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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0382
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372

BESPRECHUNGEN.

ergebnisse, die Schlosser, Rothacker, Gantner u. a. zusammengetragen haben. Daß
sie nicht endgültig, nicht unanfechtbar sind, beweist der ausgezeichnete Hamburger
Gelehrte, Erwin Panofsky, in seiner kleinen Schrift »Idea«, die als ein Markstein in
der Aufhellung der Geschichte der Kunsttheorien bezeichnet werden darf, wenn
auch dieser Markstein von unklarer, unübersichtlicher Gestalt ist. Die Arbeit umfaßt
72 Quartseiten und 304 Anmerkungen auf 49 Seiten. Da die Schrift sich ohnehin
nur an die Fachwissenschaft wendet, wäre es besser gewesen, selbst wenn die
Darstellung noch mehr beschwert worden wäre, den größten Teil der Anmerkungen
in den Text hineinzuarbeiten. Es ist auch für gelehrte Leser lästig, auf jeder Seite
fünf bis zehn Mal nach hinten zu blättern. Immerhin: Man tut es, weil der Verfasser
Neues und Bedeutungsvolles zu sagen hat. Panofsky hat richtig erkannt, daß die
Begriffsbildungen in der Kunsttheorie geklärt werden müssen, bevor eine Geschichte
der Kunsttheorien geschrieben werden kann. Er hat auf diesem Arbeitsgebiet sozu-
sagen von vorne angefangen. Von Ernst Cassirers Vortrag »Die Idee des Schönen
in Piatos Dialogen« ausgehend, definiert Panofsky in seiner Einleitung, wie Plato
dort, wo er von den bildenden Künsten spricht, den so vielfach verschmähten Ver-
tretern der pLVf)GTix7] texviq, die nur die sinnliche Erscheinung der Körperwelt nach-
zuahmen wissen, gelegentlich diejenigen Künstler gegenüberstellt, die in ihren
Werken die »Idee« zur Geltung zu bringen versuchen, und deren Arbeit sogar als
Paradeigma für die des Gesetzgebers herangezogen werden darf. Der Verfasser ver-
folgt von hier aus die Begriffsbildung der Idea von der Antike bis zum Klassizis-
mus. Er schält aus dem Denken der Antike zwei gegensätzliche Motive heraus, die
nebeneinander bestehen: 1. daß das Kunstwerk weniger sei, als die Natur, insofern
es sie lediglich, im besten Falle bis zur Täuschung, nachbilde, 2. die Vorstellung,
daß das Kunstwerk mehr sei, als die Natur, insofern es, die Mängel ihrer einzelnen
Produkte ausgleichend, ihr selbständig ein neugeschaffenes Bild der Schönheit
gegenüberstelle. Für das letzte weist er auf Philostrats Ausspruch hin, den er
als Antwort des Apollonius von Tyana einem Ägypter geben läßt, als er fragte, ob
der Phidias im Himmel gewesen sei und die Götter in ihrer wahren Gestalt be-
trachtet habe: »Die Phantasie hat das getan, die eine bessere Künstlerin ist als die
Nachahmung, denn die Nachahmung wird darstellen, was sie sah, die Phantasie
aber, was sie nicht sah.« Abschließend schreibt Panofsky am Ende des Kapitels
über die Antike: »Als Nachahmungen der Sinnenwelt aufgefaßt, entbehren die Werke
der Kunst der höheren geistigen oder, wenn man so will, symbolischen Bedeu-
tung — als Offenbarungen der Idee aufgefaßt, entbehren sie der ihnen eigentüm-
lichen Entgültigkeit und Autarkie; und es scheint, als ob die Ideenlehre, wenn anders
sie ihren eigenen metaphysischen Standpunkt nicht aufgeben will, mit einer gewissen
Notwendigkeit dazu gelangen müsse, dem Kunstwerk entweder das eine oder das
andere streitig zu machen.« Diese Auffassung übernahm Augustinus, der nur den
unpersönlichen Weltgeist des Neuplatonismus durch den persönlichen Gott des
Christentums ersetzte, um eine von seinem Standpunkt aus annehmbare und in der
Tat für das ganze Mittelalter maßgebende Auffassung zu gewinnen. >Nach mittel-
alterlicher Auffassung« schreibt Panofsky, »entsteht das Kunstwerk nicht, wie das
19. Jahrhundert es ausgedrückt hat, durch eine Auseinandersetzung des Menschen
mit der Natur, sondern durch die Projizierung eines inneren Bildes in die Materie —
eines inneren Bildes, das zwar nicht geradezu mit dem zum theologischen Terminus
gewordenen Begriff ,Idee' bezeichnet, wohl aber mit dem Inhalt dieses Begriffs
verglichen werden kann.«

Die Renaissance bezeichnet Panofsky als Anbruch einer neuen Kulturepoche,
weil sie in der unmittelbaren Nachahmung der Wirklichkeit die Aufgabe der Kunst
 
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