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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0155

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Eine Stiftung für Solothurn oder Basel, eine Darstellung von Ursus,
Georg, Theodor oder einem anderen Ritterheiligen, schließlich die Wahl
zwischen Martin oder Nikolaus - es ist das Verdienst von Oskar Bätsch-
mann und Pascal Griener, die Vielzahl der vorgeschlagenen Möglichkei-
ten zur überzeugendsten Lösung zusammengeführt zu haben, die des-
halb auch historisch gesehen die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat.31
Die beiden Autoren griffen mit der Baseler Pfarrkirche St. Martin, in
deren Sprengel Johannes Gerster gelebt und in deren Dienst er zumin-
dest im Jahre 1520 als »Kirchenpfleger« gestanden hatte,"2 einen Gedan-
ken auf, den zwar bereits Reinhardt erwogen, schließlich aber doch ver-
worfen hatte - da auch er im Bischof des Solothurner Bildes den Heiligen
Nikolaus, nicht aber Martin hatte sehen wollen, hatte die Heiligenaus-
wahl seines Erachtens nicht für St. Martin gepaßt.JJ

Doch wie Bätschmann und Griener an einer Reihe von Werken zeitge-
nössischer Maler aus Südwestdeutschland und der Schweiz zeigen konn-
ten, war die Darstellung des Heiligen Martin in der Art der »Solothurner
Madonna«, d. h. als Bischof im Pontifikalornat, der einem Bettler ein
Almosen gibt, dort wohlbekannt.34 Ebenso plausibel ließ sich der Solo-
thurner Ursus mit der Baseler Martinskirche in Verbindung bringen.
Denn nachdem man in Solothurn auf spektakuläre Weise 1473 und 1519
zunächst seine Reliquien, dann sein Grab »wiederentdeckt« hatte, setzte
auch in Basel eine Welle der Ursus-Verehrung ein. Die dortige Martins-
kirche war seit dem Jahre 1474 im Besitz von Reliquien des Heiligen, für
die bald darauf eigens ein Reliquiar angefertigt wurde. In St. Martin wur-
den aber nicht nur der Kirchenpatron und der Heilige Ursus verehrt; wei-
tere Altäre waren dort u. a. auch der Jungfrau Maria und dem Heiligen
Nikolaus geweiht.'"' Letzterer aber war außerdem der Schutzpatron der
Notare, zu denen wiederum Gerster zählte.36 Angesichts der engen per-
sönlichen Beziehungen Gersters zu seiner Baseler Pfarrkirche St. Martin
und im Hinblick auf die zwanglose Verbindung der auf der »Solothurner
Madonna« dargestellten Figuren mit in St. Martin besonders verehrten
Heiligen dürfte sich der ursprüngliche Aufstellungsort des Gemäldes tat-
sächlich dort befunden haben. Über die Funktion und den genauen
Anbringungsort läßt sich hingegen wiederum nur spekulieren: Es ist
zwar keine Altarstiftung durch Gerster in St. Martin bekannt, doch muß
dies die Stiftung eines Bildes auf einen bereits bestehenden Altar nicht
ausschließen. Andererseits kann die »Solothurner Madonna« natürlich
auch als Epitaph oder Votivbild gedient haben.37

In St. Martin dürfte sich Holbeins Madonnenbild indes nur bis zum
Jahre 1528 befunden haben. Dort kam es, ebenso wie in der Augustiner-
kirche, am 10. April 1528, d. h. an Karfreitag, in einer ersten Welle des Bil-
dersturms zur Beseitigung aller Bilder und Statuen. Diese wurden in
St. Martin allerdings vorerst nicht zerstört, sondern nur in einen Neben-
raum des Kirchengebäudes verbracht. Zwar hatten sich die Täter
zunächst vor dem Rat der Stadt für dieses Vorgehen zu rechtfertigen,
doch bereits wenige Tage später, am 15. April, gaben die Ratsherren dem
wachsenden Druck der reformierten Partei nach und beschlossen ihrer-
seits die Entfernung aller Bildwerke in St. Martin und einer Reihe weite-
rer Kirchen.38 Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte Gerster, der bis zu
seinem Tod 1531 der altgläubigen Sache verbunden blieb, das von ihm
gestiftete Gemälde wieder an sich gebracht haben. Doch wohin er bzw.
seine Erben es anschließend gaben, ist nicht bekannt. Es scheint indes an
einen Ort in der Umgebung Basels gelangt zu sein, der - wie etwa das
Kloster Mariastein - katholisch blieb, denn spätestens in den frühen
1580er Jahren fertigte Hans Bock d.Ä. (um 1550-1624) eine freie Kopie

