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13. SEPTEMBER 1931

V JAHRGANG, Nr. 37

D I E


ÜMONDE^AKES

ART^WORLD ILLÜSTR^^ENSCHRIFT

DAS INTERNATIONALE ZENTRALORGAN FÜR KUNST / BUCH / ALLE SAMMELGEBIETE UND IHREN MARKT

Erscheint jeden Sonntag im Weltkunst-Verlag, G. m. b. H.,
Berlin W62, Kurfürstenstr. 76-77. Telegramm-Adresse: «Weltkunst Berlin».
Bankkonto: Deutsche Bank u. Disconto - Gesellschaft, Depositen - Kasse M,
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Haag 145512; Paris 118732 ; Prag 59283; Wien 114783; Zürich 8159
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Bisheriger Titel:



Redaktion, Verlag und Lesesaal:
Berlin W62, Kurfürstenstr.76-77 • Tel. B 5 Barbarossa 7228
Herausgeber Dr. J. I. von Saxe

Man abonniert beim Verlag, bei der Post oder bei den Buchhändlern.
Einzel-Nummer 50 Pfennig. Quartal für Deutschland inklusive Postzustellung
Mark 4,50: Lieferung durch den Verlag im Umschlag Mark 5,50; für das
Ausland (nur im Umschlag) Mark 5,50; oder: Oesterreich ö. S. 9; Tschecho-
slowakei Kc 45; Frankreich und Belgien fr. Frs. 35; Holland hfl. 3,25: Eng-
land £ /5/6; Schweiz und die nicht angeführten Länder sfrs. 7; Übersee $ 1,50

WERTHEIM:Das


IBLOGRAPH IKON

Berlin w 9, Leipziger str. Alte Graphik Seltene Biicher Moderne Kunst

Kunst und Kitsch
Von
Hofrat Prof. Dr. Hans Ti e t z e

was nicht? Ursprünglich war es die sozial
führende Schicht, der Fürst, diie Kirche; im
19. Jahrhundert hat eine Bildungsschicht
ohne konkrete soziale Bindung dieses Vor-
recht usurpiert. Es ist eine Minorität, die das
Kunstgebiet beherrscht; noch genauer gesagt,
diejenigen, die innerhalb dieser Minorität der
Gebildeten und a conto dessen zum Mit-

