Achern täglich mit Augnahme
jr L vierkeljährl. Mk. 1.20 ohne ſte
lag. Beſtellungen bei den Poſtanſtalten u. der Expedition.
Redaktion und Verlag von Joſ. Cremerius, H
9 Zwinger ſtraße 7
Anzeige ⸗ Blatt für die Amtsbezirke Heidelberg,
Eberbach, Sinsheim, Eppingen, Weinheim, Schwetzin-
gen, Wiesloch, Bruchſal, Bretten, Mosbach, Buchen,
5 Adelsheim, Walldürn c. A
Druck von Gebr. Zuber, Heidelberg, Zwingerſtr. 7.
Geidelberg, Dienstag, den 19. Tavenber“ 1085
30. Joh
Deutſches Reich.
* Berlin, 18. November.
— Der von nationalliberalen Blättern
unternommene Verſuch, für eine Wiederherſtellung des
Überen Reichstagspräſidi ums, d. h. des
Präſidiums vor der Bismarckehrung, Stimmung zu
machen, hat im Allgemeinen herzlich wenig Anklang
4 unden. Jetzt führt ſelbſt der „Hamb. Korreſp.“
len Nationalliberalen zu Gemüthe, daß ſie auf kei-
den Fall darauf rechnen könnten, im Präſidium mit-
bertreten zu ſein, höchſtens würde das Zentrum den
Konſervativen eine Stelle im Präſidium einräumen;
3 nimmt der „Hamb. Korr.“ an, daß die Deutſch-
onſervativen hierauf nicht eingehen und ſich auch die
Reichspartei dem nicht anſchließen wird. }
3 Der Entwurf des bürgerlichen Geſetz-
daches wird vorausſichtlich zu Beginn der 2. Hälfte
es Januar im Reichstage eingebracht. i
— Die konſervative Parteileitung kann der Zer-
etzung in der konſervativen Partei nicht
mehr Herr werden. Verzweifelt ſucht ſie daher die
gespaltenen Elemente durch einen Kampf gegen die
auderen Parteien zu ſammeln. Sie ſpricht von einem
Sturmlauſen aller Parteien gegen die konſervative
Partei und fordert ihre Parteigenoſſen auf, angeſichts
eſſen nicht wegen Meinungsverſchiedenheiten über
einzelne Punkte den Anſchein zu erwecken, als herr-
chen in der konſervativen Partei in großen grundſätz-
den Fragen Differenzen, als beſtehe eine gefähr-
Aohende Kriſis. Jetzt heiße es, das Ganze über Ein-
Awänſche ſetzen und die konſervative Fahne mit dem
bald „Ehriſtenthum, Monarchie, Vaterland“ hoch-
galten. Mit einer derartigen Wendung dürfte der in-
lere Streit denn doch nicht zu erledigen ſein; ſo leicht
wird auch in der konſervativen Partei nicht mehr
edre parirt. ı
K Die Majeftäts - Beleidigungen und die An-
lagen dieſerhalb mehren ſich in geradezu unheim-
ücher Weiſe ſeit der Sedan ⸗Rede unſeres Kaiſers,
liabe er ſich in ſehr erregter Weiſe gegen die ſchmäh-
üthen Beſchimpfungen des verſt. Kaiſers, Wilhelm I,
wandte und die Sozialdemokraten eine „Rotte von
mlenſchen“ nannte. Faſt immer ſind es die Redak-
198 ſoz.⸗dem. Zeitungen und zwar erfolgen die An
e und Verurtheilungen in ſolcher Weiſe, diß ſi-
klöſt bei den ſtreng königstreuen Leuten Bedenken er-
nigen. So bemerkt dazu der hochkonſervative „Reichs-
Ute“ in Berlin: ;
96) | Ber Sonderlin 9 (Nachdruck verboten)
. Roman von Philipp Laicus. .
„Als der eh
ieß,
„Ich kenne ihn nicht,“ entgegnete Lebrecht ebenſo leiſe,
aber ich will mich um ihn erkundigen.“ Er bat dann den
eben ihm ſitzenden Geiſtlichen um die betreffende Aus-
1 60 und nachdem er ſie erhalten, ſagte er zu ſeinem
er:
8 „Der dicke Herr, der da eben geſprochen und der beim
brechen immer ſo die Brille hinauf und hinunter geſcho-
Na iſt einer der fremden Präſides. Der Name iſt meinem
alder entfallen, aber er war früher Tünchergeſelle und
; 110 ſich erſt ſpäter dem geiſtlichen Stande gewidmet. Dies
in duch wohl der Grund, warum er ſich ſo ausgezeichnet
B die Lage der Arbeiter ſchicken und ihren Bedürfniſſen
utgegenkommen kann.“ ; .
