Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Bote für Stadt und Land (30) — 1895

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.44154#0033
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Erſcheint käg lich wit Ausnahme der Sonn⸗ u. Feiertage
316248 vierteljährlich Mk. 1.20 ohne Trägerlohn u. Poſt-

Aufſchlag.
; 1 85 rpedition Zwingerſtraße 7.
Redakteur: Jof. Kremer ins Hauptſtr. 121, Heidelberg.


Anzeige⸗ Blatt für die Amtsbezirke Heidelberg,

Eberbach, Sinsheim, Eppingen, Weinheim, 1 in-

gen, Wiesloch, Bruchſal, Bretten, Mosbach, Buchen
Tauberbiſchofsheim, Walldürn de. ;

Druck u. Verlag Gebr. Zuber, Heidelb., Zwinge
ne .

Nr. 8.

pedclhen Donnerstag, des 10. Januar 109

* Porgen oder Rauben.

Unſitten gibt es gar viele unter den Menſchen,
aber keine ſchneidet wohl ſo ſehr in das Fleiſch des
Volkes, des kleinen Geſchäftsmannes, als die gerade
von dem beſſer geſtellten Publikum vielfach
geübte Unſitte des Borgens oder Creditnehmens.
Der kleine Handwerker beſonders iſt nicht in der
Lage, einen gewiſſen Vorrath von Geld zu beſitzen,
wie der Fabrikant oder der Kaufmann, welche einfach
dahineingreifen, falls die täglichen Einnahmen nicht
ausreichen, um die erforderlichen Zahlungen decken zu
können. Der kleine Handwerker hat dagegen wie jeder
andere Menſch täglich ganz beſtimmte Ausgaben
für ſeinen Lebensunterhalt u. ſ. w. und dieſe ſoll u.
muß er baar bezahlen. Der kleine Mann darf
niemals dazu ſchreiten, gewohnheitsgemäß Lebensmittel
auf Borg zu nehmen; das iſt ein gefährliches Be-
ginnen und diejenigen, welche es doch thun, kommen
immer tiefer in die Kreide und untergraben ſchließlich
ihre ganze Exiſtenz. Man hat unzählige Beiſpiele
für die Wahrheit des hier Geſagten; aber für heute
wollen wir uns nicht darauf einlaſſen, die Beweiſe


finden und darzuſtellen, wie verwerflich es iſt,


gleich baar bezahlt und vielleicht noch gar einen lang-
ausgedehnten Borg oder Credit von ihm verlangt,
— ihm ſolchen gewiſſermaßen abnöthigt oder von
ihm erpreßt. Mit Recht wird deshalb ein ſolcher
Credit einem Raube gleichgeſtellt und manche be-
zeichnen ihn deshalb mit dem ſchönen Namen Raub-
Credit.

Leider muß man geſtehen, daß nirgends ſo ſehr
wie bei uns der Unfug ſich eingebürgert hat, dem
Handwerker u. das ſauer verdiente Geld ſchuldig zu
bleiben; nirgends iſt es wie bei uns ſozuſagen Mode,
dem Gewerbetreibenden den Lohn für ſeine Arbeit
oft recht geraume Zeit vorzuenthalten. n
neunzig Fällen von hundert, ſo ſagte neulich die „Allg.
Tiſchlerzeitung“, fällt es dem Gewerbetreibenden nicht
ein, dem Kunden freiwillig Credit anzubieten; aber
man fragt den oft finanziell bedrängten Gewerbe-
treibenden gar nicht, ob man ihm ſchuldig bleiben
darf, man erzwingt den Credit. Der Schuh-
macher liefert für die ganze Familie die Fußbekleid-
ung ab. Er hat ſich beeilt, die Arbeit am Freitag
fertigzuſtellen, um ſich den Arbeitslohn für ſeine Ge-
hilfen für den Samstag zu ſichern. Man nimmt die

. Nachdruck verboten.
Helene? en
34) Erzählung von Th. Küſter. ;

