Hier aber liegt das Problem: Die Voraussetzung für Feststellung oder
Ausschluß einer »Artverwandtschaft zwischen Meister und Geselle« wäre
die Kenntnis des Stils und der Handschrift sowohl von Hans Herbst als
auch vom jüngeren Hans oder von Ambrosius Holbein zur Entstehungs-
zeit des Züricher Tischblatts. Hierfür freilich gibt es kaum Anhalts-
punkte.
Der Sachverhalt wird indes noch komplizierter, gibt es doch Wüthrichs
eigenen Beobachtungen zufolge deutlich erkennbare qualitative Unter-
schiede in der Ausführung des »Holbein-Tischs«:
»... der Vogelfang (ist) kompositioneil und auch in Details der schwäch-
ste Teil der Malerei..., das Turnier (setzt) sich von den übrigen Partien
als qualitativ besser - zumindest in einzelnen Figurengruppen - ab ... Als
Glanzpunkte der Tischplattenmalerei treten die Musikanten in den
Ecken in Erscheinung (sowohl die Reitermusik links als auch Trommler
und Pfeifer rechts), noch mehr die tanzenden Schalksnarren, die die Tjo-
stierenden anfeuern. Die gelöste Beschwingtheit ihrer Bewegungen, die
differenzierten Körperhaltungen, das Flattern ihrer Bänder scheinen im
Vergleich zu den schwer schreitenden Figuren, die als typisch herbstisch
deklariert wurden, eine wesentlich andere künstlerische Gestaltung zu
offenbaren. Man könnte auch die vorderste Frau im Zug der vornehmen
Fischergesellschaff (die, welche den Arm hochreckt) und die in den
Vogelherd fliegende Jungfrau neben weiteren Fischerinnen und Fischern
dazurechnen. Eine Hand, die lockerer und unbeschwerter arbeitete,
scheint hier am Werk gewesen zu sein.«26
Sein Versuch, diese Hand zu identifizieren, die ihm qualitativ den
»typisch herbstischen« Partien überlegen dünkte, führte Wüthrich zu
höchst widersprüchlichen Schlußfolgerungen.2' Zunächst wollte er sie
doch wieder mit einem Holbein, diesmal eher mit Ambrosius denn mit
Hans, in Verbindung bringen. Als Bezugspunkt diente ihm dabei ein Teil
der Illustrationen zu dem heute im Baseler Kupferstichkabinett bewahr-
ten Exemplar des »Lobs der Torheit« des Erasmus von Rotterdam.28 Tra-
ditionell allein Hans Holbein d. J. zugewiesen, sieht die jüngere For-
schung nunmehr drei oder vier Hände am Werk - die des jüngeren Hans
(dem der Löwenanteil der Zeichnungen gegeben wird), die seines Bru-
ders Ambrosius und die von einem, vielleicht auch zwei, nicht näher
identifizierten Zeichnern.29
In Anlehnung an Hans Koegler glaubte nun Wüthrich, in den Rand-
zeichnungen, die er der »dritten Hand« zuweisen wollte, Arbeiten von
Hans Herbst erkennen zu dürfen.30 Zugleich ergab sich für ihn im Ver-
gleich mit den der »ersten Hand« zugeordneten Zeichnungen die Zuwei-
sung der »unherbstischen« Figuren des »Holbein-Tischs« an Ambrosius
Holbein. Doch erwog Wüthrich auch die Möglichkeit, der Mitarbeiter
am »Holbein-Tisch« könne auch ein anonymer Geselle der Herbst-
Werkstatt gewesen sein, »... der uns aber bisher unbekannt geblieben ist
und es wegen des Fehlens anderer Werke wohl auch bleiben wird.. .«31 -
deutlicher hätte man das Zuschreibungsdilemma kaum auf den Punkt
bringen können. Welches Fazit läßt sich also ziehen? Man wird mit
Wüthrich davon ausgehen können, daß der »Holbein-Tisch« in der
Werkstatt des Hans Herbst entstanden ist. Die bloße Signatur wird indes
kaum ausreichen, Herbsts alleinige Ausführung der Malerei zu sichern;
hiergegen sprechen schon die von Wüthrich selbst hervorgehobenen
handschriftlichen und stilistischen Unterschiede innerhalb der Malerei
des Tischblatts. Doch eben diese Unterschiede lassen in Ermangelung
von Vergleichsstücken, die ihrerseits eindeutig zuzuschreiben sind, keine
sichere Identifizierung des oder der ausführenden Maler zu.
