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Pfälzner, Peter
Haus und Haushalt: Wohnformen des dritten Jahrtausends vor Christus in Nordmesopotamien — Mainz am Rhein, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.29472#0056

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anderer nicht-verwandter Mitbewohner sein kann. Mit
Ausnahme des Beispiels aus Japan, bei dem sich Kern-
familien und erweiterte Familien die Waage halten, be-
stehen jeweils über die Hälfte der Haushalte aus einer
Kernfamilie. Einschließlich der Mitbewohner liegt die
durchschnittliche Haushaltsgröße der verglichenen Ge-
sellschaften zwischen ca. 5-6 Personen.

Diese auffällig konstanten Zahlen von historischen
Haushalten aus Europa, Asien und Amerika sollen mit
Beispielen traditioneller Siedlungen der Lehmarchitek-
tur aus einer geographisch, klimatisch und kulturell
völlig unterschiedlichen Region verglichen werden.
Der Mittelwert für die Haushaltsgrößen von 29 ethno-
graphisch untersuchten Siedlungen aus dem Vorderen
Orient (Iran, Irak, Syrien, Jordanien) liegt bei 5-6 Ein-
wohnern pro Haus (Aurenche 1981b, 99). Auch die
Mittelwerte von 6,14 Einwohnern /Haus bei großen
Siedlungen (> 10 ha), von 6,57 Einw. /Haus bei mitt-
leren Siedlungen (10-3 ha) und von 5,17 Einw./Haus
bei kleinen Siedlungen (3-1 ha) sind auffällig konstant
(ebenda Tab. 4).

Ein genauerer Blick auf die Mittelwerte für die Haus-
haltsgrößen jeder einzelnen Siedlung der Liste von
Aurenche läßt erkennen, daß die Orte in zwei Gruppen
zu unterteilen sind: solche mit 4-6 Einwohnern/Haus
und solche mit 8-9 Einwohnern/Haus (Abb. 3). Darin
scheinen sich zwei unterschiedliche Haushaltsformen
anzudeuten: Kernfamilien und erweiterte Familien. Die
eine Gruppe von Siedlungen scheint vorwiegend aus
Haushalten mit nur einer Kernfamilie zu bestehen, wäh-
rend in der anderen Gruppe Haushalte mit erweiterten
Familien zu überwiegen scheinen.

Aliabad (Iran), das in die Daten von Aurenche nicht
einbezogen wurde, liefert vergleichbare Ergebnisse. Der
durchschnittliche Haushalt besteht aus 6 Personen.

Abb. 3 Durchschnittliche Bewohnerzahl pro Haus
in Siedlungen des Vorderen Orient

Dabei ist zu beobachten, daß die ärmste Haushaltskate-
gorie 1 durchschnittlich 4,6 Personen zählt, die 2. Kate-
gorie 5,8 Personen, die dritte Kategorie 5,9 Personen
und die reichste, vierte Kategorie 8,6 Personen (Kramer
1982, 69, Tabl.3,6). Gleichzeitig enthält die vierte Kate-
gorie den größten Anteil an erweiterten Familien (55%,
gegenüber 18% bei den landlosen Haushalten), wo-
durch die steigenden Haushaltsgrößen erklärt werden
können (ebenda 123). Kennzeichnend für die Größe der
Kernfamilien in Aliabad ist, daß die «Wohnräume», die
jeweils das Domizil einer Kernfamilie in einem Haus
sind, von durchschnittlich 4 Personen bewohnt werden
(ebenda 125).

Für die in einer geographisch und kulturell völlig un-
terschiedlichen Region gelegenen Siedlungen der Urein-
wohner in Kalifornien (USA), über die detaillierte ethno-
graphische und historische Daten vorliegen, sind gleiche
Familiengrößen bekannt (Cook - Heizer 1968, 89). Die
durchschnittliche Familiengröße der Ureinwohner liegt
in fast allen der 30 kalifornischen Regionen bei 6,0 Per-
sonen, nur in Ausnahmen beträgt der Mittelwert 7,5
Personen (ebenda 90 Tab. 2) 10).

Eine einzigartige, vollständige Information über
Haushaltsgrößen in einem Gebiet mit Wohnhäusern in
traditioneller Lehm- und Steinbauweise liefert die
Volkszählung des Jahres 1975 in der Arabischen Repu-
blik Yemen. Die Datengrundlage bilden 4,5 Millionen
Personen in ca. 50.000 Siedlungen (Steffen et al. 1978,
1/56 ff.). Die Hausformen waren zum Zeitpunkt der
Volkszählung 1975 wegen der Abgeschlossenheit des
Landes noch weitgehend ohne «modernen» Einfluß.

Obwohl die Provinzen zum Teil sehr unterschied-
liche Voraussetzungen bieten (feuchtes/trockenes Klima;
Hochland/Tiefland; Ackerland/Steppe/Wüste; Lehm-
architektur/Steinarchitektur/Schilfarchitektur) sind die
durchschnittlichen Hausbewohner- und Haushaltsgrö-
ßen erstaunlich einheitlich (min. 4,6; max. 6,1) und ent-
sprechen den Werten der anderen angeführten Kultur-
regionen (s. o.). In jedem Haus wohnt im Durchschnitt
nur wenig mehr als ein Haushalt, dessen durchschnitt-
liche Größe 4,9 Personen beträgt (Abb. 4) 11).

Beim Blick auf die einzelnen Distrikte der 10 yemeni-
tischen Provinzen bestätigt sich die Stabilität der Haus-
haltsgrößen (Abb. 5-6). Merklich höhere Werte für

10) Die höheren Werte in einzelnen Regionen dürften davon beein-
flußt sein, daß normalerweise Kernfamilien zu Grunde gelegt wurden,
aber in einigen Fällen auch nahe Verwandte mitgerechnet wurden
und es sich folglich um erweiterte Familien handelt (Cook - Heizer
1968, 89).

n) Den Daten liegen folgende Definitionen zugrunde: Haus = eine
bewohnte oder unbewohnte Wohneinheit (dwelling unit); Haushalt
= zusammen wohnende wirtschaftliche Einheit, die aus einzelnen Per-
sonen, einer Kernfamilie oder mehreren Familien bestehen kann (vgl.
Steffen et al. 1978, 1/137).

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