jra Man ſollte den in's Parlament wählen, denn wenn
N 100 d einer,“ meinte Leopold, „die ſoziale Frage zu löſen
in Stande iſt, ſo iſt's dieſer.“ e |
„Lieber Leopold,“ entgegnete Lebrecht ironiſch lächelnd,
der iſt ein Reichsfeind.“
Berfelſer Geſellenverein.“ Da er dieſe
in ſeiner Fabrik fallen ließ, ſo
üge Jemand
„So ſehr wir ſerb ſtverſtändlich für die Aufrechterhalt-
ung der Autorität der Obrigkeit und vor Allem ihrer Spitze,
der Perſon des Monarchen ſind, ſo erſcheint uns doch eine
zu große Häufung der Majeſtätsbeleidigungsprozeſſe bedenk-
lich. Erfahrungsgemäß werden die Majeſtätsbeleidigungen
dadurch nicht vermindert, ſondern vermehrt, und in-
dem ſie dann in zweideutigen Redewendungen Unterſchlupf
ſuchen, wirken ſie erſt recht verderblich und vergiftend.
Und wenn ſie dann vom Gericht, wie im Falle Liebknecht,
aus ſolchen Verhüllun gen hervorgezogen werden, ſo iſt das
Uebele, daß dann die Verurtheilung zu ſchweren Strafen
wegen ſolcher anſcheinend harmlos klingender Redewend-
ungen als Majeſtätsbeleidigungen in der öffentlichen Mein-
ung kein Echo findet, ſondern der Verurtheilte eher als
Märtyrer erſcheint und ſo die Autorität der Obrigkeit
eher Schaden als Stärkung erfährt. Es iſt gewiß wahr,
daß jede Autorität ihren beſten Schutz in ihrer eigenen
ſittlichen und techniſch⸗tüchtigen Haltung hat, aber ebenſo
gewiß iſt, daß keine Auforität vor Angriffen ſicher iſt
und deshalb im Intereſſe der Ordnung geſchützt werden
muß. Aber dieſer Schutz muß, wenn er wirkſam ſein ſoll,
ebenſo weiſe wie energiſſch gehandhabt werden, und man
kann wohl ſagen: „Wenig iſt hier oft mehr als ein Viel.“
— (Staatskirchenthum in Braun-
ſchweig.) Das Herzoglich Braunſchweigiſch⸗Lüne-
burgiſche Staatsminiſterium hat unter dem 25. Octo-
ber d. J. an die katholiſchen Geiſtlich en im
Herzogthum folgende Verfügung erlaſſen:
„Im Aufrage Sr königl. Hoheit des Prinzen Albrecht
von Preußen uſw., Regenten des Herzogthums Braun-
ſchweig, laſſen wir Jynen anliegend in einem Exemplare
die Bezeichnung der bibliſchen Texte, welche den
Predigten an dem auf den 20. November d. J. fallen-
den Buß⸗ und Bettag zum Grunde zu legen ſiad, zugehen
und beauftragen Sie, ſolche bi den gottes dien ſt-
lichen Ver ſammlungen Ihrer Glaubensgenoſſen
an dem bezeichneten Tage zu benutzen.“ .
Wenn man dieſes lieſt, fragt man ſich unwillkür-
lich, ob wir jetzt wirklich im 19. Jahrhundert leben.
Daß im 16. und 17. Jahrhundert ſolche Verfügungen
erlaſſen wurden, kann man ſich erklären; wie aber
heute trotz den anerkannten Beſtimmungen des Weſt-
fäliſchen und Wiener Friedens und trotz den noch
ganz neuen Erfahrungen des Culturkampfes ſo etwas
geſchehen kann, iſt unbegreiflich. Waun wird
ſich auch das Herzogthum Braunſchweig dazu ver-
ſtehen, den Katholiken das Recht, welches jedem
katholiſchen, evangeliſchen und reformirten Deutſchen
in allen deutſchen Staaten zugeſichert iſt, das Recht
der freien Religionsübung zu geſtatten?
* Stutt zart, 18. Sept. Infol„e wiederholt eingelau-
ſener Klagen hat das Miniſterium des Innern die Ge-
meindebehörden aufgefordert, für die Unterbringung ver-
wahrloſter Kinder in Rettuagsanſtalten bedacht zu
ſein, ehe die Verwahrloſung einen zu hohen Grad er-
reicht hat, da im letzteren Fall ein ſittliche Beſſerung nur
ſchwer zu erzielen iſt.
iſt gerade wie der Bericht vom Berfelſer Geſellenverein,“
Es bleibt nun noch ſehr wenig zu erzählen übrig. Ho-
ratius und Hannchen find ein glückliches Paar geworden
und Beide ſiedelten bald nach ihrer Verheirathung nach
Mannheim über, woſelbſt Kurtzmann ein Mö bellager er-
öffnete, da ihm der bei der Kaſſe Lebrecht's eröffnete Credit
eine bedeutende Ausdehnung ſeines Geſchäftes geſtattete, ſo
daß der Abſatz in Berfels nicht mehr für ihn genügte.