Selbst die bis dahin als gesichert geltende Feindatierung des »Holbein-
Tischs« ist (mitsamt der gerade erst von Wüthrich etablierten Herbst-
Autorschaft) in jüngerer Zeit in Frage gestellt worden. Hatte seit Vögelin
Einvernehmen darüber bestanden, die Entstehung der Tischplatte vor
Baers Abzug mit den Baseler Truppen am 25. Juni 1515 anzunehmen, so
schien es seit Wüthrichs Neuzuschreibung an Herbst notwendig, den ter-
minus ante quem gar auf den 10. Mai vorzuverlegen, als dieser nach Ita-
lien abrückte. Dem widersprach Rudolf Schnyder,32 sah er doch abwei-
chend von der gesamten früheren Forschung im Bildprogramm des
Züricher Tisches nicht etwa eine heitere Burleske, geeignet, der jungen
Ehefrau die Zeit bis zur siegreichen Rückkehr ihres Gatten zu vertreiben,
sondern ein Erinnerungszeichen an den gewaltsamen Tod Baers und das
Schicksal seiner jungen Witwe:
»Ein versiegelter Brief führt sofort zur Frage: Für wen ist er? Und was
steht wohl drin? Die Antwort liegt nahe, dass es sich um eine Nachricht
handeln muss, welche mit... Hans Bär und mit Barbara Brunner etwas
zu tun hat. Und da der Brief als weissflächiges TrompeT'ceil im Karten-
spiel mit der auf der Seite des Manneswappens verdeckten Schiitenkarte
und dem auf Seiten der Frau zerrissenen Rosen-König sein korrespon-
dierendes Gegenstück hat, meine ich, dass es hier einen inhaltlichen
Bezug geben muss, der eine... Botschaft enthält, die nichts Gutes heisst.
Eine direkte Bestätigung der angedeuteten, schlechten Nachricht erhält
der Betrachter, wenn er sich den unmittelbar über dem Wappenmedail-
lon abgebildeten Gegenständen zuwendet. Dem Wappen zugeordnet fin-
det er hier Objekte aus der fragmentierten Welt des Nemo. Über dem
Medaillon hängt ein langer Bratspiess mit abgebrochener Spitze als ein
geknickter Stab..., links davon, auf der Seite des Mannes, zwei gestürzte
Gefässe, eine Beisszange und ein zerbrochenes Schwert, rechts, auf Seiten
der Frau, ein Xylophon mit einem kaputten Schlagstab und eine Geige
mit fehlender Saite. Dass das Wappen des Ehepaars unter solchen Zei-
chen erscheint, kann nicht Glück bedeuten... Die hier gesprochene Zei-
chensprache ist vielmehr unerbittlich klar: Sie sagt, dass die Verbindung
von Mann und Frau getrennt, der Mann tot, die Frau allein in Trauer
zurückgeblieben ist.. ,«33
Seine Neudatierung des »Holbein-Tischs« gegen Ende 1515 ließ
Schnyder erneut die Möglichkeit der Ausführung durch die Holbein-
Brüder erörtern, denen Hans Herbst vielleicht als Werkstattleiter den
Auftrag zur Ausführung übertragen hatte:-'4
»Nach der Entdeckung des Namens von Hans Herbst auf Petschaft und
Papiersiegel der Trompe-l'oeil-Malerei des Tischblatts muss die Tafel in
der Werkstatt Herbsts entstanden sein. Haben hier Petschaft und Papier-
siegel aber wirklich die Bedeutung einer Autorschaft und Eigenhändig-
keit bezeugenden Signatur? Oder sind sie nicht vielmehr im Sinne des
Trompe-l'ceil ganz als das zu verstehen, als was sie erscheinen und was sie
uns sasen: dass nämlich der hier liegende Brief eine Botschaft enthält, die
Hans Herbst geschrieben, gesiegelt und gesandt hat? Antwort auf die
Frage nach dem Inhalt des Schreibens gibt wohl der Tisch selbst mit sei-
nen das Leben eines Verstorbenen reflektierenden Bildzeichen. Einen
Brief mit der Nachricht vom Tod des Hans Bär muss es gegeben haben.
Sein Verfasser muss ein Mann gewesen sein, der Marignano miterlebt hat
und der Familie des in der Schlacht Gefallenen nahestand. Für Hans
Herbst trifft das zu; denn nebst dem Zeugnis, das der Tisch selbst
darstellt, gab es hier eine verwandtschaftliche Bindung: Herbsts Frau
war gleich wie die früh verstorbene Mutter des Hans Bär eine Luptried
von Thann.
