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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Oppert, Kurt: Möglichkeiten des Enjambements
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0246
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BEMERKUNGEN.

forderte Pause verloren werden. Diese Schleife (Überschleif, Verschleifung) erzeugt
den rechten Eindruck des unbehinderten Forteilens.

Gustav Falke, einem der feinsten Meister der Verskoppel und lyrischer Form
überhaupt, wurde die Schlußstrophe seines wundervollen Gedächtnisliedes für Fritz
Stavenhagen bemängelt, »als formlos und hart; die Enjambements«. Der Dichter
verteidigt sich: »Ich empfinde hier das Harte in der Form als notwendig. Natürlich
hab ich es nicht bewußt so gemacht, aber Einwendungen gegenüber finde ich den
Grund, warum: Hier mußt es weh tun.« Dies die Strophe:

Spricht der Tod:

Fühl nicht wie ihr, bin hart und schneid
All Kraut und Gras ohn Lust, ohn Leid
Und schon auch nicht der Blumen. Hüt
Dein Röslein du, so lang es blüht!
Man wird Falke durchaus zustimmen, zumal die gerügten Kerben gar nicht als
einzige Härten herausstechen, sondern das Ganze auf einen gleichmäßig abgehackten,
sozusagen tonlosen Ton gestimmt ist: Bis auf zwei sind alle Worte einsilbig, wenn
nicht von Natur, dann unerbittlich die Enden abgemäht, daß nur die spitzen Stoppeln
stehn geblieben. Selbst das Subjekt »mußte dahin«. Schon das vorangesetzte »Spricht
der Tod«, das so eigenmächtig aus dem Strophenbau des Gedichtes herausschreitet!
Gewaltsamkeiten überall! Ja, hier darf auch das drohende, fast pfeifende Hüt!«,
wie alle Reime der Strophe und viele Worte sonst auf hart gesprochenen Dental
auslaufend, obwohl doch eine Satzpause unmittelbar vorhergeht, ganz kraß das
unveränderlich-starre Gesetz des Verses markieren und also sich völlig isolieren,
ohne daß wir versuchen müßten, um des melodischen Zuges oder des Satzzusammen-
haltes willen die Zeilen ineinander zu verschleifen. Daß der Satz am Ende der
ersten Zeile gerade durch das Wort »schneid« zerschnitten wird, mag man als be-
sondere Feinheit empfinden, ohne jedoch solche Einzelheit für sich gelten und
walten zu lassen.

Das Gegenteil in folgender Strophe desselben Lyrikers:
Eine schöne Freude kommt und nimmt
In die Hand mein Dichterherz und stimmt
Einen lieblichen Gesang an. Ach, wie liegt
Still mein Herz in diese weiche Hand geschmiegt.
Wer nur das geringste künstlerische Empfinden besitzt, wird ganz von selbst
die letzten Worte der drei ersten Verse mit schwebender Stimme über die Zeilen-
pausen hinwegdehnen, das erhöhte Tongewicht, das sonst den Reimsilben von
Natur zufällt, in den folgenden Vers hinüberhebend; besonders deutlich die Tendenz
der dritten Zeile, vom letzten Drittel an, auf das »Still« zu Beginn der vierten hin,
wo erst nach diesem Wort ein wenig still-gehalten wird. Wie unübertrefflich ist so,
durch Längung der beiden Schlußzeilen um zwei Silben und durch die vielen a-, a1-,
i-Laute unterstützt, das Singende und Wiegende, Schwingende und Schmiegende
gemalt, während betonte Einschnitte, noch besonders auffallend gemacht durch die
sinnbedingten kleinen Rubato-Zögerungen jedesmal kurz vorm Versende, eine hier
ganz unsinnige schematische Starrheit erbrächten.

Ein besonders prägnantes Beispiel dieser Art bieten folgende Zeilen, die einen
Aufschrei zu dem Frieden in der Höhe darstellen:

Einen Flaum nur deines
Schneegefieders, nur
Einen Traum lang deines
Segens eine Spur.
 
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