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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0080
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70

BESPRECHUNGEN.

gewidmet, wobei der Begrif der »Geschichthaftigkeit» eingehend erörtert wird.
Dazu werden folgende Thesen aufgestellt: Eigentliche Geschichte ist nur an und
durch Personen verschiedener Stufenordnung möglich; die Person erzeugt ihre
eigne Geschichte als die Weise, in der sich ihre Selbstbestimmung im Zeitablauf
verwirklicht. Geschichtlich ist weder das bloße Sein noch das bloße Werden, son-
dern das Sein, das geworden ist, und das Werden, das Entstehen neuen Seins be-
deutet. Geschichthaft ist die Person mit doppeltgerichteter Zeitlichkeit. Die Geschicht-
haftigkeit tritt in verschiedenen Stufen auf, deren jede eine subjektive Bewußtseins-
und eine objektive Kulturseite hat. Die konkrete Tatsächlichkeit historischen Ge-
schehens entspringt aus der Konvergenz zwischen der ideellen Selbstbestimmungs-
tendenz der geschichthaften Person und den realen Bedingungen der Umwelt. Ge-
schichte ist geschichtet. Geschichtlicher Wert eignet demnach realen Tatbeständen,
sofern sie in ihrer Besonderheit für die Selbstverwirklichung eines geschichthaften
Substrats wesensbedeutsam sind und als gewordenes Sein Vergangenheit und Gegen-
wart dieses Substrats in doppeltgeschichteter Bewegung verknüpfen. — Der zweite
Hauptteil schließt ab mit einem Kapitel über die Dienstwerte, die folgender-
maßen gefaßt werden: »Ein gegebener Sachverhalt kann von verschiedenen Zwecken
her Dienstwert empfangen. Ein gegebener Zweck kann verschiedenen Mitteln Dienst-
wert verleihen.« Dieser Begriff wird in mannigfacher Weise differenziert.

Der dritte Hauptteil des Sternschen Werkes handelt von der Introzeption
der Werte. Das menschliche Ich ist der »Introzeption« fähig, d. h. das Ich kann die
Bejahung der Nicht-Ich-Werte zu einem Bestandteil seines Selbstwertes machen, ja
es verwirklicht seinen Selbstwert überhaupt erst dadurch, daß es die andern Werte
sich zum inneren Eigentume macht und damit seine Punktualität zum Mikrokosmos
erweitert. Als die Grundformen der Introzeption erscheinen: 1. das Lieben, 2. das
verstehende Erkennen, 3. die ästhetische Empfänglichkeit, 4. die heiligende Intro-
zeption und die praktische Introzeption. — Das Lieben ist die unmittelbarste und
zugleich subjektivste Form der Introzeption. Lieben ist jedoch nicht nur Verknüpfung
von Individuen, sondern auch konkreter Ausschnitt aus einem Überindividuum. Das
ist am durchsichtigsten bei der Familienliebe und der erotischen Liebe. Bei der
sozialen Liebe steht das Über-Ich im Brennpunkt der Introzeption und nur, wenn
sich eine Gruppe aus einem bloßen Zweckverband zu einem Symbol echter, selbst-
wertiger Überichheit verwandelt, ist eine Introzeption möglich, die die Beziehungen
zur Gruppe und zu den Gruppengliedern als Liebe auftreten läßt. — Als Gegenpol
zum liebenden Introzipieren ist das verstehende Erkennen anzusehen, freilich
nur innerhalb der Introzeption; dies geisteswissenschaftliche Verstehen ist die ob-
jektivste Form der Introzeption. Die geistige Wesens- und Werterfassung einer
andern Personalität wird zum Selbstzweck; jede Absicht für sie oder auf sie zu
wirken, ist ausgeschaltet. Will dies Verfahren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit er-
heben, so bedarf es überall und immer der sichernden, kontrollierenden und er-
gänzenden Mitarbeit der ent-ichenden Erkenntnismethoden. Als fernere Formen des
lntrozipierens gelten die ästhetische Empfänglichkeit und die heiligende
Introzeption, die aus der Unterordnung des Ich unter das Überich hervorgeht, was
sich in der religiösen Form zur Absolutheit erhebt. Den geistigen Formen der Intro-
zeption reiht sich noch die praktische an, die definiert wird als dasjenige Werten,
in welchem ein Ich den eignen Selbstwert dadurch verwirklicht, daß es Nicht-Ich-
Werte verwirklicht. — Mit einem Kapitel über das »Sollen«, worin die Grund-
züge der personalistischen Ethik entwickelt werden, schließt das Buch ab. Als sitt-
liche Grundforderung erscheint die Introzeption, woraus sich der kategorische
Imperativ: »Gestalte dein Leben so, daß dein Verhalten zu geheiligten Werten in
 
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