„Du ängſtigſt mich, Papa! — Was iſt es, das mi
bedroht?“ fragte Helene bleich und erſchreckt; doch nicht
5 einen Augenblick hatte ihr Herz dabei des Geliebten gedacht,
L ich — und durch wen, Vater ?
. Stumm reichte der

und mit weit offenen, erſchrockenen Augen las ſie:
. „Herr Baron: verzeihen Sie, wenn ein alter Freund
Ihres Hauſes ſich hinter dem Schleier der Anonymität
verbirgt, um Sie zu warnen vor dem ſchamloſeſten,
nichtswürdigſten Betrug, der gegen Sie, namentlich
aber gegen ihre liebenswürdige, engelgute Tochter,
Baxoneß Helene, in's Werk geſetzt wurde und den zu
entlarven es wohl hoffentlich noch nicht zu ſpät ſein

ird. Ich bin von Allem genau unterrichtet und Sie
werden ſelbſt einſehen, daß meine warnende Stimme
eine vollberechtigte war. Ein Graf Dalberg hat ſich
bei Ihnen einführen laſſen und iſt, wie ich zu meinem
Schrecken ſoeben erfahren, bereits der Verlobte ihrer
Tochter. Nun, dieſer Graf Dalberg iſt bekannt als
einer der erſten Wüſtlinge unſerer Reſidenz, dabei tief
und hoffnungslos verſchuldet und nur noch nomineller
Beſitzer der ihm von ſeinem Vater — einem Ehren-
manne — vererbten Herrſchaft. Zur Charakteriſirung
dieſes gewiſſenloſen Menſchen möge Ihnen die Nach-
richt dienen daß er mit Ihrem entfernten Verwandten
Wittenhoff⸗Pleſſen (der ſich öffentlich jetzt als Majorats-
erben gerirt und als ſolcher — denn unter anderen
Verhältniſſen wäre ihm das nicht gelungen — kürzlich
mit der ſehr begüterten, verwittweten jungen Frau von
Arnheim verheirathet hat) ſeit einer Reihe von Jahren
bereits aufs Engſte verknüpft iſt. Zwiſchen den zwei wür-
digen Freunden gedieh das Projekt zur Reife, deſſen
Opfer Sie und Baroneß Helene werden sollten, das
ich aber noch rechtzeitig zu Schanden zu machen hoffe.
Graf Dalberg, ohne Sie oder Ihre Tochter vorher

1






DE

85

ihm, er ſolle „nächſtens die Rechnung ſchicken!“ Der
Handwerker ſteht betroffen da, entfernt ſich zögernd
und weiß nicht, wovon er am nächſten Tage leben
und zahlen ſoll; aber er darf Nichts reden, denn
es iſt ja ſo Mode, und man ſchweigt, um ſich die
Kundſchaft zu erhalten. Thut er es nicht, thut es ein
Anderer. n

Die Aerzte ſind ſchon zum Theil darin überein-
gekommen, bei unbekannten Patienten auf ſofortige
Honorirung zu dringen. Es gibt Idealiſten, die es


ob der Arzt nicht auch leben müßte! Wie viele
ſchlimme Erfahrungen haben die Aerzte gemacht, bis
ſie ſich an manchen Orten dagegen auflehnten, nach
Jahren oder gar nicht ihr wohlverdientes Geld ver-
langen zu ſolln !!!

Was die Aerzte zum großen Theil ſchon gethan
haben, das müßten auch die Gewerbetreibenden thun,
um ſich gegen die „vornehme Mode“ des Rauberedits
aufzulehnen. Sie ſollten ſich vereinen, um gegen
einen ſolchen Mißbrauch der Geduld des Gewerbe-
treibenden Stellung zu nehmen. Der Einzelne iſt
ohnmächtig, aber ein einheitliches, gemeinſames Vor-
gehen wäre von den wohlthätigſten Folgen. Es iſt
ja begreiflich, daß Leute dem Handwerker ꝛc.

lich ſchwer fällt, — daß ſie ihn aber ſchuldig bleiben,

er den Credit gewähren will und darf, das iſt un-
verzeihlich, das iſt — Raub. Aber gerade jene Gat-
tung Leute erpreßt dem Handwerker in den meiſten
Fällen den Credit, welche zahlen können, aber nicht
zahlen wollen: es iſt das „beſſere Publikum“, wel-


zählige Mal um ſein Geld laufen zu laſſen, — vou


darauf ausgehen, den Gewerbetreibenden um ſein Geld
zu prellen. Bei den Einen, die ſo gern ſchuldig
bleiben, iſt es Gedankenloſigkeit, bei den Andern
Rückſichtsloſigkeit. Gewiß würden es Viele unter-
laſſen, wenn ſie wüßten, daß der Gewerbetreibende
dadurch oft in die furchtbarſte Verlegenheit geräth, ja
daß er ſelbſt dadurch zu Grunde gehen kann.

