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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0261
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BESPRECHUNGEN.

251

habenheit, wegen der reichen, undurchsichtigen Sprache, wohl auch wegen des Vers-
baus. Die Mißverständnisse, mit denen seine Kenntnis behaftet war, brauchten ihn
nicht zu hindern, daß er von der lebendigen Natur der alten Werke das Wesent-
liche richtig erfaßte. Hat dasselbe doch auch Herder getan, dessen Verdeutschungen
von Eddaliedern trotz allen Fehlern sehr hoch stehn. Klopstock hat über das Ge-
druckte hinaus von dem Inhalt der Kopenhagener Pergamente Kenntnis bekommen
(wohl durch Abschriften, die er sich besorgen ließ), er hat sich in diese Dinge
sicher mit Beharrlichkeit vertieft, und wenn ihm auch immer Ossian dazwischen
kommt, so gibt er doch gewiß eigene Lektüre- oder Deklamationseindrücke wieder,
wenn er z. B. den Gott Braga in freudigerem Strophengang von den Ehren Wal-
halls singen läßt (Grimnismal, Eiriks- und Hakonarmal). Bei der Abschätzung dieser
Fühlungnahme ist zu berücksichtigen, daß der Dichter, durch viel Barbarisches be-
fremdet — wie ja auch noch die Romantiker —, stark eklektisch vorgeht und man-
ches veredelnd umbildet, wozu ihm teilweise Ossian verhilft. Daß verhältnismäßig
so wenig Altnordisches in Klopstocks Dichtung eingeht — wenn auch erheblich mehr,
als man gemeiniglich denkt —, das liegt nicht an spärlicher Kenntnis oder ober-
flächlicher Beschäftigung, sondern an den inneren und äußeren Widerständen, denen
seine Liebhaberei ausgesetzt war. Er schwamm ebenso wie die andern germanisch
inspirierten Schriftsteller seiner Zeit (Herder vor allen) gegen den Strom; sie alle
mußten mit stumpfen Waffen kämpfen. Der Literarhistoriker sollte seinen Standpunkt
nicht einseitig beim Publikum nehmen; will er doch selber mehr sein als Publikum.
Vietor nennt die Wahl, die der Dichter unter den überkommenen Kunstformen trifft,
einen »wesentlichen Akt der poetischen Tätigkeit« (S. 2). Nun gut, dasselbe muß
von der Wahl des modernen Dichters unter dem Bildungsstoff überhaupt gelten,
und die poetische Tätigkeit ist doch das vorzugweise Interessante, sofern man den
Dichter als solchen anerkennt; Klopstock aber ist auch für Vietor ein Gipfel der
deutschen Odenkunst.

Im einzelnen wäre noch manches anzumerken, vor allem auch zustimmend.
Der Verfasser zeigt oft einen unbefangenen Blick, so daß auch der seiner speziellen
Studienrichtung Fernerstehende Freude davon hat. Er weiß den gelehrten Huma-
nistendichtern wenigstens grundsätzlich gerecht zu werden (S. 11), ist sich bewußt,
daß es schon im Hochmittelalter eine fein ausgebildete Kunstsprache in Deutsch-
land gegeben hat (wenn auch die ungleich merkwürdigere Stabreimsprache außer-
halb des Blickfeldes bleibt), unterscheidet stoische und christliche Ethik (S. 38 f.),
beschreibt Hölderlins Stil so sachlich und treffend (S. 160), daß damit ein Typus
hingestellt ist, der auch anderswo zu finden wäre, z. B. im altnordischen Spruch-
metrum (liodhahattr), das auch wegen seiner odenmäßigen Gedrungenheit und
reflektierend-gefühlsmäßiger Haltung in diesem Zusammenhang Erwähnung verdient,
und er spricht es ruhig aus, daß das 19. Jahrhundert kein Ohr mehr für die Odenverse
hat, worunter Geibel zu leiden hatte — auch Runeberg, setze ich hinzu, dessen aus-
drucksvolle klopstockisierende Form im Epos »König Fjalar« bei der schwedischen
Kritik (Sturzenbecher u. a.) auf vollendetes Unverständnis stieß und jedenfalls noch
heute stößt. Denn es ist doch sehr die Frage, wieweit man heute Ohren hat für
Odenverse. Hoffen wir mit Vietor, daß es sich nur um einen Winterschlaf für die
deutsche Ode handelt, und daß der Frühling vor der Tür steht! Seine Studie ist
wohl dazu angetan, dieser Hoffnung zur Erfüllung zu verhelfen. Das ist schließlich
nicht minder verdienstlich, als wenn dieser talentvolle Gipsentwurf ein ganz ausge-
reiftes Monument aus vollkörnigem wissenschaftlichem Granit wäre.

Berlin-Charlottenburg.

Gustav Neckel.
 
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