Ruskin, John: Ausgewählte Werke in vollständiger Übersetzung (Band 8): Steine von Venedig (Teil 1) (Leipzig, 1903)

DER WINKEL

§ 1. Wir haben jetzt die Behandlung und die besonderen
Arten von Ornament, die uns zur Verfügung stehen, geprüft.
Nun haben wir zuletzt noch die passendsten Stellen für
ihre Anbringung zu vermerken. Ich will damit nicht sagen,
dass nicht jede Art von Ornament an jeder Stelle anzu-
bringen sei; aber es giebt einige Teile an dem Gebäude,
die einen Mangel an Ornament peinlicher empfinden lassen
als andere, während einige es anmutiger tragen als andere;
und so giebt es, trotzdem ein geschickter Architekt stets
neue und unerwartete Arten der Verzierung herausfinden
und sein Ornament an wunderbaren Stellen anbringen wird,
wo man es am wenigsten erwartet, doch ein oder zwei all-
gemeine Gesetze, die man sich in Bezug auf jeden Teil
eines Gebäudes merken kann, Gesetze, die (mit wenigen
Ausnahmen) nicht zwingend sind, wie diejenigen der Kon-
struktion, aber doch von allgemeiner Zweckmäßigkeit und
die wir verstehen müssen, sei es auch nur, damit wir die
glänzenden Methoden zu genießen vermögen, mit denen sie
mitunter übertreten werden. Ich werde jedoch nur ein
paar der einfachsten vermerken; sie in ihren Verzweigungen
zu verfolgen und in richtiger Ordnung die bekannten oder
möglichen Methoden der Dekoration für jeden Teil eines
Gebäudes zu klassifizieren, würde einen umfangreichen Band
erfordern und, wie ich glaube, eine etwas unnütze Arbeit
sein; denn es liegt oft etwas hoch Erfreuliches gerade in dem
Unerwarteten eines Ornaments, was durch eine zu sorgfältig
ausgearbeitete Anordnung seiner Arten zerstört würde.