Nun ſind, das muß auch geſagt werden, manche
Gewerbetreibende nicht ohne Schuld an dem Fort-
beſtande dieſes zerrüttenden Unfugs. Wie oft thun
ſie der Kundſchaft gegenüber, welche die Leiſtung ent-
gegennimmt, als ob es ihnen eine Ehre wäre, daß



alten Herrn dort, der von dieſem Schurkenſtreich

vorſtellen, um das 191 8 der jungen Baroneß zu ge-
winnen und mit deren Vermögen ſeine troſtloſen Ver-
hältniſſe aufzubeſſern. — Das iſt die — leider trau-
rige Wahrheit, Herr Baron, und der Graf, wenn Sie
ihn auf Ehre und Gewiſſen befragen, wird dieſelbe
nicht ableugnen können. — Es khut dabei Nichts
zur Sache, Herr Baron, ob Sie wiſſen, von wem
dieſe Warnung kommt: Hauptſache iſt, daß ſie kommt


Ihnen mit dem Bewußtſein, ein gutes Werk gethan
zu haben, } .
. ; „Ein alter und redlicher Freund.“
„Helene war ſehr bleich geworden, während ſie den
Brief geleſen hatte. Sie reichte das Schriftſtück ihrem
Vater hinüber. i
zUnd Du glaubſt dies Alles, Vater?“
Der Ton ihrer Frage war ſchmerzlich, vorwurfsvoll.
„Ich wünſche von ganzem Herzen, mein Kind, daß
dieſer Brieſ eine unverſchämte Lüge enthalten möge.
Wir werden ja Dalberg Rechtfertigung hören; hoffen
wir, daß er im Stande ſei, das Ganze als eine infame
Verleumdung hinzuſtellen, als eine aus Neid oder perſön-
lichem Haß geborene Hinterliſt. Ich habe ihn bis jetzt für
einen Ehrenmann gehalten; doch, mein gutes Kind, die
Welt iſt ſchlecht und es gibt Menſchen, welche unter der
Maske eines auten edlen Charakters ihr Glück perſuchen;
ſollte Dalberg zu dieſen gehören und nicht im Stande ſein
den Inhalt dieſes Briefes ee zu widerlegen, nun
ſo freue Dich vielmehr, daß die Warnung nicht zu ſpät
kam, denn ein langes Leben der Enttäuſchung würde ſonſt
Dein Loos geweſen ſein.“ 5
O sprich doch nicht ſo, Papa! — Es iſt ja nicht
möglich, daß er mich betrogen hat, daß er mir ſeine Liebe
nur heuchelte und all' ſeine Worte und Verſicherungen
nur leerer Schall, nur Lüge und Berechnung waren
Nein, Vater, ſo ſchlecht kann Er nicht, kann kein
Menſch ſein um des Geldes willen!“




OTE

Geld dringend brauchen! Dadurch iſt das Publiku
geradewegs dazu erzogen worden, es für ſelbſtver-
ſtändlich zu halten, daß man den Handwerker, den
Gewerbetreibenden nicht gleich bezahlt. Es gibt auch
ſolche, die aus falſcher Scham nicht ſofort ihr Geld
verlangen. Die Meiſten aber gewähren den Credit
unter dem Zwang der Verhältniſſe, unter
dem Zwang, den man ihnen anthut. ; ;
Dieſem Uebel, unter dem das Geſchäftsleben und
ganz beſonders das Kleingewerbe leidet, kann nur

Wenn alle die Handwerker, wenn die Gewerbetreiben-
den ſich gegenſeitig ſtreng verpflichteten, gegen
den Rauheredit Stellung zu nehmen, wenn ſie nur
dort Credit gewährten, wo das vocher gegenſeitig abge-
gemacht worden iſt, und ſonſt nicht lieferten, wenn
man ihnen nicht das Geld hinlegt, — dann würde Nie-
mand mehr fürchten, daß er dadurch ſeine Kundſchaft
verliert, dann wird es aber auch mit dem Kleinge-
werbe anders geſtellt ſein. Nicht unter den ſchlechten
Zeiten allein, die wir Alle beklagen, leidet das Klein-
gewerbe, nicht von der Concurrenz und namentlich
der ſchäbigen, oft mit unreellen Mitteln und be-
trügeriſchen Waarenbezügen arbeitenden Concurrenz
allein wird der ehrliche Handwerker, der Ladenin-
haber, der Kaufmann bebrängt und bedrückt: gar ſehr

preßten Credit.