Er ſelber jedoch wohnt noch in ſeinem Heimathſtädtchen
und hat daſelbſt ſeine Fabrik bedeutend vergrößert. Faſt
allwöchentlich geht er mit ſeiner Frau nach Mannheim oder
Horatius mit der ſeinigen nach Berfels. ;
Herr Gläfer hatte ſich dieſer Ueberſiedlung auf das
Lebhafteſte widerſetzt. Die Erinnerung an ſein Alleinſein
war ihm zu peinlich. Als aber Kartzmann durchaus von
dieſem Plane nicht ablaſſen wollte, ſo entſchloß er ſich end ⸗
lich, mit überzuſiedeln, zumal er immer noch eine tiefe Ab-
neigung gegen Lebrecht nicht überwinden konnte. Er lebt
wenn er dann und wann einen Rückfall hat und ſeinem
Sohne einen oder den anderen Schlingel und Hallunken
an den Kopf wirft, ſo iſt deſſen junge Frau ganz die ge-
eianete Perſon dazu, nichts auf ihren Mann kommen zu
laſſen, und unter ihrem Schutze befindet ſich Herr Horatius
vollkommen ſicher und wohl. Im Uebrigen iſt ſie eine ſehr
ſorgſame Hausfrau und umgibt ſowogl ihren Gatten
wie ihren Schwiegervater mit allen erdenklichen Bequem-
lichkeiten. ‘
Die Firma Bernau und Wıllbrand bat ebenfalls be-
deutende Vergrößerungen erfahren. Ihre Paſſiven ſind ge-
deckt und ſie genießt des Rufes großer Solidität. Die
Befürchtungen Lehrecht's, daß es zu Mißhelligkeiten zwi-
ſchen den beiden Aſſoce's kommen könne, hat ſich bis jetzt
tigen Angelegenheiten ſich mit ſeinem Schwieger ſohne zu
berathen. ; ; !
* Darmſtadt, 18. Nov. Prinz Heinrich von Preu-
ßen wird Anfaugs nächſter Woche mit ſeiner Gemah-
lin und dem Prinzen Waldemar nach Italien abreiſen,
um daſelbſt den Winter zu verleben. ;
* Würzburg, 18. Nov. Der unterfränkiſche
Landrath lehnte trotz warmer Befürwortung Seitens
des Kreisſchulreferenten die Poſition von 44,000 Mark für
Verbeſſerung der Lehrergehälter mit großer Mafo-
rität ab. Der Durchſchnittsgehalt für den Lehrer beträgt
jetzt nicht einmal 1000 Mark, } '
* Aus Bayern, 14. Nov. Die unterfränkiſche Ha n⸗
delskammer hat an die Generaldirektion der Stgats-
eiſenbahnen die Bitte gerichtet, es möchten in thunlicher
Bälde analog dem Vorbilde der großh. bad. Bahnen 1000
Kilometerfahrſcheinhefte mit der Gültigkeit von
1 Jahr eingeführt werden auf der perſonenzugskilometri-
ſchen Grundtax⸗ von 2 Pfg. für die 3. Wagenklaſſe, 4 Pfg,
für die 2. und 6 Pfg. für die 1. und unter Zuſchlag von
1 Pf. = der ½ Kilometertaxe = 50 Proz. bei Benützung
der Schnellzüge, ſo daß eine einzige Ausgabe von 1000
Kilometerheften für alle Wagenklaſſen und Zugsklaſſen
genügen würde. Gleichzeitig wird die Kammer die übrigen
Kammern um Unterſtützung bitten.
