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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0260
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BESPRECHUNGEN.

nichts merkt. Das Personenregister füllt fünf zweispaltige Seiten. Da die Arbeit für
den Druck zusammengezogen werden mußte, kommt Einiges zu kurz, so besonders
Goethes Odendichtung, aber der Eindruck der Kennerschaft leidet darunter nicht:
das Phänomen »die Ode in Deutschland« ist so gut wie vollständig aufgenommen.
Was die Spezialkenner im einzelnen etwa an Berichtigungen anzubringen haben
könnten, dürfte unbedeutend sein.

Weniger befriedigt, was über das Verhältnis der deutschen Odenpoesie zu ihren
Vorbildern gesagt wird. Das »Verhältnis zu den beiden antiken Grundarten, der
Ode des Pindar und des Horaz, festzustellen, ist nicht die wesentlichste Aufgabe«;
der Hinweis auf die klassischen Muster ist nur »ein Hilfsmittel der Darstellung,
nicht ihr Selbstzweck« (S. 5). Soll dies als bedauernder Verzicht genommen werden,
so ist die Kritik entwaffnet. Aber es scheint mir auf jeden Fall eine literarhisto-
rische Aufgabe zu bleiben, dem mehr oder weniger intensiven »Bildungserlebnis«
nachzugehen, das unsere deutschen Horazianer mit Horaz gehabt haben, und ihre
Schöpfungen von der Oberfläche bis zur Tiefe mit den bewunderten Urbildern zu
vergleichen. Unser Autor vermeidet den Eindruck nicht durchaus, daß er für solche
Erlebnisse wenig übrig hat. So läßt er sich durch Platens allzu wohlgepackten
klassischen Schulsack den Blick verschränken auf dessen echtes Dichtertum; sein
Herz verschließt sich nicht bloß vor dem falschen Spondeus — dessen gerechte
Beurteilung durch Heusler er sich aneignet —, sondern vor Platens klassischer Hal-
tung überhaupt und so vor dem ganzen Platen. Umgekehrt erscheint Hölderlin, der
es ihm anderweit angetan hat, aber doch auch ein glühender Griechenlehrling war,
überhaupt nicht als solcher. Und Rud. Alex. Schröder, der bedingte Anerkennung
findet, wird uns vorgestellt als ein etwas ärmlicher Hölderlinschüler, obgleich die
Antike gewiß für diesen Odyssee-Erneuerer auch in seinen Oden mindestens so viel
bedeutet wie Hölderlin (ob zu seinem Heil oder Unheil, das steht hier nicht zur
Erörterung). Es ist gewiß empörend, daß man zuweilen kenntnis- und fühllos be-
deutende neuere Dichtertaten und gar die ganze neuere Literatur als bloßen
schwächeren Nachhall antiker Größe der Geringschätzung hat preisgeben wollen.
Aber die Wahrheit, die man hierdurch übertrieben und verzerrt hat, besteht gleich-
wohl und darf nicht den klassischen Philologen überlassen bleiben, das wäre wider-
sinnig und unfair.

Die .Klopstocksche Ode weist noch einen anderen Altertumseinschlag auf als
den antiken, nämlich den altnordischen, und diesem Element pflegt noch weniger
Gerechtigkeit zu widerfahren infolge seiner Unbekanntheit. Auch Vietor steht ihm
sehr kühl gegenüber (»an der Mythologie ist die enthusiastische Ode gescheitert«).
Er sucht die Erklärung an der üblichen Stelle: die vaterländische Tendenz, also ein
außerkünstlerisches Motiv, hat Klopstock zur Edda geführt (übrigens war diese
damals nicht »neu entdeckt«, wie es S. 126 heißt). Ich bezweifle, ob es das allein
war. Die Wendung des 18. Jahrhunderts zur altnordischen Literatur, die sich zuerst
in England zeigt, war Präromantik und eine wesentlich ästhetische Bewegung. Man
hat die altnordischen Gedichte, die man kennen lernte, spärlich, schwierig und
manchmal entstellt, wie sie waren, doch schön gefunden, wie später Wagner, als
er bei Ettmüller studierte, und wie unser Eddaerneuerer Genzmer. Was den Horazi-
anern zugebilligt wird, das sollten auch die Skaldenjünger für sich in Anspruch
nehmen dürfen, mag auch ihr Geschmacksurteil den meisten unverständlich bleiben;
für Horaz selbst haben ja viele kein Organ. Klopstock aber, das Genie, dem schon
Horaz und die Psalmen zu heftigen Erlebnissen geworden waren, hat die altnor-
dische Poesie als der antiken Ode verwandt empfunden, nicht etwa bloß wegen
der mythologischen Diktion, sondern wegen ihres Grundcharakters, der ernsten Er-
 
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