86 »Holbein-Bilder«. Entstehung und Kritik
Ausschluß einer »Artverwandtschaft zwischen Meister und Geselle« wäre
die Kenntnis des Stils und der Handschrift sowohl von Hans Herbst als
auch vom jüngeren Hans oder von Ambrosius Holbein zur Entstehungs-
zeit des Züricher Tischblatts. Hierfür freilich gibt es kaum Anhalts-
punkte.
Der Sachverhalt wird indes noch komplizierter, gibt es doch Wüthrichs
eigenen Beobachtungen zufolge deutlich erkennbare qualitative Unter-
schiede in der Ausführung des »Holbein-Tischs«:
»... der Vogelfang (ist) kompositioneil und auch in Details der schwäch-
ste Teil der Malerei..., das Turnier (setzt) sich von den übrigen Partien
als qualitativ besser - zumindest in einzelnen Figurengruppen - ab ... Als
Glanzpunkte der Tischplattenmalerei treten die Musikanten in den
Ecken in Erscheinung (sowohl die Reitermusik links als auch Trommler
und Pfeifer rechts), noch mehr die tanzenden Schalksnarren, die die Tjo-
stierenden anfeuern. Die gelöste Beschwingtheit ihrer Bewegungen, die
differenzierten Körperhaltungen, das Flattern ihrer Bänder scheinen im
Vergleich zu den schwer schreitenden Figuren, die als typisch herbstisch
deklariert wurden, eine wesentlich andere künstlerische Gestaltung zu
offenbaren. Man könnte auch die vorderste Frau im Zug der vornehmen
Fischergesellschaff (die, welche den Arm hochreckt) und die in den
Vogelherd fliegende Jungfrau neben weiteren Fischerinnen und Fischern
dazurechnen. Eine Hand, die lockerer und unbeschwerter arbeitete,
scheint hier am Werk gewesen zu sein.«26
Sein Versuch, diese Hand zu identifizieren, die ihm qualitativ den
»typisch herbstischen« Partien überlegen dünkte, führte Wüthrich zu
höchst widersprüchlichen Schlußfolgerungen.2' Zunächst wollte er sie
doch wieder mit einem Holbein, diesmal eher mit Ambrosius denn mit
Hans, in Verbindung bringen. Als Bezugspunkt diente ihm dabei ein Teil
der Illustrationen zu dem heute im Baseler Kupferstichkabinett bewahr-
ten Exemplar des »Lobs der Torheit« des Erasmus von Rotterdam.28 Tra-
ditionell allein Hans Holbein d. J. zugewiesen, sieht die jüngere For-
schung nunmehr drei oder vier Hände am Werk - die des jüngeren Hans
(dem der Löwenanteil der Zeichnungen gegeben wird), die seines Bru-
ders Ambrosius und die von einem, vielleicht auch zwei, nicht näher
identifizierten Zeichnern.29
In Anlehnung an Hans Koegler glaubte nun Wüthrich, in den Rand-
zeichnungen, die er der »dritten Hand« zuweisen wollte, Arbeiten von
Hans Herbst erkennen zu dürfen.30 Zugleich ergab sich für ihn im Ver-
gleich mit den der »ersten Hand« zugeordneten Zeichnungen die Zuwei-
sung der »unherbstischen« Figuren des »Holbein-Tischs« an Ambrosius
Holbein. Doch erwog Wüthrich auch die Möglichkeit, der Mitarbeiter
am »Holbein-Tisch« könne auch ein anonymer Geselle der Herbst-
Werkstatt gewesen sein, »... der uns aber bisher unbekannt geblieben ist
und es wegen des Fehlens anderer Werke wohl auch bleiben wird.. .«31 -
deutlicher hätte man das Zuschreibungsdilemma kaum auf den Punkt
bringen können. Welches Fazit läßt sich also ziehen? Man wird mit
Wüthrich davon ausgehen können, daß der »Holbein-Tisch« in der
Werkstatt des Hans Herbst entstanden ist. Die bloße Signatur wird indes
kaum ausreichen, Herbsts alleinige Ausführung der Malerei zu sichern;
hiergegen sprechen schon die von Wüthrich selbst hervorgehobenen
handschriftlichen und stilistischen Unterschiede innerhalb der Malerei
des Tischblatts. Doch eben diese Unterschiede lassen in Ermangelung
von Vergleichsstücken, die ihrerseits eindeutig zuzuschreiben sind, keine
sichere Identifizierung des oder der ausführenden Maler zu.