Ausland. ' ;
* Wien, 18. Nov. Im Abgeordnetenhauſe brachte zum
Schluß am Samſtage der Antiſemit Hauck eine Interpel-
lation, der deutſch⸗ klerikale Dipauli für ſich und Pattai
Namens der Antiſemiten einen Dringlichkeitsantrag wegen
Auflöſung des Wiener Gemeinderaths ein. Dipauli
beantragte eine Aufforderung an die Regierung, die Frage
zu beantworten: „Wie gedenkt der Miniſter die bedauer-
liche und ungewöhnliche Bezugnahme auf die Autorität der
Krone zur Begründung eines einfachen Regterungsaktes
mit den beſtehenden Verfaſſungsgeſetzen in Einklang zu
bringen?“ Der Antrag Pattai enthält die Aufforderung,
die ungeſetzlichen Maßnahmen des Statthalters auf-
zuheben und dem beleidigten Geſetze eine entſprechende
Genugthuung zu verſchaffen Der Miniſterpräſident Graf
Badeni erklärte, die Regierung ſei ſtreng konſtitutionell u.
es liege ihr ferne, verfaſſungsmäßigen Rechten nahezutre-
Sie müſſe ſich auch gegen den Vorwurf verwahren,
daß ſie hinter die Krone ſich verſtecke. Nach längeren Aus-
einanderſetzungen endigte die Sitzung. Lueger verwahrt
ſich gegen den Vorwurf der Ehrſucht; wenn er geſchwie-
gen und andere ruhig hätte ſtehlen laſſen, wäre er
wahrſcheinlich ſchon Bürgermeiſter. Graf Badeni
habe ihn in roher Weiſe angegriffen und Juſtizminiſter
Gleis pach ſei grob geweſen, nur Ackerbauminiſter Ledebur
habe ihn anſtändig behandelt, wofür er ihm dankt. Allse-
mein würden die Worte der Allerhöchſten Willensmeinung
dahin aufgefaßt: wer für Luege iſt, iſt gegen Kaiſer.
Das iſt nicht richtig. 3 ;
den Kaiſer, aus dem kath. Hauſe Habsburg-Lothringen,
ſondern gegen die Herrſchaft der Juden und Judaeo⸗Ma-
gharen. (Stürmiſcher langandauernder Beifall bei den
Autiſemiten und auf den Gallerien). Der Präſident gibt
das Glockenzeichen und will ſprechen, kann ſich aber in dem
großen anhaltenden Lärm nicht verſtändlich machen, ver-
läßt den Pläſtdentenſtuhl und gigt den Auftrag, die zweite
So leben Beide in ungetrübter Harmonie und Will-
brand iſt glücklich im Beſitze ſeines geliebten Weibes.
Dora iſt ſeit ihrer Verheirathung noch ſchöner gewor-
den und hat den ganzen heiteren Sinn wiedergefunden,
der eine Zeit lang durch die Sorge um Willbrand und
das Auftreten der ihr läſtigen Bewerber getrübt worden
war. Sie iſt mehr als je der Liebling ihres Onkels Leb ⸗
recht, mit dem ſie wiederum ihre weiten Spoziergänge an
freien Nachmittagen aufgenommen und der nicht mehr
nöthig hat, ſich nach einem Stocke umzuſehen, womit er
ſie züchtigen könne, weil ſie in ſeiner Gegenwart Thränen
vergoß. Sie zeigt die Würde einer Frau, ohne das Ge-
ringſte an der Naivität ihres heiteren, kindlichen Weſens
einzubüßen. 1 ; /
Ob dies auch dann noch ſo bleiben werde, wenn ihr
muß die Folge lehren. Jedenfalls wird ihr die Würde
einer Mutter Erſatz bieten, wenn die Naivetät des Kindes
Schaden leiden ſollte. N
Leopold Bernau und ſeine Frau ſind in dem Gefühle,
bald Großeltern zu werden, in einer bedeutend gehobe-
neren Stimmung, als ehedem. Dazu hat die günſtige Ver-
änderung der geſchäftlichen Lage ſehr vortheilhaft auf den
Fabrikanten eingewirkt. Die leichten Falten ſeiner Stirn
ind zwar nicht verſchwunden, aber die alte Ruhe iſt wie-
derum bei dem Geſchäftsmanne eingekehrt, und das Be-
wußtſein ſeiner Unabhängigkeit von jeglichem Wechſel der
Tagesſtrömung hat ihm eine Sicherheit des Urtheils ge-
geben, welche durch die finanziellen Schläge der Kriegs-
jahre nicht wenig erſchüttert war. In Folge diſſen und na-
mentlich auch in Folge des Umganges mit ſeinem ultra-
montanen Bruder begann er zuerſt über politiſche Dinge
anders zu denken wie früher, und als gewiſſe Geſetze theils
im deutſchen Reiche, theils bei der Vormacht d ſſelben ein-
Anhängern derselben; ja er fürchtete, daß damit das Reich
Bahnen einſchlüge, die unmöglich zu ſeinem Heile gerei-
chen könnten, und als er die einmüthige und herrliche Hal-
tung der deutſchen Biſchöfe wie des geſammten katholiſchen
Volkes gewahrte, konnte er ſich nicht enthalten, ihr den
jr L vierkeljährl. Mk. 1.20 ohne ſte
lag. Beſtellungen bei den Poſtanſtalten u. der Expedition.
