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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Lamm, Martin: Strindberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0151
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IV.

Strindberg.

Von

Martin Lamm x).

In den »Gotischen Zimmern« bleiben Graf Max und Ester in einer
Ausstellungshalle vor der Büste Arvid Falks stehen, und der Graf
sagt: Hat irgend wer diesen Mann verstanden, glaubst du? Er be-
hauptet, es habe niemand getan, weil er sich selber nicht verstanden
habe. Aber er scheint zuweilen sein Lebensrätsel zu ahnen und er
faßt sich als Aufgabe« (a. a. O. S. 284) 2). Gerade das macht eine Schilde-
rung Strindbergs so schwer, daß er sich selber nicht versteht und
daß er sein eigenes Wesen als ein interessantes psychologisches Pro-
blem auffaßt, über das er unaufhörlich nachgrübelt von seinen ersten
Jugendwerken an bis zu dem Epilog »Die große Landstraße«. Von
den zahllosen Selbstbildnissen, die er von sich hinterlassen hat, ist
das bekannteste und am häufigsten angeführte jenes, das sich am
Schluß des ersten Teiles vom »Sohn der Magd« findet. Es entspricht
vielleicht auch der Wahrheit am meisten, weil es nur negative Bestim-
mungen enthält. Im Anschluß an eine Anschauung, die sich auf die
damalige Psychologie gründete und die wir im Vorwort zu »Fräulein
Julie« näher entwickelt finden, betont Strindberg hier, daß ihm ein
konstanter Charakter fehle. Beispiele aus seinem Leben geben ihm die
Überzeugung, daß er aus Trieb gehandelt hat, wo er nach Grund-
sätzen zu handeln glaubte, und daß er selten seinen angeblichen Leit-
gedanken gefolgt ist. Er glaubt, keine festen moralischen Eigenschaften
zu besitzen, sein Gerechtigkeitsgefühl sei eigentlich ebenso sehr Rach-
sucht, sein Mut Feigheit. In manchen Augenblicken schwankt sein
Charakter in seinen eigenen Augen, und in seiner Umgebung fassen
ihn alle verschieden auf. Er findet, daß ihm ein eigenes Ich fehle, daß

1) Diese Schilderung Strindbergs, die wir hier mit gütiger Erlaubnis des Ver-
fassers abdrucken, ist die Einleitung eines größeren Werks über »Strindbergs
Dramen«, dessen erster Band bereits in schwedischer Ausgabe erschienen ist und
dessen zweiter Band in diesem Jahr erwartet wird.

2) Die Seitenzahlen beziehen sich auf die deutsche Gesamtausgabe. München,
G. Müller.
 
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