ser Zeit entstandenen Werke, die man traditionell mit Hans Holbein d. J.
in Verbindung gebracht hat, in ihrer Zuschreibung zumindest unsicher
sind. Was die 1520er Jahre anbetrifft, so hat die Feststellung, daß zusam-
men mit der Baseler Tafel der Venus mit dem Amorknaben (Tafel 54) eine
Reihe weiterer Gemälde aus dem Kanon der scheinbar gesicherten Hol-
bein-Werke auszuscheiden ist, die Vorstellung der stilistischen, aber auch
der qualitativen Bandbreite des eigenhändigen Holbein-GEuvres deutlich
geklärt. Holbeins verbleibendes Baseler Werk als Tafelmaler erscheint
angesichts dieser neuen Erkenntnisse homogener, auch in seiner Ent-
wicklungsabfolge verständlicher. Hierzu trägt nicht zuletzt seine stärkere
Einbettung in die zeitgenössische, teilweise aber auch ältere Kunstpro-
duktion in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden bei. Holbein
war ohne Frage ein international orientierter Künstler, der in hohem
Maße an den Entwicklungen in benachbarten Kunstzentren Interesse
zeigte. Wie für beinahe jeden Künstler des frühen 16. Jahrhunderts spielte
dabei die italienische Kunst auch für Holbein eine dominante Rolle, war
er doch bereits an seinem Geburtsort Augsburg in einer durch italieni-
sche Vorbilder und Anregungen intensiv geprägten künstlerischen At-
mosphäre aufgewachsen. Doch reduziert man Holbein in unzulässiger
Weise, fokussiert man bei Betrachtung insbesondere seines Baseler Werks
zu früh und zu stark auf Italien: Italienische Kunst aus erster Hand lernte
unser Maler offenbar erst über den Umweg Frankreich während seines
dortigen Aufenthalts 1523/24 kennen. Nicht zuletzt diese Erkenntnis
erlaubt nun auch, bisher in ihrer Datierung unsicheren Hauptwerken wie
den Baseler »Passionsflügeln« (Tafel 42-50) oder den Freiburger »Ober-
ried-Flügeln« (Tafel 36-41) innerhalb des CEuvres einen eindeutigen
Platz zuzuweisen. Es bedarf also weder der Annahme einer Überrestau-
rierung der Baseler Passionsszenen durch Nikolaus Grooth im 18. Jahr-
hundert noch einer teilweisen Ausführung der Freiburger Stifterfiguren
durch den älteren Hans Holbein, um diese Gemälde als das zu erkennen,
was sie sind: gut erhaltene und überaus charakteristische Arbeiten Hans
Holbeins aus der Mitte der 1520er Jahre.
Der Nachweis der Rezeption von Werken Andrea Solarios und solchen
der Künstler des Pariser »1520s Hours Workshop«, denen Holbein in
Frankreich begegnet war, in den »Passions-« und den »Oberried-Flü-
geln« ist natürlich nur ein - wenn auch wesentliches - Argument für
deren zeitliche Einordnung. Ebenso wichtig sind die ergänzenden gemäl-
detechnologischen Beobachtungen und, im Falle der »Passionsflügel«,
die neu aufgefundenen archivalischen Informationen. Angesichts des
großen Eindrucks, den Solarios Gemälde auf Holbein während seiner
Frankreichreise gemacht haben müssen (löst dies doch einen unüberseh-
baren Wandel in der maltechnischen und koloristischen Gestaltung sei-
ner Werke aus), erscheint es durchaus denkbar, daß es Hans Holbein
nach seiner Rückkehr nach Basel 1524 verlockt hat, italienische Kunst
auch an ihrem Entstehungsort zu studieren. Die bemerkenswerten Ana-
logien seiner »Darmstädter Madonna« (Tafel 61) mit Antonio della Gaias
Schutzmantelmadonna in Ascona (Abb. 208) könnten hierfür ebenso
sprechen wie der Wortlaut des Entwurfs der Bestallungsurkunde vom
16. Oktober 1538, mit dem der Rat der Stadt Basel Holbein die dauer-
hafte Rückkehr aus London an den Oberrhein schmackhaft machen
wollte.'9 Unter den Ländern und Orten, an denen der Rat dem Maler
fortan gestatten wollte, seine Kunst feilzubieten, wird neben Frankreich,
England und den Niederlanden ausdrücklich auch »Meylannd« genannt,
was daraufhindeutet, daß Holbein in der Vergangenheit auch dort gewe-
sen war. Wann dies indes gewesen sein könnte, bleibt ungewiß; sicherlich
aber nicht vor der Mitte der 1520er Jahre.
