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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0046

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dern in Laubhütten, die für diesen Zweck errichtet und
anschließend verbrannt werden. Die Hütten liegen nur
100 m vom Dorf mit den festen Häusern entfernt (Chri-
stensen 1967, 116). Diese Wohnform ist als Rückgriff
auf traditionelle Lebensweisen zu verstehen. Im perma-
nenten Winterdorf derselben Gruppe findet sich ein
Raumtyp (kepar), der zwar aus einer Steinmauer mit
Lehmmörtelbindung besteht, aber durch ein bis auf den
Boden heruntergezogenes, laubgedecktes Dach ebenfalls
den Eindruck einer Laubhütte erweckt (Christensen
1967, 119).

Ein ähnliches Beispiel für kulturelle Tradition ist aus
Jordanien bekannt. Die cAbbäd-Beduinen im Jordantal
sind innerhalb einer Generation dazu übergegangen,
statt in Zelten in festen Häusern zu wohnen. Die ver-
änderte Wohnweise ist mit einem ökonomischen Wan-
del verbunden, dem Übergang von transhumantem
Viehzüchtertum zu seßhaftem Ackerbau. Die räumliche
Organisation der Aktivitäten innerhalb der festen Häu-
ser lehnt sich jedoch an die ehemalige Raumaufteilung
in den Zelten an (Layne 1987, 351 ff.).

d 2) Ideelle Faktoren

Symbole bringen spezifische Glaubens- oder Wertvor-
stellungen einer Kultur zum Ausdruck. Ihre Bedeutung
ist allen Mitgliedern der kulturellen Gemeinschaft be-
kannt. Mit ihrer Hilfe kann sogar eine Gruppenzugehö-
rigkeit definiert werden (Hodder 1982b). Sie können in
Häusern eingesetzt werden und regelnVerhaltensweisen
von Bewohnern und Gästen.

Die Anordnung und Organisation der Räume in den
Häusern der Betsileo (Madagaskar) hat symbolische Be-
deutung (Kus - Raharijaona 1990). In der malegassi-
schen Vorstellungswelt symbolisiert der Norden das
Alter und der Osten das Heilige. Diesen Ideen folgend
befinden sich in den Wohnräumen der Häuser die Ein-
gangstür sowie der Hühnerkorb in der Südwestecke und
die Sitzplätze der Alten sowie die Opferstellen für die
Ahnen in der Nordostecke (ebenda 26).

Der Einfluß ideeller Faktoren auf die räumliche An-
ordnung von Aktivitätszonen innerhalb eines Hauses
wird ferner am Beispiel der Ilchamus (Kenia) deutlich
(Hodder 1987). Strikt getrennt von anderem Hausmüll
deponieren die Ilchamus den Ascheabfall der Herdstel-
len an einer festgelegten Stelle innerhalb des Gehöftes
hinter der Frauenhütte. Die Lagerung der Asche an einer
anderen Stelle, vor allem außerhalb des Gehöftes, wäre
mit Tod und Verfluchung verbunden (ebenda 433).

d 3) Sozio-psychologische Faktoren
Einen wichtigen Einfluß auf Hausformen haben sozio-
psychologische Faktoren. Sie sind zwar kulturell ge-
prägt, kommen aber persönlichkeitsbezogen zum Tra-
gen. Sie werden vom psychologischen Befinden des Ein-
zelnen innerhalb eines gegebenen kulturellen Rahmens

gesteuert. Dazu gehört zum Beispiel eine Abgrenzung
des Einzelnen oder der Gruppe (Familie) gegen andere
Haushaltsmitglieder bzw. Haushalte, die dem Wunsch
nach Identität und Individualität entspricht.

Ein Beispiel dafür liefert eine Untersuchung der Häu-
ser von Nubiern, die wegen des Baus des Assuan-Stau-
dammes in Ägypten in neue Dörfer umgesiedelt wurden
(Gauvain - Altman - Fahim 1983). Die vom Staat ge-
bauten Häuser wiedersprachen dem Bedürfnis der
neuen Bewohner sowohl nach Individualität als auch
nach Identifikation mit ihrer Gruppe. Deshalb wur-
den die «Regierungshäuser» von den Bewohnern bin-
nen kurzer Zeit durch Bemalungen, eine Erhöhung der
Außenmauern oder Errichten einer Sitzbank vor dem
Haus in «nubische Häuser» umgewandelt, um die Auf-
rechterhaltung von Werten wie Privatsphäre, soziale
Kontakte und ostentative Gastfreundschaft durch ihre
Häuser zu gewährleisten (ebenda 199 f.).

Ein häufig anzutreffender sozio-psychologischer Fak-
tor ist die räumliche Unterscheidung zwischen abge-
schlossenem, privatem Bereich und nach außen gewand-
tem, öffentlichem Bereich innerhalb eines Hauses.
Durch Raumanordnungen und architektonische Sym-
bole ist die Abgrenzung zwischen Innen und Außen,
d. h. zwischen Individuum und Gesellschaft regulierbar.
Das arabische Haus mit seiner Trennung zwischen Räu-
men für Gäste und solchen, die nur von Mitgliedern der
Familie betreten werden dürfen, ist ein prägnantes Bei-
spiel dafür (Nippa 1991, 125).

d 4) Repräsentative Faktoren

Unter repräsentativen Faktoren werden Symbole in
Häusern verstanden, die der Selbstdarstellung seiner Be-
wohner dienen. Mit ihrer Hiife werden Macht, sozialer
Status, Wohlstand, Abstammung, Wissen oder gesell-
schaftsexterne Kontakte zur Schau gestellt. Dies äußert
sich in zusätzlichen Investitionen von Raum, Dekora-
tion, Materialien, Formen oder Techniken, für die keine
direkte funktionale Notwendigkeit besteht (McGuire -
Schiffer 1983, 281; Heinz 1997, 30). Repräsentative
Faktoren in der Architektur sind sehr eng mit sozialen
und ökonomischen Aspekten verbunden (s. u.). Je diffe-
renzierter eine Gesellschaft, d. h. je größer ihre soziale
und wirtschaftliche Ungleichheit ist, desto höher ist der
Anspruch auf Repräsentation in Form von symbolischer
Bedeutung der Architektur (McGuire - Schiffer 1983,
282). Repräsentation in Häusern muß aber kein direk-
tes Spiegelbild des sozialen oder ökonomischen Status
seiner Bewohner sein. Dies wird am Beispiel von ameri-
kanischen Häusern des 18. Jhdts. in Maryland verdeut-
licht, in denen prunkvolle Gärten angelegt wurden, ob-
wohl die Bewohner tatsächlichen Zugang zu Wohlstand
und Macht verloren hatten (Leone 1987, 630). Reprä-
sentation kann auch dazu dienen, tatsächliche Gegeben-
heiten zu vertuschen.

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