Die Diskussion der Krise der Gegenwarts-
kunst*) geht in der Regel von dem Stand-
punkt aus, daß unsere Zeit, teils unter dem
Druck sozialer und wirtschaftlicher Umwälzun-
gen, teils infolge tiefgehender weltanschau-
licher Wandlungen, den Beruf zur Kunst ein-
gebüßt habe, daß diese daran zugrundegehe,
daß kein Bedürfnis nach ihr vorhanden sei.
Ich glaube jedoch, daß ein Bedürfnis nach
Kunst heute in nicht minderem Maß vorhanden
ist als zu irgendeiner anderen Zeit, wenn-
gleich die zahlreichen Arbeitslosen in der
Kunsibranche uns das Gegenteil versichern;
ich glaube nur, daß man ihm nicht gewalt-
sam jenen Stock unanbringbarer Modelle auf-
zwingen kann, die von solchen, die diese
Ladenhüter — und wäre es zu Schleuder-
preisen — noch gern an den Mann bringen
möchten, als die einzig wahre Kunst erklärt
Werden. Das Kennzeichen dieser finden sie
in jenen ästhetischen Werten, die den Ewig-
keitsanspruch der großen alten Kunstwerke
'begründen; da sie es sind, die diesen Werken
die uneingeschränkte Verehrung auch dann
noch sichern, wenn alle anderen Interessen,
die das betreffende Werk einsimals besessen
haben mag, verschwunden sind, so ist in
ihnen offenbar das eigentliche Zentrum allen
künstlerischen Schaffens in Vergangenheit
Und Gegenwart zu erblicken. Man braucht
also auch in der Gegenwartsprodukfion nur
diese ästhetischen Werte zu erfassen, um
Wahre Kunst von Kitsch unterscheiden zu
können. Die eingeweihten Kreise versichern
Uns, daß nichts leichter sei als dieses. Herr
Weiss-Rüthel teilte kürzlich im „Tagebuch“
mit, daß beide niemals in Konkurrenz treten,
die Kunst als das Ausdrucksmittel der Genies,
der Kitsch als das Ausdrucksmittel der
Nulpe. Der sehr verschiedene Tonfall, mit
dem zwei einander gegenüberstehende Par-
leien gekennzeichnet werden, läßt deutlich
genug erkennen, daß der Urheber der De-
finition sich der ersten stärker zugehörig
fühlt; denn ein Gegner könnte wohl ent-
gegnen, es gebe eine wahre Kunst und eine
Kunst der Schmocke. Es ist nicht wahr, daß
der Unterschied zwischen Kunst und Nicht-
gunst immer so klar auf der Hand liegt;
Reibst jene, die berufsmäßig die Unfehlbar-
keit für sich zu reklamieren haben, haben
s>ch oft geirrt. In den großen Zusammen-
fassungen der Gegenwartskunst haben fast
•Ulmer jene Künstler gefehlt, die vom Stand-
punkt des Gegenwärtigen die „wahren“
Reißen mußten; Cezanne und Rousseau waren
Jot, ehe man darauf kam, daß sie „wahre
Kunst“ gemacht hatten. Die Liebe auf den
^sfen Blick ist auch hier selten; häufig merkt
. *) Vgl. die unter dem Gesamttitel „K r i s e der
öderene® Kunst“ in der „Weltkunst“ er-
jfhienenen Beiträge von Dr. A. Gold, W. Bondy,
nr- H. W. L e i s e g a n g, Dr. K. Kusenberg,
ht- E. v. S y d o w , Prof. Dr. J. Baum und Dir.
r- Frh. Schenk zu Schweinsberg.

man im Gegenteil den Entdeckern die Mühe
an, die sie sich geben, uns glauben zu
machen, daß die Künstler, die sie propa-
gieren, die Namen von Genies — oder doch
zumindest die Preise von solchen — ver-

sprechen Berufenen gerade die Majorität
halben. Und der Zusammenbruch dieser
Schicht ist es ebem, der die heutige
Situation kennzeichnet; nicht der Konkurs des
bürgerlichen Mittelstands im ökonomischen
Sinn, sondern die Pleite der Bildung.


Manna-Lese. Brüsseler Tapisserie um 1650
Tapisserie de Bruxelles, vers 1650 — A Brussels tapestry about 1650
Wolle mit Seide und Silber — 370 : 386 cm — Aus einer Serie von vier Bildteppichen,
sign. H. Reydams u. Auwerc — Süddeutscher Fürstenbesitz
Versteigerung — Vente — Sale: Internationales Kunst- und Auktionshaus
Berlin, 20. Oktober 1931

dienen. In der Vergangenheit war das' auch
nicht viel anders; Rembrandt galt für einen
Kifschisten, bis man feststellie, daß er ein
Genie sei und, noch als ich Student war,
zeigten manche Leute nicht übel Lust, Raffael
von dem einen auf das andere Ufer über-
zuseßen. Wer sind nun diese Leute, die so
selbstherrlich dekretieren, was Kunst ist und

Im Gruppenjargon dieser Oligarchie hat
das Wort Kitsch — als ein Mittel, das Ab-
gelehnte völlig und unwidersprechlich abzu-
tun — beträchtliche Bedeutung erlangt; sein
innerster Kern ist nicht eigentlich ästhetischer,
sondern ethischer Natur. Kitsch ist nicht so
sehr das künstlerisch schlechte, wie das
moralisch anrüchige Werk; niemand hat eine