Redaktion und Verlag von Joſ. Cremerius, H
9 Zwinger ſtraße 7
Anzeige ⸗ Blatt für die Amtsbezirke Heidelberg,
Eberbach, Sinsheim, Eppingen, Weinheim, Schwetzin-
gen, Wiesloch, Bruchſal, Bretten, Mosbach, Buchen,
5 Adelsheim, Walldürn c. A
Druck von Gebr. Zuber, Heidelberg, Zwingerſtr. 7.
Geidelberg, Dienstag, den 19. Tavenber“ 1085
30. Joh
Deutſches Reich.
* Berlin, 18. November.
— Der von nationalliberalen Blättern
unternommene Verſuch, für eine Wiederherſtellung des
Überen Reichstagspräſidi ums, d. h. des
Präſidiums vor der Bismarckehrung, Stimmung zu
machen, hat im Allgemeinen herzlich wenig Anklang
4 unden. Jetzt führt ſelbſt der „Hamb. Korreſp.“
len Nationalliberalen zu Gemüthe, daß ſie auf kei-
den Fall darauf rechnen könnten, im Präſidium mit-
bertreten zu ſein, höchſtens würde das Zentrum den
Konſervativen eine Stelle im Präſidium einräumen;
3 nimmt der „Hamb. Korr.“ an, daß die Deutſch-
onſervativen hierauf nicht eingehen und ſich auch die
Reichspartei dem nicht anſchließen wird. }
3 Der Entwurf des bürgerlichen Geſetz-
daches wird vorausſichtlich zu Beginn der 2. Hälfte
es Januar im Reichstage eingebracht. i
— Die konſervative Parteileitung kann der Zer-
etzung in der konſervativen Partei nicht
mehr Herr werden. Verzweifelt ſucht ſie daher die
gespaltenen Elemente durch einen Kampf gegen die
auderen Parteien zu ſammeln. Sie ſpricht von einem
Sturmlauſen aller Parteien gegen die konſervative
Partei und fordert ihre Parteigenoſſen auf, angeſichts
eſſen nicht wegen Meinungsverſchiedenheiten über
einzelne Punkte den Anſchein zu erwecken, als herr-
chen in der konſervativen Partei in großen grundſätz-
den Fragen Differenzen, als beſtehe eine gefähr-
Aohende Kriſis. Jetzt heiße es, das Ganze über Ein-
Awänſche ſetzen und die konſervative Fahne mit dem
bald „Ehriſtenthum, Monarchie, Vaterland“ hoch-
galten. Mit einer derartigen Wendung dürfte der in-
lere Streit denn doch nicht zu erledigen ſein; ſo leicht
wird auch in der konſervativen Partei nicht mehr
edre parirt. ı
K Die Majeftäts - Beleidigungen und die An-
lagen dieſerhalb mehren ſich in geradezu unheim-
ücher Weiſe ſeit der Sedan ⸗Rede unſeres Kaiſers,
liabe er ſich in ſehr erregter Weiſe gegen die ſchmäh-
üthen Beſchimpfungen des verſt. Kaiſers, Wilhelm I,
wandte und die Sozialdemokraten eine „Rotte von
mlenſchen“ nannte. Faſt immer ſind es die Redak-
198 ſoz.⸗dem. Zeitungen und zwar erfolgen die An
e und Verurtheilungen in ſolcher Weiſe, diß ſi-
klöſt bei den ſtreng königstreuen Leuten Bedenken er-
nigen. So bemerkt dazu der hochkonſervative „Reichs-
Ute“ in Berlin: ;
96) | Ber Sonderlin 9 (Nachdruck verboten)
. Roman von Philipp Laicus. .
„Als der eh
ieß,
„Ich kenne ihn nicht,“ entgegnete Lebrecht ebenſo leiſe,
aber ich will mich um ihn erkundigen.“ Er bat dann den
eben ihm ſitzenden Geiſtlichen um die betreffende Aus-
1 60 und nachdem er ſie erhalten, ſagte er zu ſeinem
er:
8 „Der dicke Herr, der da eben geſprochen und der beim
brechen immer ſo die Brille hinauf und hinunter geſcho-
Na iſt einer der fremden Präſides. Der Name iſt meinem
alder entfallen, aber er war früher Tünchergeſelle und
; 110 ſich erſt ſpäter dem geiſtlichen Stande gewidmet. Dies
in duch wohl der Grund, warum er ſich ſo ausgezeichnet
B die Lage der Arbeiter ſchicken und ihren Bedürfniſſen
utgegenkommen kann.“ ; .