Selbst die bis dahin als gesichert geltende Feindatierung des »Holbein-
Tischs« ist (mitsamt der gerade erst von Wüthrich etablierten Herbst-
Autorschaft) in jüngerer Zeit in Frage gestellt worden. Hatte seit Vögelin
Einvernehmen darüber bestanden, die Entstehung der Tischplatte vor
Baers Abzug mit den Baseler Truppen am 25. Juni 1515 anzunehmen, so
schien es seit Wüthrichs Neuzuschreibung an Herbst notwendig, den ter-
minus ante quem gar auf den 10. Mai vorzuverlegen, als dieser nach Ita-
lien abrückte. Dem widersprach Rudolf Schnyder,32 sah er doch abwei-
chend von der gesamten früheren Forschung im Bildprogramm des
Züricher Tisches nicht etwa eine heitere Burleske, geeignet, der jungen
Ehefrau die Zeit bis zur siegreichen Rückkehr ihres Gatten zu vertreiben,
sondern ein Erinnerungszeichen an den gewaltsamen Tod Baers und das
Schicksal seiner jungen Witwe:
»Ein versiegelter Brief führt sofort zur Frage: Für wen ist er? Und was
steht wohl drin? Die Antwort liegt nahe, dass es sich um eine Nachricht
handeln muss, welche mit... Hans Bär und mit Barbara Brunner etwas
zu tun hat. Und da der Brief als weissflächiges TrompeT'ceil im Karten-
spiel mit der auf der Seite des Manneswappens verdeckten Schiitenkarte
und dem auf Seiten der Frau zerrissenen Rosen-König sein korrespon-
dierendes Gegenstück hat, meine ich, dass es hier einen inhaltlichen
Bezug geben muss, der eine... Botschaft enthält, die nichts Gutes heisst.
Eine direkte Bestätigung der angedeuteten, schlechten Nachricht erhält
der Betrachter, wenn er sich den unmittelbar über dem Wappenmedail-
lon abgebildeten Gegenständen zuwendet. Dem Wappen zugeordnet fin-
det er hier Objekte aus der fragmentierten Welt des Nemo. Über dem
Medaillon hängt ein langer Bratspiess mit abgebrochener Spitze als ein
geknickter Stab..., links davon, auf der Seite des Mannes, zwei gestürzte
Gefässe, eine Beisszange und ein zerbrochenes Schwert, rechts, auf Seiten
der Frau, ein Xylophon mit einem kaputten Schlagstab und eine Geige
mit fehlender Saite. Dass das Wappen des Ehepaars unter solchen Zei-
chen erscheint, kann nicht Glück bedeuten... Die hier gesprochene Zei-
chensprache ist vielmehr unerbittlich klar: Sie sagt, dass die Verbindung
von Mann und Frau getrennt, der Mann tot, die Frau allein in Trauer
zurückgeblieben ist.. ,«33
Seine Neudatierung des »Holbein-Tischs« gegen Ende 1515 ließ
Schnyder erneut die Möglichkeit der Ausführung durch die Holbein-
Brüder erörtern, denen Hans Herbst vielleicht als Werkstattleiter den
Auftrag zur Ausführung übertragen hatte:-'4
»Nach der Entdeckung des Namens von Hans Herbst auf Petschaft und
Papiersiegel der Trompe-l'oeil-Malerei des Tischblatts muss die Tafel in
der Werkstatt Herbsts entstanden sein. Haben hier Petschaft und Papier-
siegel aber wirklich die Bedeutung einer Autorschaft und Eigenhändig-
keit bezeugenden Signatur? Oder sind sie nicht vielmehr im Sinne des
Trompe-l'ceil ganz als das zu verstehen, als was sie erscheinen und was sie
uns sasen: dass nämlich der hier liegende Brief eine Botschaft enthält, die
Hans Herbst geschrieben, gesiegelt und gesandt hat? Antwort auf die
Frage nach dem Inhalt des Schreibens gibt wohl der Tisch selbst mit sei-
nen das Leben eines Verstorbenen reflektierenden Bildzeichen. Einen
Brief mit der Nachricht vom Tod des Hans Bär muss es gegeben haben.
Sein Verfasser muss ein Mann gewesen sein, der Marignano miterlebt hat
und der Familie des in der Schlacht Gefallenen nahestand. Für Hans
Herbst trifft das zu; denn nebst dem Zeugnis, das der Tisch selbst
darstellt, gab es hier eine verwandtschaftliche Bindung: Herbsts Frau
war gleich wie die früh verstorbene Mutter des Hans Bär eine Luptried
von Thann.
86 »Holbein-Bilder«. Entstehung und Kritik