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Ruskin, John
Ausgewählte Werke in vollständiger Übersetzung (Band 8): Steine von Venedig (Teil 1) — Leipzig, 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.3793#0412
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DIE ARCHIVOLTE UND ÖFFNUNG

§ 1. Wenn die Fenster und Thüren an manchen unserer
besten nordisch-gotischen Gebäuden zugebaut und das Or-
nament ihrer Archivolten verborgen würde, dann blieben oft
nur Massen toter Wand und unansehnliche Strebepfeiler
übrig, da die ganze Lebenskraft des Gebäudes in den an-
mutigen Proportionen oder den reichen Profilen seiner
Öffnungen besteht. Es ist nicht so im Süden, wo die Öffnung
häufig nur ein dunkler Fleck auf der buntfarbigen Wand ist;
während dort die Säule mit ihrem horizontalen oder ge-
bogenen Architrav eine andere Art von Bedeutung gewinnt,
die zu gleichen Teilen auf den Methoden der Oberbalken-
und der Archivolten-Dekoration beruht. Trotzdem diese in
dem Reichtum ihrer untergeordneten Mannigfaltigkeit eigent-
lich jeder Belegung durch Beispiele spotten, können sie
doch ganz umfassend generalisiert werden.

Für den einfachen Oberbalken oder Sturz giebt es aller-
dings keine spezifische Dekoration und kann es auch nicht
geben; er hat keinen Organismus, der dem Ornament die
Richtung weist und kann daher jede Art und jeden Grad
von Ornament erhalten, je nach seiner Stellung. In einem
griechischen Tempel hat er dürftige horizontale Linien; in
einer romanischen Kirche wird er zu einer Reihe von auf-
rechten Nischen, mit einem Apostel in jeder Nische; und
kann auch alles andere werden, ganz nach dem Willen des
Baumeisters. Aber das Bogenhaupt hat einen natürlichen
Organismus, der sein Ornament in deutlich bestimmbare,
verschiedene Familien teilt.
 
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