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Schwarz, Klaus; Ixmeier, Eugen [Ill.]; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Contr.]
Archäologisch-topographische Studien zur Geschichte frühmittelalterlicher Fernwege und Ackerfluren im Alpenvorland zwischen Isar, Inn und Chiemsee: im Alpenvorland zwischen Isar, Inn und Chiemsee (Band 49, Textband): Textband — Kallmünz/​Opf.: Lassleben, 1989

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73519#0246

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Kulturgeschichtlich steht letzterem nichts im Wege,
zumal die Lex Baiuvariorum »unter Berücksichti-
gung der eigenen Rechtsbräuche im Frankenreich
entwickelt« worden ist992, in dessen Westen traditio-
nelle Verbindungen zur römischen wie zur gallorö-
mischen Kultur ungebrochen weitergelebt haben. So
würde der Fortbestand des ursprünglich römischen
iugerum wie des arpentum, welches letzthin auf das
keltische arepo = Pflug993 zurückgeht, ohne weiteres
verständlich. Die in der Lex Baiuvariorum ebenfalls
genannte andecinga hat keine Verbindung zur Anti-
ke, doch stammt sie aus dem westfränkischen Raum,
wo sie bis in das hohe Mittelalter als ancinga, ansi-
nia, anzinga, accingia, accengia, ascingia und ancein-
gia weiterlebt994.
Die nun folgenden Überlegungen gelten — unter
Nutzung eines Fußmaßes von 0,292 m Länge — der
tatsächlichen Größe der flächigen Feldmaße. Sie
gehen davon aus, daß die andecinga auf einem Dezi-
malsystem und das arpentum auf einem Duodezi-
malsystem aufbaut; beide also auf verschiedenen
Grundlagen beruhen. Deshalb werden sie in zwei
Abschnitten getrennt besprochen und jeweils in ih-
rer für Altbayern kennzeichnenden Entwicklung
weiterverfolgt. Die Überschriften der Kapitel sollen
das bereits andeuten.
ANDECINGA - IURNALIS - MORGON.
TAGWERK -JEUCH
Der Name andecinga wird hier, obschon nur ein
einziges Mal in dieser Form überliefert, als Arbeits-
begriff weiter benutzt, weil er Bestandteil eines für
Altbayern bestimmten Gesetzes ist, weil dies wahr-
scheinlich die älteste Überlieferung dieses Feldma-
ßes ist und weil sich unsere Feststellungen auf Alt-
bayern beschränken. Östlich des Rheines ist das
Maß außerdem nur noch 795 im alamannischen St.
Gallen als anzingas bekannt995.
Auch gelegentlich der Schenkungen an das Kloster

Echternach tritt es nur in einer Urkunde des Jahres
877 als ansinga auf996, begegnet aber im westfränki-
schen und galloromanischen, wie oben gesagt, bis in
das hohe Mittelalter recht oft.
Die andecinga umfaßt nach der Definition in der Lex
Baiuvariorum eine Fläche von 4 X 40 Ruten, die
Rute zu 10 Fuß, also 16000 Quadratfuß oder 160
Quadratruten bzw. 0,1364 ha.
Von den ebenfalls auf dem Dezimalsystem aufge-
bauten und mit einer Definition überlieferten Flä-
chenmaßen sind aus Oberdeutschland vergleichswei-
se zwei Einheiten zu nennen:
1) Der alte württembergische Morgen, auf den be-
reits W. A. Boelcke im Hinblick auf die iurnalis
aufmerksam macht997, umfaßt nach H. Fischer und
K. Pfaff 150 und 160 Quadratruten, die Rute zu 10
Werkschuh998. Er wird in Stuttgart noch vor dem
Jahre 1555 angewendet.
2) Das Tagwerk besteht aus 40000 Quadratschuh
oder 400 Quadratruten. Das ist mit 0,3410 ha die
2!/zfache Fläche der andezinga. Es gilt damals nach
der bayerischen Forstordnung des Jahres 1616 hier-
zulande999.
Diese beiden hochmittelalterlichen Flächenmaße
zeigen für Oberdeutschland indirekt den Fortbe-
stand der frühmittelalterlichen Einheit andecinga
an. Er läßt sich auch südlich unseres Untersuchungs-
raumes nachweisen und zwar vom Jahre 1454 rück-
schreitend über 1250 bis in das 8./9. Jahrhundert.
Das ist in der Ackerflur von Tannried bei Warngau
— 25 km südlich von Hohenbrunn — möglich. W.
Schöffel hat die archivalische Überlieferung dieses
Platzes aufgearbeitet1000, so daß sie hier ausschöp-
fend benutzt werden kann. Der namentlich seit 1147
bekannte Wohnplatz Rieth besteht 1250 aus vier
»Menlehen«, d. h. aus vier mit Transportscharwerk
belasteten Höfen. Sie gehören dem Kloster Tegern-
see. Tannried, wohl im 8. oder 9. Jahrhundert ange-
legt, wird aus Ausbauort von Warngau verstanden,
wo das 746 gegründete Kloster Tegernsee die curtis
Worngowe besessen hat1001. 1454 werden die vier

992) Ay (Anm. 578) 45.
993) A. Holder, Alt-celtischer Sprachschatz 1 (1896) 205.
994) du Cange, Glossarium mediae et infimae Latinitatis 1 (1883) 244 f.
995) Wartmann (Anm. 928) 1 (1863) 132 nr. 140.
996) C. Wampach, Geschichte der Grundherrschaft Echternach im Frühmittelalter I 2 (Quellenband) (1930) 233 nr. 154.
997) Boelcke (Anm. 984) 138.
998) H. Fischer, Schwäbisches Wörterbuch 5 (1914) Sp. 504. - K. Pfaff, Geschichte der Stadt Stuttgart, nach Archival.
Urkunden und andern bewährten Quellen dargestellt 1 (1845) 311.
999) Schmeller (Anm. 773) 1 (1939) 593.
1000) W. Schöffel, Studien zur Oberbayerischen Siedlungsgeschichte und Namenkunde, mit besonderer Berücksichtigung
des Tegernseeischen Urbaramts Warngau (1976) 37 ff.
1001) Die curtis wird dem Kloster nach vorübergehender Entfremdung in den Zeiten Herzog Arnulfs von Heinrich II. im
Jahre 1009 zurückgegeben und dabei ausdrücklich als Dotationsgut des Klosters bestätigt (MG DH II 227 nr. 193).

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