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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0153

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handeln, die ihrem Stil nach noch ins 14. Jahrhundert gehören.12 Auch
die Mitra, die der Heilige über einer enganliegenden blauen Kappe trägt,
ist reich geschmückt: Außen rotgrundig, innen grün gefüttert, ist die
Front mit Perlen und Edelsteinen eingefaßt, im Binnenfeld aber mit einer
perlgestickten Darstellung des stehenden Heiligen Nikolaus versehen,
der seinerseits im Pontifikalornat erscheint, in der Rechten den Bischofs-
stab, in der Linken die ihn eindeutig identifizierenden drei Goldkugeln.
Der Heilige Martin selbst hält mit seiner behandschuhten Linken (auf
Zeige- und Mittelfinger sind mehrere Ringe aufgesteckt) nicht nur seinen
abgestreiften rechten Pontifikalhandschuh, sondern auch den goldenen
Bischofsstab, dessen Krümme ein großer weißer Edelstein ziert.

Martin und dem Bettler gegenüber steht im Kontrapost nach links
gewandt der Ritterheilige Ursus, der den rechten Fuß lässig auf das
Thronpodest Mariens setzt (Tafel 33). Seine schlanke, hochgewachsene
Gestalt ist zur Gänze von einer silbrigglänzenden Rüstung bedeckt, nur
das Visier seines Helms ist hochgeklappt und läßt das fast ins Profil
gedrehte Gesicht des schnauzbärtigen Ritters erkennen. Mehrere weiße
Straußenfedern sind am Helm befestigt und stehen mit ihrem weichen
Material in markantem Gegensatz zu der metallischen Härte der
Rüstung. Ursus trägt an beiden Händen Panzerhandschuhe. Mit der
Rechten hält er seine Lanze, von der das rote, mit einem weißen Kreuz
dekorierte Fahnentuch herabhängt, mit der Linken umfaßt er einen
mächtigen, um die Hüffen gegürteten Zweihänder.

Mariens Sitzbank ist auf einem Podest aufgeschlagen, das ebenso wie
die vorgelagerte Stufe von dem Teppich bedeckt ist, in den die Wappen
des Stifterpaars eingewebt sind. Tatsächlich sind drei Wappenschilde in
dem sichtbaren Abschnitt des Binnenfeldes des Teppichs vor rot-weiß-
schwarzen Rautenbändern dargestellt, doch das linke ist von dem weit
herabhängenden Umhang Mariens derart verdeckt, daß ein Wappenmo-
tiv nicht erkennbar, ja selbst die Grundfarbe des Wappenschildes nicht
mit Sicherheit zu bestimmen ist. Von den beiden verbleibenden Schilden
zeigt der in der Mitte auf rotem Grund zwei gekreuzte goldene Harken
oder Krücken und über der Kreuzung einen goldenen Stern (Gerster),
der rechts auf blauem Grund einen goldenen vierkantigen Bolzen oder
Nagel, der auf der Spitze eine goldenen Kugel trägt (Guldinknopf). Die
Teppichborte bedecken geometrische Muster, die an pseudo-kufische
Lettern erinnern, vornehmlich in Weiß auf Grün. Die Teppichkanten
enden beidseits in Fransen; die Teppichvorderkante hingegen wird vom
Bildrand beschnitten und ist deshalb nicht dargestellt. Allein die um-
laufende Ziereinfassung des Binnenfeldes des Teppichs macht deutlich,
daß das Gewebe nicht mehr sehr weit über die vorgelagerte Stufe
herunterhängen kann.

Das Thronpodest scheint auf einer Reihe von rötlichen Steinstufen
aufzusitzen, deren räumliches Verhältnis zu dem Podest selbst indes
gänzlich unklar bleibt: Nicht nur scheinen sich rechts zwei, links hinge-
gen nur eine Stufe zu befinden, auch ihre Abfolge ist in keiner Weise mit
dem Fall des Teppichs über der Stufe des Thronpodestes in Übereinstim-
mung zu bringen. In die Vorderkante der oberen Stufe rechts, die
zugleich die Standfläche für den Ritterheiligen abgibt, erscheinen wie
eingemeißelt Monogramm und Datierung des Bildes: ».H. H. /.15.22.«.
Die seitlichen Stufen führen zu einer massiven, grauverputzten Mauer
empor, die fast in der gesamten Bildbreite von dem die Figuren hinter-
fangenden, rundbogigen Tor durchbrochen ist, das den Blick auf das
helle Himmelsblau freigibt.13 Die beiden verbleibenden seitlichen Wand-
abschnitte enden in einfachen, leicht vorkragenden Gesimsen, auf denen
die horizontal verlaufenden Abschnitte des Rahmens aufzuliegen schei-

nen. Doch auch hier weist die Architekturdarstellung eine Inkonsistenz
auf: Die graue Wandfläche, die jenseits der Beine des Ritterheiligen sicht-
bar wird, ist eigentlich sinnwidrig bildparallel wiedergegeben, obschon
just hier die vom Tonnengewölbe geforderte, vertikale Mauerecke ver-
laufen müßte. Dieser »Fehler«, der durch den markanten Schattenschlag
des Beins noch nachdrücklich betont wird, dürfte auf das Konto einer
auch noch im Prozeß des Malens ausgeprägt freien, schöpferischen Bild-
genese gehen.14