jra Man ſollte den in's Parlament wählen, denn wenn
N 100 d einer,“ meinte Leopold, „die ſoziale Frage zu löſen
in Stande iſt, ſo iſt's dieſer.“ e |
„Lieber Leopold,“ entgegnete Lebrecht ironiſch lächelnd,
der iſt ein Reichsfeind.“
Berfelſer Geſellenverein.“ Da er dieſe
in ſeiner Fabrik fallen ließ, ſo
üge Jemand
„So ſehr wir ſerb ſtverſtändlich für die Aufrechterhalt-
ung der Autorität der Obrigkeit und vor Allem ihrer Spitze,
der Perſon des Monarchen ſind, ſo erſcheint uns doch eine
zu große Häufung der Majeſtätsbeleidigungsprozeſſe bedenk-
lich. Erfahrungsgemäß werden die Majeſtätsbeleidigungen
dadurch nicht vermindert, ſondern vermehrt, und in-
dem ſie dann in zweideutigen Redewendungen Unterſchlupf
ſuchen, wirken ſie erſt recht verderblich und vergiftend.
Und wenn ſie dann vom Gericht, wie im Falle Liebknecht,
aus ſolchen Verhüllun gen hervorgezogen werden, ſo iſt das
Uebele, daß dann die Verurtheilung zu ſchweren Strafen
wegen ſolcher anſcheinend harmlos klingender Redewend-
ungen als Majeſtätsbeleidigungen in der öffentlichen Mein-
ung kein Echo findet, ſondern der Verurtheilte eher als
Märtyrer erſcheint und ſo die Autorität der Obrigkeit
eher Schaden als Stärkung erfährt. Es iſt gewiß wahr,
daß jede Autorität ihren beſten Schutz in ihrer eigenen
ſittlichen und techniſch⸗tüchtigen Haltung hat, aber ebenſo
gewiß iſt, daß keine Auforität vor Angriffen ſicher iſt
und deshalb im Intereſſe der Ordnung geſchützt werden
muß. Aber dieſer Schutz muß, wenn er wirkſam ſein ſoll,
ebenſo weiſe wie energiſſch gehandhabt werden, und man
kann wohl ſagen: „Wenig iſt hier oft mehr als ein Viel.“
— (Staatskirchenthum in Braun-
ſchweig.) Das Herzoglich Braunſchweigiſch⸗Lüne-
burgiſche Staatsminiſterium hat unter dem 25. Octo-
ber d. J. an die katholiſchen Geiſtlich en im
Herzogthum folgende Verfügung erlaſſen:
„Im Aufrage Sr königl. Hoheit des Prinzen Albrecht
von Preußen uſw., Regenten des Herzogthums Braun-
ſchweig, laſſen wir Jynen anliegend in einem Exemplare
die Bezeichnung der bibliſchen Texte, welche den
Predigten an dem auf den 20. November d. J. fallen-
den Buß⸗ und Bettag zum Grunde zu legen ſiad, zugehen
und beauftragen Sie, ſolche bi den gottes dien ſt-
lichen Ver ſammlungen Ihrer Glaubensgenoſſen
an dem bezeichneten Tage zu benutzen.“ .
Wenn man dieſes lieſt, fragt man ſich unwillkür-
lich, ob wir jetzt wirklich im 19. Jahrhundert leben.
Daß im 16. und 17. Jahrhundert ſolche Verfügungen
erlaſſen wurden, kann man ſich erklären; wie aber
heute trotz den anerkannten Beſtimmungen des Weſt-
fäliſchen und Wiener Friedens und trotz den noch
ganz neuen Erfahrungen des Culturkampfes ſo etwas
geſchehen kann, iſt unbegreiflich. Waun wird
ſich auch das Herzogthum Braunſchweig dazu ver-
ſtehen, den Katholiken das Recht, welches jedem
katholiſchen, evangeliſchen und reformirten Deutſchen
in allen deutſchen Staaten zugeſichert iſt, das Recht
der freien Religionsübung zu geſtatten?
* Stutt zart, 18. Sept. Infol„e wiederholt eingelau-
ſener Klagen hat das Miniſterium des Innern die Ge-
meindebehörden aufgefordert, für die Unterbringung ver-
wahrloſter Kinder in Rettuagsanſtalten bedacht zu
ſein, ehe die Verwahrloſung einen zu hohen Grad er-
reicht hat, da im letzteren Fall ein ſittliche Beſſerung nur
ſchwer zu erzielen iſt.
iſt gerade wie der Bericht vom Berfelſer Geſellenverein,“
Es bleibt nun noch ſehr wenig zu erzählen übrig. Ho-
ratius und Hannchen find ein glückliches Paar geworden
und Beide ſiedelten bald nach ihrer Verheirathung nach
Mannheim über, woſelbſt Kurtzmann ein Mö bellager er-
öffnete, da ihm der bei der Kaſſe Lebrecht's eröffnete Credit
eine bedeutende Ausdehnung ſeines Geſchäftes geſtattete, ſo
daß der Abſatz in Berfels nicht mehr für ihn genügte.