Freilich iſt es ſehr ſchwer — an manchen Orten
wird es wohl unmöglich ſein — ſolche Vereinigungen
zu Stande zu bringen, weil die Furcht, auf ſolche
Weiſe an Kundſchaft zu verlieren, die Gemüther zu
ſehr niederdrückt und entmuthigl. Auch der kleine
Geſchäftsmann muß mit den Verhältniſſen rechnen u
die verſchiedenſten „Rückſichten“ nehmen, beſonders
wird dies der Anfänger thun, der bekanntlich viel
„lieber“ ein Borg⸗Riſiko übernimmt als der ältere,
ſchon eingeführte Handwerker. Wir ſtehen hier vor
einem ſehr ſchlimmen Uebel, deſſen gänzliche Ausrott-
ung wohl niemals gelingen wird. Immerhin iſt der
vorgeſchlagene Weg der Einigung ein ſehr zu em-
pfehlender; er kann wirklich Vieles zur Beſſerung
beitragen. Ein ſolches Vorgehen übt auch eine mora-
liſche Wirkung auf Diejenigen aus, velche ſonſt gern
ſich eines unverſchämten Borgs bedienen; es macht,
daß mancher ſich doch etwas ſchämt, beſonders wenn
ſolche Vereinigungen die Oeffentlichkeit, die Preſſe u
ſ. w. für ihre guten Ziele in geſchickter Weiſe zu be-
nutzen verſtehen. ; 5

Anderſeits aber muß man an die Beſſer geſtellten .

e



Helene, Du haſt weder Welt⸗ noch Menſchenkenntniß:

Trug, als Du glaubſt, und ſchon
dle, gute Herz iſt dadurch gebrochen worden.
Darum ſei ſtark, mein Mädchen, und nimm Dir es nicht
zu ſehr zu Herzen; ich könnte Dir in dieſer Beziehung

manches edle,

der Freiherr.

Voller Angſt, ſtarren Blickes hatte Helene den Worten
ihres Vaters gelauſcht. Mit einem Schmerzenston, der
tief des Freiherrn Herz erzittern machte, ſagte ſie

„Und wenn es dennoch wahr wäre, Vater — wenn
er mich belogen ... O es wäre entſetzlich!“ — e

Sie ſchauderte und bedeckte ihr Geſicht mit beiden
Händen. Dann ſaß ſie ſtill, ſinnend da; all' ſeine Liebe
ſeine Zärtlichkeit rief ſie ſich ins Gedächtniß zurück. ;

„Und Alles ſollte nicht wahr ſein?!“ murmelte ſie,
verzweiflungsvoll die Hände ringend.

Mitleidig ruhte des Freiherrn Blick auf ſeinem Kinde;
das Herz wollte ihm brechen, als er ihren Schmerz, ihre
Jammer ſah. Und noch zweifelte ſie ja, noch hielt ſie e
nicht für möglich, nicht für denkbar, daß Er — der ſo rein
und treu Geliebte — ſolcher Falſchheit fähig. — On

„Der 1 ſtrebte zuerſt nach Gewißheit, nach Be-
weiſen. Er ſchrieb, etwa eine Stunde nach Empfang
jenes anonymen Briefes, an einen intimen Freund in
der Reſidenz und bat dieſen, genaue Erkundigungen über
e und das Vorleben des Grafen einzu-
ziehen. 1
Die Stunde rückte heran, um welche Dalberg täglich
zu kommen pflegte. Helene ſtand am Fenſter und blickte
hinaus nach ihm; ſie ſah ihn kommen — ſorglos und

eiter wie immer. Nichts von den trüben Ahnungen oder

edanken des Abends vorher ſchien ihn mehr zu drücken.
Er ſuchte ſie mit dem Blick und winkte ihr froh lächelnd
au, als er ſie erkannt hatte. — Helene ging ihm bis zur
Thür entgegen wie ſonſt —nur bleicher als ſonſt, mit
ängſtlichem Ausdruck in den Zügen. —

„ Gortſetzung folgt.)
 
Annotationen