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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0055

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häuser von Kern- oder erweiterten Familien berechnet
werden (Kramer 1982, 125), während er in Hasanabad
(Iran) für denselben Haustyp bei 7,3 m 2 liegt (LeBlanc
1971, 211). In beiden Fällen beruht die Berechnung auf
der Fläche von überdachten Wohnräumen (ohne Vor-
rats- und andere Wirtschaftsräume).

In Tall i-Nun (Iran) werden große Schwankungen in
Abhängigkeit vom Haustyp deutlich: Im alten Dorf liegt
die Bewohnerdichte bei 33 m 2/Person und im neuen
Dorf bei 200 m 2/Person, jeweils bezogen auf die Ge-
samtfläche der Häuser. Wenn nur die überdachten
Hausflächen berücksichtigt werden, liegt der Wert bei
11 m 2/Person im alten Dorf und 30 m 2/Person im neuen
Dorf (Jacobs 1979, 187).

Ethnographische Untersuchungen liefern Erklärun-
gen, warum auch innerhalb einer einheitlichen geogra-
phischen Region die Werte für den Wohnflächenbedarf
variieren können. Wie eine vergleichende Untersuchung
von Pueblo-Siedlungen im amerikanischen Südwesten
mit unterschiedlichen Siedlungsdichten zeigt, sind Häu-
ser in eng bebauten Siedlungen - ohne mehr Bewohner
zu beherbergen - größer als Häuser in locker bebauten
Orten (Dohm 1990). Folglich nimmt der Flächenbedarf
pro Person in dichter bebauten Siedlungen zu. Die
Schwankungen im Platzbedarf einer Person sind nicht
nur von bausubstanz-bezogenen, ökonomischen und
kulturellen Normen abhängig, sondern auch von psy-
chologischen Faktoren. Dohm (1990, 232) konnte zei-
gen, daß bei höherer Bebauungsdichte einer Siedlung
der Bedarf einer Person an Wohnfläche zur Erhaltung
ihrer Privatsphäre steigt.

Um Bewohnerzahlen in einer archäologischen Studie
auf der Grundlage von Wohnhäusern berechnen zu kön-
nen, müßte der durchschnittliche Platzbedarf einer Per-
son für die betreffende Kultur, Hausform und Siedlungs-
form bekannt sein. Selbst dann könnten Bewohner-

schätzungen nicht auf der Ebene einzelner Häuser ange-
stellt werden. Selbst innerhalb eines Ortes kann derselbe
Haustyp von unterschiedlich großen Haushalten be-
wohnt sein (Nissen 1968, 108). In einem Dorf der Kek-
chi-Maya in Belize variiert der einer Person zur Verfü-
gung stehende Platz zwischen 4,2 und 28,0 m 2 (Wilk
1983, 107). Mit Platzbedarfsberechnungen läßt sich
also nicht die spezifische Bewohnerzahl eines Hauses,
sondern nur die durchschnittliche Bewohnerzahl von
Häusern und die spezifische Bevölkerungszahl einer
Siedlung eingrenzen.

Verläßlicher als auf der Grundlage der Wohnfläche ist
eine Schätzung der Bewohnerzahl an Hand der Anzahl
der in einem Haus rekonstruierbaren Kernfamilien. Kul-
turvergleichende soziologische Studien kommen zu dem
Ergebnis, daß Kernfamilien (bzw. die «Grundeinheiten
der häuslichen Produktion, Reproduktion und des Kon-
sums») auch unter variierenden äußeren Bedingungen
und in diachronischer Sicht eine annähernd konstante
Größe aufweisen (Goody 1972, 111 ff.; Laslett 1972b,
126). In einem internationalen Austausch demographi-
scher Forschungsergebnisse, organisiert 1969 durch die
«Cambridge Group for the History of Population and
Social Structure», wurden die Familiengrößen an Hand
der verfügbaren, aus vorindustrieller Zeit stammenden
demographischen Quellen aus England zwischen 1574
und 1821 n. Chr., aus Frankreich im 18. Jhdt., aus Ser-
bien im 18. Jhdt., aus Japan im 18. Jhdt. und aus dem
kolonialen Amerika des späten 17. Jhdts. verglichen
(Laslett 1972a, 49 ff.) (Abb. 2).

Die Größe der Kernfamilien liegt zwischen ca. 3,5
und 5 Personen, d. h. im Durchschnitt besteht eine
Kernfamilie aus zwei Erwachsenen und 2-3 Kindern.
Zusätzlich findet sich bei jeder Kernfamilie durch-
schnittlich eine weitere Person, die ein unverheirateter
Verwandter, ein Bediensteter, ein Abhängiger oder ein

PERSONENZAHLEN

England

England

Frankreich

Serbien

Japan

Amerika

(durchschn.)

1574-1821

1599

1778

1733-4

1713

1689

Erwachsene*

1,63

1,71

1,72

1,83

1,63

1,94

Kinder

2,03

1,64

2,36

1,57

1,96

3,07

Kernfamilie

3,66

3,35

4,08

3,40

3,59

5,01

(= Erwachsene + Kinder)







zusätzl. Mitbewohner

1,09

1,40

0,97

1,50

1,36

0,84

Haushalt insgesamt

4,75

4,75

5,05

4,90

4,95

5,85

Anteil d. Kernfamilien

-

78%

76%

67%

43%

90%

(' = "Erwachsene" steht für die durchschn. Zahl der Haushaltsvorstände und ihrer Ehepartner pro Haushalt)

Abb. 2 Die durchschnittlichen Familiengrößen in fünf Gesellschaften

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