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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Lamm, Martin: Strindberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0154
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MARTIN LAMM.

mit seiner äußerst robusten Wesensart verbunden ist. Sein Mißtrauen
zu verbergen, liegt ihm völlig fern, und wenn er wirklich für kurze
Zeit so diplomatisch war, sein Mißtrauen dem, den er verdächtigt, zu
verbergen, so kann man doch sicher sein, daß er es längst einem
anderen gebeichtet hat. Das Briefschreiben ist ihm zum großen Teil
ein Mittel, dem Mißtrauen gegen seine Freunde Luft zu machen, und
zuweilen, um den einen als Überwacher des anderen zu brauchen.
Er nimmt die Druckerpresse zu Hilfe, und als ihm Schweden zu eng
wird, schreit er über ganz Europa hinaus, daß er ein tyrannisierter
und betrogener Ehemann sei, daß seine Frau ihn mit Cyankali zu ver-
giften suche, daß sie ihn mit aller Gewalt in eine Irrenanstalt sperren
lassen wolle. Viel fehlte auch nicht daran, daß ihn sein Weg während
der Infernokrise dorthin gebracht hätte, als sein Mißtrauen, das schon
vorher in den schlimmsten Perioden an Verfolgungswahnsinn gegrenzt
hatte, sein Wesen völlig verwirrte.

Es war für ihn ganz natürlich, bei einem schlecht schmeckenden
Gericht sofort zu schließen, daß es bereitet sei, um ihn zu vergiften.
Während der Infernozeit sah er in jeder kleinsten Verdrießlichkeit, ja
in jedem körperlichen oder geistigen Unbehagen das Ergebnis welt-
umfassender Verschwörungen, von seinen Feinden angezettelt, ob sie
nun persönliche Widersacher oder Anhänger von Anschauungen waren,
die den seinen widersprachen. Und da sein Argwohn auf die Dauer
nicht befriedigt werden konnte durch die Annahme solcher rachsüch-
tiger Feinde, die ihn über die halbe Erde hin telepathisch mit elek-
trischen Strömen, Höllenmaschinen und anderem folterten, griff er zum
Glauben an »Mächte«, »Götter«, übelwollende Wesen, wie sie der
Volksglauben kennt, die ihr Vergnügen darin finden, ihn wie mut-
willige Straßenjungen zu foppen.

Daß er halbwegs mit heiler Haut aus diesem Gewirr von Wider-
sinnigkeiten herauskommen konnte, in das ihn seine ungezügelte und
mißtrauische Phantasie eingesponnen hatte, beruhte im Grunde darauf,
daß sein Argwohn viel zu groß war, um der Wahrhaftigkeit all dieser
Wunder wirklich zu vertrauen. Als er Neujahr 1897, also einige
Monate vor der Niederschrift von Inferno, Professor Axel Herrlin
seine geheimnisvollen Erlebnisse erzählte, schloß er seine Leidens-
geschichte mit den Worten: »Mit Dreiviertel meines Wesens glaube
ich an die Wirklichkeit dieser Vorgänge, aber mit einem Viertel meines
Ichs frage ich mich, ob dieses alles nicht doch letzten Endes ein Spiel
meiner eigenen Gedanken ist«x). Wenige Aussprüche Strindbergs

J) A. Herrlin, Bengt Lidforss uncf August Strindberg, In Bengt Lidforss' minne-

skrift S. 82 f.
 
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