346 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
Nimmt man das in den Baseler Jahren entstandene tafelmalerische Werk
Hans Holbeins dj., wie wir es in dieser Untersuchung vorgestellt haben,
abschließend nochmals in den Blick, so ergibt sich das Bild eines außer-
gewöhnlich produktiven Künstlers. Diese Charakterisierung betrifft
sicherlich zum geringsten Teil die quantitative Seite seines Schaffens,
dürfte durch die Folgen des Bildersturms doch nur ein Teil des ehemals
Vorhandenen überliefert sein. Außergewöhnlich produktiv erscheint vor
allem Holbeins Umgang mit der Bildtradition wie mit der zeitgenössi-
schen Kunstproduktion, gleich in welcher Gattung und gleich welcher
Herkunft.
Bei der Bewältigung neuer Bildaufgaben, seien sie von seinen Auftrag-
gebern gestellt wie beim Gruppenporträt des More-Haushalts (Abb. 5,
209) oder aus eigenem Antrieb entwickelt wie beim Bildnis seiner ei-
genen Familie (Tafel 75), nutzte Holbein ebenso selektiv wie souverän
bestehende ikonographische Bildformeln, um mit diesen auch ein Stück
der ursprünglichen Aussage in seine neue, eigenständige Bilderfindung
zu verpflanzen - der Begriff der »Säkularisierung«, wie er vor allem für
die Kunst des 18. Jahrhunderts eingeführt ist, drängt sich auf.20 Daneben
begegnet indes auch des öfteren die formale Übernahme, die offenkun-
dig ohne inhaltliche Befrachtung auskommt; so konnte der von Solarios
Salome (Tafel 52) inspirierte Frauenkopf bei der »Lais Corinthiaca«
(Tafel 53) ebenso Verwendung finden wie bei der »Darmstädter Ma-
donna« (Tafel 61, 62). Mit schlafwandlerisch anmutender Sicherheit
nutzte der Künstler die jeweilige Adaption, gelegentlich mit einer gehöri-
gen Portion Ironie wie bei der Unterzeichnung des Ursus in der »Solo-
thurner Madonna« (Abb. 104) oder dem auffälligen Blick der Kunigunde
auf den Orgelflügeln (Tafel 74) gewürzt.
Konnte Hans Holbein seine Kunst mühelos dem jeweils gewünschten
Format anpassen - seine Bilderfindungen überzeugen im Kleinformat
der Buchillustration ebenso wie im Monumentalmaß der Wandmalerei,
selbst mittelformatige Werke wie die Solothurner oder Darmstädter
Madonnenbilder wirken monumentaler als ihre tatsächlichen Abmes-
sungen es erwarten lassen -, so bereitete es ihm auch keinerlei Schwierig-
keiten, kleinformatige Vorlagen, etwa solche aus der Buchmalerei oder
dem Holzschnitt, ins Große zu transformieren: Die Übernahmen von
Motiven aus Werken der Werkstatt der »1520s Hours« in den »Oberried-
Flügeln« sind hierfür beredte Beispiele.
Gerade Holbeins Kontakte mit den niederländischen und französi-
schen Künstlern dieser Pariser Werkstatt können übrigens schlaglicht-
artig die Intensität des künstlerischen Austauschs im ersten Drittel des
16. Jahrhunderts verdeutlichen: Holbein nutzte nicht nur Anregungen,
die er aus Paris erhielt, in seinen eigenen Werken, sondern seine Arbeiten
dienten ihrerseits wiederholt als Ausgangspunkt für die Produktion des
»1520s Hours Workshop«. Dabei funktionierte diese Pariser Künstler-
gruppe, nicht zuletzt dank ihrer engen personellen Verbindungen nach
Antwerpen, dem anderen großen nordalpinen Kunstzentrum, als Um-
schlagplatz unterschiedlichster Vorlagen und Vorstellungen, die von
niederländischen und französischen, aber ebenso von deutschen und ita-
lienischen Künstlern herrührten. So konnten ursprünglich beispielsweise
aus Deutschland oder Italien stammende Anregungen, mehrfach adap-
tiert und transformiert, schließlich wieder an ihrem Ausgangspunkt
ankommen.-1 Im Austausch mit dieser wahrhaft internationalen Kunst-
szene gestaltete auch Hans Holbein d. ]. im Verlauf der 1520er Jahre sein
unverwechselbares Schaffen - und konnte daher auch spätestens seit der
Mitte des Jahrzehnts mühelos unterschiedlichste Kundenkreise quer
durch Europa für sich gewinnen.