Er ſelber jedoch wohnt noch in ſeinem Heimathſtädtchen
und hat daſelbſt ſeine Fabrik bedeutend vergrößert. Faſt
allwöchentlich geht er mit ſeiner Frau nach Mannheim oder
Horatius mit der ſeinigen nach Berfels. ;
Herr Gläfer hatte ſich dieſer Ueberſiedlung auf das
Lebhafteſte widerſetzt. Die Erinnerung an ſein Alleinſein
war ihm zu peinlich. Als aber Kartzmann durchaus von
dieſem Plane nicht ablaſſen wollte, ſo entſchloß er ſich end ⸗
lich, mit überzuſiedeln, zumal er immer noch eine tiefe Ab-
neigung gegen Lebrecht nicht überwinden konnte. Er lebt
wenn er dann und wann einen Rückfall hat und ſeinem
Sohne einen oder den anderen Schlingel und Hallunken
an den Kopf wirft, ſo iſt deſſen junge Frau ganz die ge-
eianete Perſon dazu, nichts auf ihren Mann kommen zu
laſſen, und unter ihrem Schutze befindet ſich Herr Horatius
vollkommen ſicher und wohl. Im Uebrigen iſt ſie eine ſehr
ſorgſame Hausfrau und umgibt ſowogl ihren Gatten
wie ihren Schwiegervater mit allen erdenklichen Bequem-
lichkeiten. ‘
Die Firma Bernau und Wıllbrand bat ebenfalls be-
deutende Vergrößerungen erfahren. Ihre Paſſiven ſind ge-
deckt und ſie genießt des Rufes großer Solidität. Die
Befürchtungen Lehrecht's, daß es zu Mißhelligkeiten zwi-
ſchen den beiden Aſſoce's kommen könne, hat ſich bis jetzt
tigen Angelegenheiten ſich mit ſeinem Schwieger ſohne zu
berathen. ; ; !
* Darmſtadt, 18. Nov. Prinz Heinrich von Preu-
ßen wird Anfaugs nächſter Woche mit ſeiner Gemah-
lin und dem Prinzen Waldemar nach Italien abreiſen,
um daſelbſt den Winter zu verleben. ;
* Würzburg, 18. Nov. Der unterfränkiſche
Landrath lehnte trotz warmer Befürwortung Seitens
des Kreisſchulreferenten die Poſition von 44,000 Mark für
Verbeſſerung der Lehrergehälter mit großer Mafo-
rität ab. Der Durchſchnittsgehalt für den Lehrer beträgt
jetzt nicht einmal 1000 Mark, } '
* Aus Bayern, 14. Nov. Die unterfränkiſche Ha n⸗
delskammer hat an die Generaldirektion der Stgats-
eiſenbahnen die Bitte gerichtet, es möchten in thunlicher
Bälde analog dem Vorbilde der großh. bad. Bahnen 1000
Kilometerfahrſcheinhefte mit der Gültigkeit von
1 Jahr eingeführt werden auf der perſonenzugskilometri-
ſchen Grundtax⸗ von 2 Pfg. für die 3. Wagenklaſſe, 4 Pfg,
für die 2. und 6 Pfg. für die 1. und unter Zuſchlag von
1 Pf. = der ½ Kilometertaxe = 50 Proz. bei Benützung
der Schnellzüge, ſo daß eine einzige Ausgabe von 1000
Kilometerheften für alle Wagenklaſſen und Zugsklaſſen
genügen würde. Gleichzeitig wird die Kammer die übrigen
Kammern um Unterſtützung bitten.
