicht zur Stätte
der Verführung werde, Du haſt Dich überhaupt ihrer an-
zunehmen, als ob ſie alle zu Deiner Familie gehörten, und
nur deßhalb, verſtehe mich wohl, Leopold, nur deßpalb
ſchen Juden Löb Stern (der den Regierungskommiſſär
in Kiſſingen ſchwer beleidigt hatte) in Vergleich zog.
Der Miniſter verſuchte vergeblich, dieſen Hieb zu pa-
riren. Glücklicher Weiſe hat die Ablehnung des e⸗
gnadigungsgeſuches Stern's durch den Prinzregenten
dieſen das Volk ſehr erregenden Fall aus der Welt
geſchafft. | 3
Gleich Ratzinger forderte auch Daller die Regierung
Bureaukratismus höhere Geſichtspunkte in die Ver-
Religion im Beamtenthum Sorge zu tragen. Die
gedeutet werden kann. Von den übrigen Rednern
erhob ſich nur noch der liberale Führer von Stauf-
fenberg durch eine ſcharfe Kritik der Mängel in der
Bureaukratie zu einiger Höhe. Der liberale Pfälzer
Deinhardt wollte dem rechtsrheiniſchen Bayern eine
pfälziſche Weisheitslektion ertheilen, was aber ſehr
übel vermerkt wurde, und der einzige „Demokrat“
Wießner kaute nur das wieder, was Andere vor im
weit beſſer geſagt hatten. | i
Deutſches Reich.
— Die Kommiſſton des Bundesrathes für dass
bürgerliche Geſetzbuch iſt unter dem Vorſitz
von Nieberding zuſammengetrete. e
Direktor des Reichsſchatzamtes ernannt worden.
* Darmſtadt, 8. Okt. Im Rechnungsjahr 1894/95
wurden im Großherzogthum Heſſen an Brauſteuer M.
930,925.75 von insgeſammt 180 Betrieben bezahlt. Die
Ausfuhrvergütungen ſtellen ſich auf M. 15,370.85.
* Stuttgart, 8. Okt. Die Reichstag ser ſatz-
wahlen für den 7. und 12. Wahlkreis, wo die Abgeord-
ie haben, ſind auf den 12. Nov. feſtgeſetzt
orden. ;
Dortmund, 8. Okt. Die Stadtverordneten beſchloſſen
(Dortmund hat über 100,000 Einwohner.) \
+ Breslau, 8. Okt. Auf dem allgemeinen ſo zudem.
Parteitage veranlaßten die Anträge der Nacht⸗ und
Akkordarbeit in Parteigeſchäften, ſowie der Antrag, daß
diejenigen Parteibeamten, welche ein Mindeſtgehalt
von 3000 M. erhalten, als Abgeordnete keine
Diäten beziehen ſollen, eine ſehr lange und lebhafte
Debatte. Fiſcher⸗Berlin verwahrt ſich dagegen, daß er von
einen Theil ihres Ertrages Dir abgeben, damit Du ihn
wieder für ſie verwendeſt, und wenn Du Dich dazu zu
ſchwach fühlſt, ſo bitte Gott täglich auf den Knieen, daß er
1005 aus einem Fabrikanten zu einem Fabrikarbeiter
mache;
bei Dir lebendig machen kann, dann ſollten mich wahr-
haftig die fünfzigtauſend Thaler nicht reuen, und wenn
ſte 1115 darauf gingen, und noch fünfzigtauſend weitere
Onkel Lebrecht nahm damit ſeinen Brief und wollte
ſich entfernen, als er ſich durch den Ruf Dora's zurückge-
halten fühlte. 5 .
„Onkel,“ meinte dieſe, „wenn das Geld gar keinen
Werth hat, warum biſt Du denn ſo ſehr über eine Heirath
mit Willbrand empört, dem doch nah Deiner eigenen Aus
ſage nichts abgeht als das Geld?“
Vorwurfes, und Onkel Lebrecht wurde durch dieſelben und
mehr noch durch den Ton verwirrt. Es ging ihm nun
viel lieber mit ihr gezankt, als ſie einen Vorwurf erh eben
zu ſehen, deſſen Ton die Ergebung in em vermeintliches
Unglück ausdrückte. Dann konnte er auch nicht leugnen,
daß die Bemerkung Dora's ihre volle Richtigkeit hatte.
Er hatte eben ganz vergeſſen, daß ſie zugegen war, als er
ſich in der Verachtung des Mammons ereiferte, und wenn
er auch dabei keine Linie über ſeine Grundſätze hinausge-
gangen war, ſo war doch der Moment, Dora dieſelben
anhören zu laſſen, gerade nicht aer geeignete, und ſo ſtand
er denn eine halbe Minute recht ſauertöpfig da und ſchämte
ſich, auf einem Wege überraſcht worden zu ſein, den er
im Augenblicke noch nicht erklären konnte. Endlich ſagte
er lachend: „Da kleiner Naſeweis, meinſt Du, ich hatte
alle dieſe Dinge Deinem Papa geſagt, damit Du die Jol-
gerungen daraus zögeſt, welche Dir gefallen?
Mit dieſen Worten machte er ſich ſchleunigſt aus dem
Staube.
. „Gortſetzung folgt.)