Der eingezogene Halbkreis, der die Tafel oben abschließt, nimmt die
tonnengewölbte Rundung des Tores auf. Den Übergang der vertikalen
Seitenwände zum Rund der Tonne markieren auch hier die nun in die
Bildtiefe führenden Gesimse. Sowohl die Vorder- als auch die Rückseite
der mächtigen Toröffnung wird durch Zuganker aus schwärzlichem
Metall betont, die mittig noch eine Vertikalstrebe aufweisen. Zugleich
scheint sich der vordere Anker - wie die beiden seitlich anschließenden
Gesimsabschnitte - unmittelbar auf oder doch nur knapp hinter der
Bildebene zu befinden. Da sich andererseits die Figuren offensichtlich
vor dieser Ebene aufhalten, überschneiden doch Mitra, Bischofskrümme
und Fahne den vorderen Zuganker, schieben sich die Heiligengestalten
nachdrücklich in den Betrachterraum. Der Effekt wird noch verstärkt
durch die Verlagerung des Betrachterstandpunkts aus der Mittelachse des
Gemäldes an dessen linken Rand. Dadurch wird nicht nur die bei einer
Frontalansicht allzu simple Architektur raffiniert belebt, sondern
zugleich das Thronpodest Mariens leicht asymmetrisch in den Raum
gestellt. Ähnlich wie bereits beim Grabes-Christus (Tafel 29) entwickelt
auch die »Solothurner Madonna« ihre größte räumliche Tiefe und pla-
stische Entfaltung, wenn man das Gemälde von links her betrachtet -
eine Position, die natürlich auch durch die Haltung und die Blickrich-
tung des Christuskindes und des Heiligen Ursus deutlich hervorgehoben
wird, und die somit einen Fingerzeig für die ursprüngliche Aufstellung
des Gemäldes liefert.1"'

Die historischen Kenntnisse um die Person des Stifters, Johannes Gerster,
können in dieser Frage nur bedingt weiterhelfen, obgleich Gerster, der
von Beruf Notar war, von 1502 bis 1523 in Basel als Stadtschreiber tätig
war. Er hatte damit die nach dem Bürgermeisteramt wichtigste städtische
Position inne und war folglich auch mit Holbeins Arbeiten im Großrats-
saal wohlvertraut; als Stadtschreiber bediente er sich des renommierte-
sten Künstlers seiner Stadt. In Gersters Amt wurden übrigens grundsätz-
lich nur Auswärtige berufen, um auf diese Weise die Gefahr der
Korruption zu vermindern, und entsprechend ist Gerster nie Baseler
Bürger geworden. Er war schon in jungen Jahren aus Kaufbeuren im All-
gäu zum Studium an die Baseler Universität gegangen, wo er im Jahre
1477 erstmals nachweisbar ist. Von 1482 bis 1488 als Substitut des Stadt-
schreibers für eine Neuorganisation der Archive der Stadt zuständig, war
er von 1488 bis 1502 Schreiber des Schultheißengerichts von Groß-Basel,
bis er schließlich ins Amt des Stadtschreibers berufen wurde. Schon 1491
war er in die Zunft »Zu den Weinleuten« aufgenommen worden, der
Weinbauern und Weinhändler ebenso wie Schreiber, Notare und städti-
sche Angestellte angehörten. Hier war auch Heinrich Guldinknopf
»zünftig«, dessen Tochter Barbara (t zwischen 1542 und 1549) Gerster
wohl schon Ende der 1480er Jahre geheiratet hatte. Aus der Ehe gingen
fünf Kinder hervor, die das Erwachsenenalter erreichten. Um die Wende
zum 16. Jahrhundert wohnte Gerster mit seiner Familie noch im Haus
seines Schwiegervaters im Pfarrbezirk von St. Martin. Erst im Jahre 1503
erwarb er - in der gleichen Pfarre - sein eigenes Haus am Rheinsprung,

Holbein und das Vorbild Jan van Eycks. Die »Solothurner Madonna« 149
 
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