Tuifelemalerei kitschig genannt, wohl aber
eine Salonkunst, die auf die banalen In-
stinkte ihrer Abnehmer rechnet. Ein schlech-
tes Kunstwerk kann ein Dreck sein, aber
Kitsch ist die Kunst, deren Urheber sich nicht
von rein künstlerischen Motiven leiten läßt,
sondern der sich in seiner Arbeit dem Ge-
schmack des Publikums anbequemt und ent-
weder der großen oder der kleinen Menge zu
schmeicheln versucht, weshalb sich ja auch
das Bedürfnis ergeben hat, zwischen
„süßem“ und „saurem“ Kitsch zu unterschei-
den. Wer die innere Geseßlichkeif der Kunst
dem! äußeren Erfolg preisgibt, handelt
kitschig; analog dazu darf man von kitschiger
Wissenschaft oder Politik sprechen. Aber
wie auf diesen Gebieten läßt sich auch auf
dem der Kunst dieses ethische Manko nicht
so ohne weiteres feslsiellen; daß einer bei
seiner Arbeit nach irgend etwas anderem
schielt, merkt man erst, wenn man das Ziel
dieses Schielens mißbilligt. Es ist ein wenig
wie mit der Koketterie; man verübelt der
Dame ja die Seitenblicke auch erst, wenn sie
jemandem anderen gellen. Als Manet sein
„Frühstück im Freien“ aussieilte, war eines
der Haupiargumenie dagegen, daß die
Mischung bekleideter und nackter Personen
beiderlei Geschlechts durch grobe Unanstän-
digkeit Wirkung erzielen wolle, also eine
jener unerlaubten Konzessionen an einen
niedrigen Publikumsgeschmack sei. Hier mer-
ken wir alle die Unsinnigkeit einer solchen
Behauptung; aber wenn ein Neusachlicher von
heute einen Proletarier mit seinem Fahrrad
vor uns stellt, daß wir beide zu riechen glau-
ben, so sind wir doch wieder geneigt, alles
Künstlerische, das vorhanden sein könnte,
wegen der „kitschigen“ Rücksichtnahme auf
das Publikum, vielleicht das von morgen, zu
übersehen. Liegt der Unterschied nicht viel-
leicht darin, daß das eine Werk alt und das
andere modern ist; daß in leßterem die außer-
künstlerische Aktualität noch sehr lebendig,
während sie in dem Meisterwerk Manets von
den rein künstlerischen Faktoren völlig
überwachsen ist? Auch Phidias und Raffael
haben aus dem engen Zirkel der Kunst
herausblicken müssen, als sie aus dem all-
gemeinsten Volksbedürfnis heraus einen
olympischen Zeus oder eine Sixtinische Ma-
donna erschufen; ja vielleicht ist gerade den
größten Leistungen aller Zeit ein Tropfen
Kitsch als Zusaß unentbehrlich gewesen. Wie
sollten in der Tat die ganz großen Kunst-
werke zu allen sprechen, alle erfassen kön-
nen, wenn nicht in ihre Komplexität auch noch
dieses Element eingegangen wäre, das zu
den allermenschlichsien gehört; denn das
Bedürfnis nach Kitsch ist ein ganz allge-
meines, auch wir Raffinierten und Abge-
brühten sind glücklich, wenn wir uns zeit-
weilig daran erfreuen dürfen und drehen ihn
im Notfall ins Parodistische um, wo wir ihn
genießen dürfen, ohne uns eine Blöße zu
geben.
Das Beispiel Manet zeigt, wie die ästhe-
tischen Beziehungen die außerästhetischen
siegreich überwachsen; wenn das Kultbiild,
das Konterfei eines lieben Menschen, die
Pornographie — weil der Glaube verfiel, der
Mensch vergessen ward, die zeiigebunden.e
Erotik versagt — nichts mehr sind als Kunst-
werke, dann stellen sie die „wahre Kunst“

'Mpressionisten

Galerie Matthiesen

ALTE MEISTER

_NEUE ADRESSE: BERLIN W 10, VIKTORIASTRASSE 33
BRUNNER Q LLERV NEW ■ YORK
55, East 57,h Street
 
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