in Verbindung gebracht hat, in ihrer Zuschreibung zumindest unsicher
sind. Was die 1520er Jahre anbetrifft, so hat die Feststellung, daß zusam-
men mit der Baseler Tafel der Venus mit dem Amorknaben (Tafel 54) eine
Reihe weiterer Gemälde aus dem Kanon der scheinbar gesicherten Hol-
bein-Werke auszuscheiden ist, die Vorstellung der stilistischen, aber auch
der qualitativen Bandbreite des eigenhändigen Holbein-GEuvres deutlich
geklärt. Holbeins verbleibendes Baseler Werk als Tafelmaler erscheint
angesichts dieser neuen Erkenntnisse homogener, auch in seiner Ent-
wicklungsabfolge verständlicher. Hierzu trägt nicht zuletzt seine stärkere
Einbettung in die zeitgenössische, teilweise aber auch ältere Kunstpro-
duktion in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden bei. Holbein
war ohne Frage ein international orientierter Künstler, der in hohem
Maße an den Entwicklungen in benachbarten Kunstzentren Interesse
zeigte. Wie für beinahe jeden Künstler des frühen 16. Jahrhunderts spielte
dabei die italienische Kunst auch für Holbein eine dominante Rolle, war
er doch bereits an seinem Geburtsort Augsburg in einer durch italieni-
sche Vorbilder und Anregungen intensiv geprägten künstlerischen At-
mosphäre aufgewachsen. Doch reduziert man Holbein in unzulässiger
Weise, fokussiert man bei Betrachtung insbesondere seines Baseler Werks
zu früh und zu stark auf Italien: Italienische Kunst aus erster Hand lernte
unser Maler offenbar erst über den Umweg Frankreich während seines
dortigen Aufenthalts 1523/24 kennen. Nicht zuletzt diese Erkenntnis
erlaubt nun auch, bisher in ihrer Datierung unsicheren Hauptwerken wie
den Baseler »Passionsflügeln« (Tafel 42-50) oder den Freiburger »Ober-
ried-Flügeln« (Tafel 36-41) innerhalb des CEuvres einen eindeutigen
Platz zuzuweisen. Es bedarf also weder der Annahme einer Überrestau-
rierung der Baseler Passionsszenen durch Nikolaus Grooth im 18. Jahr-
hundert noch einer teilweisen Ausführung der Freiburger Stifterfiguren
durch den älteren Hans Holbein, um diese Gemälde als das zu erkennen,
was sie sind: gut erhaltene und überaus charakteristische Arbeiten Hans
Holbeins aus der Mitte der 1520er Jahre.
Der Nachweis der Rezeption von Werken Andrea Solarios und solchen
der Künstler des Pariser »1520s Hours Workshop«, denen Holbein in
Frankreich begegnet war, in den »Passions-« und den »Oberried-Flü-
geln« ist natürlich nur ein - wenn auch wesentliches - Argument für
deren zeitliche Einordnung. Ebenso wichtig sind die ergänzenden gemäl-
detechnologischen Beobachtungen und, im Falle der »Passionsflügel«,
die neu aufgefundenen archivalischen Informationen. Angesichts des
großen Eindrucks, den Solarios Gemälde auf Holbein während seiner
Frankreichreise gemacht haben müssen (löst dies doch einen unüberseh-
baren Wandel in der maltechnischen und koloristischen Gestaltung sei-
ner Werke aus), erscheint es durchaus denkbar, daß es Hans Holbein
nach seiner Rückkehr nach Basel 1524 verlockt hat, italienische Kunst
auch an ihrem Entstehungsort zu studieren. Die bemerkenswerten Ana-
logien seiner »Darmstädter Madonna« (Tafel 61) mit Antonio della Gaias
Schutzmantelmadonna in Ascona (Abb. 208) könnten hierfür ebenso
sprechen wie der Wortlaut des Entwurfs der Bestallungsurkunde vom
16. Oktober 1538, mit dem der Rat der Stadt Basel Holbein die dauer-
hafte Rückkehr aus London an den Oberrhein schmackhaft machen
wollte.'9 Unter den Ländern und Orten, an denen der Rat dem Maler
fortan gestatten wollte, seine Kunst feilzubieten, wird neben Frankreich,
England und den Niederlanden ausdrücklich auch »Meylannd« genannt,
was daraufhindeutet, daß Holbein in der Vergangenheit auch dort gewe-
sen war. Wann dies indes gewesen sein könnte, bleibt ungewiß; sicherlich
aber nicht vor der Mitte der 1520er Jahre.
