Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

DOI Artikel:
Oppert, Kurt: Möglichkeiten des Enjambements
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0247
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEMERKUNGEN.

237

Falke selber sagt: »Das flüchtige Bedenken gegen .deines' als Reimwort er-
stickte schon im Entstehen. Der Vers war so aus der zitternden Sehnsuchtsempfin-
dung, aus der Unraststimmung herausgeboren, war gerade durch die ungesuchte
Verschiebung des Reimes zum Binnenreim ,Flaum—Traum' und den nur noch
flüchtig anklingenden Endreim in ,deines' so charakteristisch, daß ich nicht daran
rühren mochte. An und für sich ist der sogenannte reiche Reim, das Wiederholen
desselben Wortes, gerade nicht zu empfehlen. Dieser reiche Reim sollte eher, wie
Gottschall meint, arm genannt werden. Hier geht er so flüchtig vorüber, daß er
das Ohr kaum berührt, eigentlich nur noch für das Auge da ist, immerhin aber
seinen Platz als Stellvertreter genügend ausfüllt, um den Reimbau der letzten Strophe
dem der voraufgehenden anzugleichen.«

Unsere Beispiele ließen uns im Nebenbei die Komplementärerscheinung zur
Koppel bemerken: die Sinnpause innerhalb des Verses, wo also, umgekehrt, der
Satz geschlossen und der Vers noch unfertig ist. Kein Wunder, daß diese Erschei-
nung besonders häufig gerade mit der Koppel im Verein auftritt: Irgendwo müssen
die Enden der Sätze und Wortkomplexe ja liegen, bilden die Zeilenschlüsse aber
Koppelungen, dann eben mitten im Verse.

Gustav Falke:

Regen.

Vor meinem Fenster schwanken
Die schwarzen Koniferen
Im Regen und die schweren,
Nassen Efeuranken.

Schatten allerwegen
Und Schleier, Nirgend ein Schimmer
Tröstender Sonne, nur immer
Wind und immer der Regen.

Die Tulpen, zarte Gestalten,
Neigen die schlanken Stiele,
Sie können im Kelch so viele
Tränen nicht mehr halten.

Sie sinken erschöpft an den feuchten
Wegen hin und weinen.
Diese stolzen, feinen,
Wo ist nun ihr Leuchten?

Sie wollten so herrlich stehen,
Sich und den Garten zieren
Und müssen nun liegen und frieren
Und früh vergehen.

Wie zu lesen? Die Verskoppeln sind zu verschleifen, dagegen die Stockungen
innerhalb scharf zu markieren, d. h. also: Tendenz zur Auflösung in den natürlichen
Prosarhythmus hin, durch den der künstlerisch-poetische nur eben noch hindurch-
schimmert, als etwas, das eigentlich sein sollte, aber von Zerstörung ergriffen wurde.
Warum so? Unsere Darstellung argumentiert fast für sich selbst: Indem die natür-
lichen Pausen der Verse, die durch Unregelmäßigkeit der Senkungssilben schon
uneinheitlich genug erscheinen (mit und ohne Auftakt) — indem die natürlichen
Verspausen gleichsam von der Stelle gerückt und gerissen werden, fühlt man so-
 
Annotationen