des Christusknaben an, die diesen über einer die Sünde symbolisieren-
den Schlange, gehalten von zwei aus Wolkenbändern entwachsenden
Händen, zeigt. Dieses Bild gelangte ins Amerbach-Kabinett, wurde von
Basilius Amerbach in seinem 1585/87 verfaßten Inventar aufgeführt
(»Ein nackend kindiin sitzt vf einer schlangen kompt von Holbeins
gemeld durch H. Bocken vf holz mit olfarben mehrteil nachgemolt«)39
und befindet sich heute im Baseler Kunstmuseum.40 Im Jahre 1600 ent-
stand schließlich eine weitere freie Kopie, diesmal der Gottesmutter mit
dem Kind, die Bock für das Kloster St. Blasien im Schwarzwald lieferte;
dieses Gemälde wird heute im Kloster Einsiedeln aufbewahrt.41

Die »Solothurner Madonna« selbst tauchte erst im Jahre 1864 in der
1683 errichteten Kapelle in Allerheiligen oberhalb von Grenchen bei
Solothurn wieder auf.42 Am 17. September 1864 fiel Franz Anton Zetter
(1808-76), einem Verwaltungsrat der Solothurner Brandversicherung,
bei einem Besuch mit mehreren Kollegen in Grenchen auf, daß wegen
eines neuen Innenanstrichs alle Bilder in der Kapelle in Allerheiligen
abgenommen worden waren.43 Darunter befand sich auch ein Madon-
nenbild, das bis dahin unbeachtet und verschmutzt an der Nordwand des
Chores gehangen hatte. Es hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Rah-
men verloren und hing an einem Strick, der durch zwei oben in die Tafel
gebohrte Löcher gezogen worden war. Wie Zetter feststellte, hatten die
Arbeiter das »... über und über mit Kalkspritzern besudelte« Bild mit der
bemalten Fläche nach unten als Gerüstbrett verwendet; »...eine untere
Ecke fehlte und auch die andere war beschädigt«.44 Zetter kehrte am
nächsten Tag allein in die Kapelle zurück und brachte das Gemälde an
einer geschützten Stelle im Gebäude in Sicherheit. Er witterte offenbar
die Möglichkeit eines guten Geschäfts und trat umgehend mit der Gren-
chener Baukommission in Verbindung. Diese erklärte sich bereit, Zetter
»... diejenigen Gemälde, die er in der Kirche auswählt, zu verabfolgen«
(es waren insgesamt vier Bilder, darunter die »Solothurner Madonna«),
wohingegen Zetter versprach, die Kosten für einige noch ausstehende
Renovierungs- und Malerarbeiten in der Kapelle zu übernehmen.43 Dazu
gehörte auch die Reinigung und Ausbesserung der vier barocken Altar-
bilder, die von dem Maler Frank Buchser (1828-90), dem Bruder von
Zetters Schwiegersohn, übernommen wurde, der auf diese Weise Mitei-
gentümer des Holbein-Bildes wurde, nachdem er es anscheinend gewe-
sen war, der bei näherer Betrachtung das auf Holbein weisende Mono-
gramm und die Datierung entdeckt hatte.46

Insbesondere Buchser versuchte umgehend, das Gemälde weiterzuver-
kaufen, stieß damit aber auf Zetters Widerstand.4' Nach Buchsers erfolg-
losem Versuch, das unrestaurierte Gemälde im Oktober 1864 an den
Baseler Kunstverein zu verkaufen,48 holte Zetter im August des Folgejah-
res bei einem Besuch in Straßburg bei Händlern und Antiquaren Erkun-
digungen über Gemäldepreise ein. Da er bei dieser Gelegenheit wohl dar-
auf hingewiesen worden war, daß ein frisch restauriertes Werk einen
deutlich höheren Preis erzielen würde als ein ungereinigtes, nahm er über
den Kunstverein Solothurn (der die »Solothurner Madonna« nur wenig
später erwerben sollte)49 Kontakt zu dem Holbein-»Experten« und -
»Restaurator« Andreas Eigner, Konservator der Gemäldegalerie in Augs-
burg, auf. Eigner hatte zuvor bereits Gemälde aus dem Museum
in Solothurn (wie auch aus der Öffentlichen Kunstsammlung in Basel)
zur Restaurierung nach Augsburg geliefert bekommen50 und wandte sich
nun im Herbst 1865 der »Solothurner Madonna« zu.

Wie sich erst nach seinem Tode 1870 herausstellen sollte, verfuhr Eigner
bei seinen Holbein-»Restaurierungen« denkbar frei, ja gelegentlich auch

Holbein und das Vorbild Jan van Eycks. Die »Solothurner Madonna« 151
 
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