Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0154

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Es sollte sich indes bereits als schwierig erweisen, einen Konsens über
die Bestimmung des heiligen Bischofs herzustellen: Hatte schon Wolt-
mann bei der Erstveröffentlichung der »Solothurner Madonna« in ihm
Martin von Tours erkannt (worin ihm die Mehrzahl der nachfolgenden
Autoren aus guten ikonographischen Gründen bis heute gefolgt ist),20 so
vertrat erstmals Jakob Amiet die Meinung, hier sei Nikolaus von Myra
dargestellt.21 Anlaß für diese Umbenennung waren nun weniger neue
Beobachtungen am Bilde selbst oder zur Darstellungstradition dieses
Heiligen - auch wenn Amiet zu Recht daraufhinwies, daß auf der Mitra
tatsächlich Nikolaus dargestellt ist und Martin meist (aber eben nicht
immer) hoch zu Roß als Soldat bei der »Mantelspende« dargestellt wird.
Anlaß für die Umbenennung war vielmehr Amiets Wunsch, in Hans
Holbeins Gemälde jenes urkundlich dokumentierte Altarbild wiederzu-
erkennen, das der Solothurner Schultheiß Nikolaus Conrad im Jahre
1520 für den Altar der Nikolaus-Kapelle des Solothurner Münsters
gestiftet hatte. Konsequenterweise sollte daher neben Ursus als dem Kir-
chenpatron der Heilige Nikolaus als Schutzheiliger der Kapelle und als
Namensheiliger des Stifters im Bilde zu erkennen sein.22 Da Nikolaus
Conrad allerdings bereits 1520 gestorben war, vermutete Amiet die Auf-
tragserteilung an Holbein schon im Jahre 1519 und deklarierte den auf
dieses Jahr datierten Entwurf für den 1520 bei Adam Petri in Basel ver-
legten Titelholzschnitt der »Nüwe Stattrechten und Statuten der lob-
lichen Statt Fryburg im Pryssgaw gelegen« (Abb. 97)1-i - er zeigt die thro-
nende Madonna mit Kind zwischen den Heiligen Georg und Lambert -
zur ersten »Ideenskizze« für die »Solothurner Madonna«. Trotz dieser
recht komplizierten Rekonstruktion und obwohl ein Nikolaus, der in der
Art des Solothurner Gemäldes einem Bettler Almosen spendet, in der
Ikonographie dieses Heiligen höchst rar ist, schließlich die »Verdoppe-
lung« eines Heiligen durch Darstellung seiner selbst auf seiner Kleidung
p^M-^^yrgyi^i^^^^^^^ äußerst ungewöhnlich wäre, sollte Amiets -Nikolaus« noch bis vor kur-
zem zahlreiche Anhänger finden.24

97 Hans Holbein d.J., Titelholzschnitt der »Nüwe Stattrechten und Statuten der loblichen Doch nicht nur die Benennung des Bischofsheiligen erwies sich als

Statt Fi)bürg im Pryssgaw gelegen« problematisch, sondern ebenso die Identifikation des Ritterheiligen,

zeigte sich doch auch diese gänzlich abhängig von der jeweils bevorzug-

»Zur großen Augenweide«. In St. Martin fungierte er zumindest im Jahre ten Annahme zum ursprünglichen Aufstellungsort der »Solothurner

1520 als »provisor«, d.h. als Kirchenpfleger. Aus Altersgründen schied Madonna«. Solange die Forschung davon ausging, das Bild sei von

Gerster 1523 aus dem Amt des Stadtschreibers; er starb im Jahre 1531 Anfang an für Solothurn bestimmt gewesen, war Ursus unumstritten die

und wurde seinem Wunsch gemäß in der Klein-Baseler Kartause beige- erste Wahl. Doch da eine Stiftung von Johannes Gerster und seiner Frau

setzt, die er bereits zu Lebzeiten verschiedentlich beschenkt hatte. Gerster an Solothurn weder überliefert noch anderwärtig wahrscheinlich zu

war nicht nur in der Baseler Stadtverwaltung und -politik aktiv, er stand machen ist,2- erwog erstmals Erwin Treu die Möglichkeit, das Gemälde

auch mit zahlreichen Humanisten weit über Südwestdeutschland hinaus sei gar nicht für Solothurn bestimmt gewesen, sondern von Gerster in der

in Kontakt.16 »Hauskapelle« seines Baseler Hauses »Zur großen Augenweide« aufge-

Die Frage nach dem ursprünglichen Bestimmungsort der »Solothur- stellt worden.26 An der Identifikation des Bischofs als Heiliger Nikolaus

ner Madonna« ist erst in jüngster Vergangenheit mit einem hohen Maß schien Treu wegen dessen Darstellung auf der Mitra kein Zweifel mög-

an Wahrscheinlichkeit beantwortet worden: Es dürfte sich um Gersters lieh; doch daß es sich bei dem Ritterheiligen um Ursus handeln sollte,

Baseler Pfarrkirche St. Martin gehandelt haben.1. Zuvor war seit der schien ihm »...durch nichts erwiesen... Ebensogut kann auch der

Wiederentdeckung des Gemäldes im Jahre 1864 in dem nahe Solothurn hl. Georg dargestellt sein.« Hans Reinhardt wiederum brachte die von

gelegenen Dorf Grenchen fast unisono angenommen worden, Holbeins Gerster mehrfach beschenkte Kartause, wo dieser im Jahre 1531 schließ-

Madonnenbild sei ursprünglich für den romanischen Vorgängerbau der lieh auch bestattet wurde, als Standort der »Solothurner Madonna« in die

heutigen, barocken Ursus-Kathedrale in Solothurn bestimmt gewesen.18 Diskussion.27 Da die Kartause in Klein-Basel lag, Klein-Basels älteste Kir-

Hierfür schien nicht nur die geographische Nähe zu Grenchen zu spre- chen aber dem heiligen Bischof Nikolaus und dem Soldatenheiligen

chen, sondern ebenso die für Holbein ungewohnt schmucklose Gestal- Theodor geweiht waren,28 zeige das Solothurner Gemälde - Reinhardt

tung der Bildarchitektur (die Alfred Woltmann erstmals mit der Auf- zufolge - die Gottesmutter von just diesen beiden Heiligen flankiert.29

Stellung in dem romanischen Solothurner Kirchengebäude erklären Doch ohne derartige Vorgaben eines bestimmten Patroziniums konnte

wollte)19 sowie die Auswahl der die Madonna begleitenden Heiligen, ins- in Holbeins Ritterheiligem auch ein beliebiges Mitglied der Thebäischen

besondere des sogleich als Ursus identifizierten Ritterheiligen. Legion, der auch Ursus angehört hatte, gesehen werden.30

Nurm'neuirgo toum pleno tiefende Frfburgum

Inferhi noceanc ne mala fpecSra Ioms.
Te(£ tnis Lamberte ans ortende patronmn,
Turba Paleftinum fentfat omnis herum.

150 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
 
Annotationen