Ausland. ' ;
* Wien, 18. Nov. Im Abgeordnetenhauſe brachte zum
Schluß am Samſtage der Antiſemit Hauck eine Interpel-
lation, der deutſch⸗ klerikale Dipauli für ſich und Pattai
Namens der Antiſemiten einen Dringlichkeitsantrag wegen
Auflöſung des Wiener Gemeinderaths ein. Dipauli
beantragte eine Aufforderung an die Regierung, die Frage
zu beantworten: „Wie gedenkt der Miniſter die bedauer-
liche und ungewöhnliche Bezugnahme auf die Autorität der
Krone zur Begründung eines einfachen Regterungsaktes
mit den beſtehenden Verfaſſungsgeſetzen in Einklang zu
bringen?“ Der Antrag Pattai enthält die Aufforderung,
die ungeſetzlichen Maßnahmen des Statthalters auf-
zuheben und dem beleidigten Geſetze eine entſprechende
Genugthuung zu verſchaffen Der Miniſterpräſident Graf
Badeni erklärte, die Regierung ſei ſtreng konſtitutionell u.
es liege ihr ferne, verfaſſungsmäßigen Rechten nahezutre-
Sie müſſe ſich auch gegen den Vorwurf verwahren,
daß ſie hinter die Krone ſich verſtecke. Nach längeren Aus-
einanderſetzungen endigte die Sitzung. Lueger verwahrt
ſich gegen den Vorwurf der Ehrſucht; wenn er geſchwie-
gen und andere ruhig hätte ſtehlen laſſen, wäre er
wahrſcheinlich ſchon Bürgermeiſter. Graf Badeni
habe ihn in roher Weiſe angegriffen und Juſtizminiſter
Gleis pach ſei grob geweſen, nur Ackerbauminiſter Ledebur
habe ihn anſtändig behandelt, wofür er ihm dankt. Allse-
mein würden die Worte der Allerhöchſten Willensmeinung
dahin aufgefaßt: wer für Luege iſt, iſt gegen Kaiſer.
Das iſt nicht richtig. 3 ;
den Kaiſer, aus dem kath. Hauſe Habsburg-Lothringen,
ſondern gegen die Herrſchaft der Juden und Judaeo⸗Ma-
gharen. (Stürmiſcher langandauernder Beifall bei den
Autiſemiten und auf den Gallerien). Der Präſident gibt
das Glockenzeichen und will ſprechen, kann ſich aber in dem
großen anhaltenden Lärm nicht verſtändlich machen, ver-
läßt den Pläſtdentenſtuhl und gigt den Auftrag, die zweite
So leben Beide in ungetrübter Harmonie und Will-
brand iſt glücklich im Beſitze ſeines geliebten Weibes.
Dora iſt ſeit ihrer Verheirathung noch ſchöner gewor-
den und hat den ganzen heiteren Sinn wiedergefunden,
der eine Zeit lang durch die Sorge um Willbrand und
das Auftreten der ihr läſtigen Bewerber getrübt worden
war. Sie iſt mehr als je der Liebling ihres Onkels Leb ⸗
recht, mit dem ſie wiederum ihre weiten Spoziergänge an
freien Nachmittagen aufgenommen und der nicht mehr
nöthig hat, ſich nach einem Stocke umzuſehen, womit er
ſie züchtigen könne, weil ſie in ſeiner Gegenwart Thränen
vergoß. Sie zeigt die Würde einer Frau, ohne das Ge-
ringſte an der Naivität ihres heiteren, kindlichen Weſens
einzubüßen. 1 ; /
Ob dies auch dann noch ſo bleiben werde, wenn ihr
muß die Folge lehren. Jedenfalls wird ihr die Würde
einer Mutter Erſatz bieten, wenn die Naivetät des Kindes
Schaden leiden ſollte. N
Leopold Bernau und ſeine Frau ſind in dem Gefühle,
bald Großeltern zu werden, in einer bedeutend gehobe-
neren Stimmung, als ehedem. Dazu hat die günſtige Ver-
änderung der geſchäftlichen Lage ſehr vortheilhaft auf den
Fabrikanten eingewirkt. Die leichten Falten ſeiner Stirn
ind zwar nicht verſchwunden, aber die alte Ruhe iſt wie-
derum bei dem Geſchäftsmanne eingekehrt, und das Be-
wußtſein ſeiner Unabhängigkeit von jeglichem Wechſel der
Tagesſtrömung hat ihm eine Sicherheit des Urtheils ge-
geben, welche durch die finanziellen Schläge der Kriegs-
jahre nicht wenig erſchüttert war. In Folge diſſen und na-
mentlich auch in Folge des Umganges mit ſeinem ultra-
montanen Bruder begann er zuerſt über politiſche Dinge
anders zu denken wie früher, und als gewiſſe Geſetze theils
im deutſchen Reiche, theils bei der Vormacht d ſſelben ein-
Anhängern derselben; ja er fürchtete, daß damit das Reich
Bahnen einſchlüge, die unmöglich zu ſeinem Heile gerei-
chen könnten, und als er die einmüthige und herrliche Hal-
tung der deutſchen Biſchöfe wie des geſammten katholiſchen
Volkes gewahrte, konnte er ſich nicht enthalten, ihr den