346 Holbeins Gemälde. Der Künstler als Tafelmaler in Basel, 1515-32
Nimmt man das in den Baseler Jahren entstandene tafelmalerische Werk
Hans Holbeins dj., wie wir es in dieser Untersuchung vorgestellt haben,
abschließend nochmals in den Blick, so ergibt sich das Bild eines außer-
gewöhnlich produktiven Künstlers. Diese Charakterisierung betrifft
sicherlich zum geringsten Teil die quantitative Seite seines Schaffens,
dürfte durch die Folgen des Bildersturms doch nur ein Teil des ehemals
Vorhandenen überliefert sein. Außergewöhnlich produktiv erscheint vor
allem Holbeins Umgang mit der Bildtradition wie mit der zeitgenössi-
schen Kunstproduktion, gleich in welcher Gattung und gleich welcher
Herkunft.
Bei der Bewältigung neuer Bildaufgaben, seien sie von seinen Auftrag-
gebern gestellt wie beim Gruppenporträt des More-Haushalts (Abb. 5,
209) oder aus eigenem Antrieb entwickelt wie beim Bildnis seiner ei-
genen Familie (Tafel 75), nutzte Holbein ebenso selektiv wie souverän
bestehende ikonographische Bildformeln, um mit diesen auch ein Stück
der ursprünglichen Aussage in seine neue, eigenständige Bilderfindung
zu verpflanzen - der Begriff der »Säkularisierung«, wie er vor allem für
die Kunst des 18. Jahrhunderts eingeführt ist, drängt sich auf.20 Daneben
begegnet indes auch des öfteren die formale Übernahme, die offenkun-
dig ohne inhaltliche Befrachtung auskommt; so konnte der von Solarios
Salome (Tafel 52) inspirierte Frauenkopf bei der »Lais Corinthiaca«
(Tafel 53) ebenso Verwendung finden wie bei der »Darmstädter Ma-
donna« (Tafel 61, 62). Mit schlafwandlerisch anmutender Sicherheit
nutzte der Künstler die jeweilige Adaption, gelegentlich mit einer gehöri-
gen Portion Ironie wie bei der Unterzeichnung des Ursus in der »Solo-
thurner Madonna« (Abb. 104) oder dem auffälligen Blick der Kunigunde
auf den Orgelflügeln (Tafel 74) gewürzt.
Konnte Hans Holbein seine Kunst mühelos dem jeweils gewünschten
Format anpassen - seine Bilderfindungen überzeugen im Kleinformat
der Buchillustration ebenso wie im Monumentalmaß der Wandmalerei,
selbst mittelformatige Werke wie die Solothurner oder Darmstädter
Madonnenbilder wirken monumentaler als ihre tatsächlichen Abmes-
sungen es erwarten lassen -, so bereitete es ihm auch keinerlei Schwierig-
keiten, kleinformatige Vorlagen, etwa solche aus der Buchmalerei oder
dem Holzschnitt, ins Große zu transformieren: Die Übernahmen von
Motiven aus Werken der Werkstatt der »1520s Hours« in den »Oberried-
Flügeln« sind hierfür beredte Beispiele.
Gerade Holbeins Kontakte mit den niederländischen und französi-
schen Künstlern dieser Pariser Werkstatt können übrigens schlaglicht-
artig die Intensität des künstlerischen Austauschs im ersten Drittel des
16. Jahrhunderts verdeutlichen: Holbein nutzte nicht nur Anregungen,
die er aus Paris erhielt, in seinen eigenen Werken, sondern seine Arbeiten
dienten ihrerseits wiederholt als Ausgangspunkt für die Produktion des
»1520s Hours Workshop«. Dabei funktionierte diese Pariser Künstler-
gruppe, nicht zuletzt dank ihrer engen personellen Verbindungen nach
Antwerpen, dem anderen großen nordalpinen Kunstzentrum, als Um-
schlagplatz unterschiedlichster Vorlagen und Vorstellungen, die von
niederländischen und französischen, aber ebenso von deutschen und ita-
lienischen Künstlern herrührten. So konnten ursprünglich beispielsweise
aus Deutschland oder Italien stammende Anregungen, mehrfach adap-
tiert und transformiert, schließlich wieder an ihrem Ausgangspunkt
ankommen.-1 Im Austausch mit dieser wahrhaft internationalen Kunst-
szene gestaltete auch Hans Holbein d. ]. im Verlauf der 1520er Jahre sein
unverwechselbares Schaffen - und konnte daher auch spätestens seit der
Mitte des Jahrzehnts mühelos unterschiedlichste Kundenkreise quer
durch Europa für sich gewinnen.