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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0383
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BESPRECHUNGEN.

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erblickte. Diese These wird mehrfach belegt. Es wird aber gleichzeitig darauf hin-
gewiesen, daß sich in die »Imitation« das Prinzip einer »Elektion« einschlich — der
Schönheitsforderung, die auf der Voraussetzung beruhte, daß oberhalb des Subjekts
und oberhalb des Objekts ein System allgemeiner und unbedingt gültiger Gesetze
bestehe, von denen die Schönheitsregeln abzuleiten seien und die zu erkennen
eben die spezifisch kunsttheoretische Aufgabe darstelle. Wichtig ist der Hinweis
Panofskys, daß die normativen Bestrebungen der Frührenaissance sich unabhängig
von dem florentinischen Kulturkreis der neuplatonischen Philosophie hielten. Über-
zeugend wird dargetan, wie die »Academia Platonica« mit der Philosophie Marsig-
lio Ficinos allmählich auf die Kunsttheorie Einfluß gewinnt, wie die Vorstellung
der künstlerischen Idee wieder aufgenommen, aber nicht im Sinne der Antike aus-
gedeutet wird. Sie entkleidet vielmehr den Begriff ihres metaphysischen Adels, formt
die »Idee« zum »Ideal« um, das die in den Dingen vorgebildete Gesetzlichkeit zum
Ausdruck bringen soll. Dadurch wurde das Verhältnis zwischen Ich und Welt, Spon-
tanität und Rezeptivität, Stoff und wirkender Formkraft — kurz, wie Panofsky es
nennt: das Subjekt-Objekt-Problem aktuell. Die zugleich revolutionäre und traditio-
nelle Haltung des Manierismus gegenüber der Renaissance, sein Wille, die Renais-
sance zu überwinden und gleichzeitig fortzusetzen, werden einleuchtend charakte-
risiert. Es finden sich in diesem und in dem folgenden Kapitel: »Klassizismus« eine
Reihe wertvoller Untersuchungen zur Klärung der Begriffsbildungen. Allein der Be-
griff des Klassizismus erscheint mir nicht umfassend genug gedeutet. Panofsky
näherte sich ihm zu ausschließlich von Italien aus. Während er in den Abschnitten
über Antike, Mittelalter und Renaissance die Wechselwirkungen zwischen Philo-
sophie und Kunsttheorie aufs Gründlichste berücksichtigte, legt er im Klassizismus
zu wenig Gewicht darauf, daß der Schwerpunkt der Kunsttheorie sich allmählich
von Rom nach Paris verschob, daß die Franzosen: Descartes, Voiture, Dufresnoy
einen wichtigen Einfluß auf die französischen Kunsttheoretiker gewannen, daß dem
Klassizismus Poussins ein anderer Gehalt innewohnt als dem normativen Klassi-
zismus der französischen Akademie. Es ist gewiß von einschneidender Bedeutung,
daß Panofsky darauf hinweist, daß Poussin seine Theorie des Schönen fast wört-
lich dem Symposionkommentar Ficinos beziehungsweise Lomazzos »Idea del Tempio
della Pittura«- entnommen hat; aber er kann doch nur in bedingter Form Curt
Gerstenberg entgegentreten, der die Schönheitslehre Poussins als tiefere, erkenntnis-
theoretische Einsichten bezeichnete. Die Bemerkung Gerstenbergs steht in einer
Anmerkung auf S. 108 seines Buches »die ideale Landschaftsmalerei« — ein Zeichen,
daß der Verfasser trotz der großen Worte ihr für seine Beweisführung nicht aus-
schlaggebende Bedeutung beilegt. Poussins Schönheitslehre ist uns immerhin nur
durch Bellori vermittelt. Wenn auch Bellori selbst ganz andere Grundsätze vertreten
hat, so erfordert eine solche indirekte Übermittlung doch eine gewisse Zurückhal-
tung. Mir aber scheint, daß durch Panofskys Entdeckung Poussin nur gewinnt und
daß nach ihr meine Definition des Poussinschen Klassizismus diskussionsfähig bleibt,
da gerade sie seinem metaphysischen Gehalt gerecht wird. Wenn Panofsky am
Schlüsse seines Kapitels über den Klassizismus schreibt: »Zusammenfassend darf
man also sagen, daß erst der Klassizismus die Ideenlehre im Sinne einer gesetz-
geberischen' Ästhetik ausgebildet hat,« so möchte ich dagegen sagen, daß der Ver-
fasser damit den Klassizismus der französischen Akademien trifft, nicht aber den
Klassizismus Poussins, der keineswegs einen normativen Charakter hat und in dem
Gerstenberg — allerdings nicht ganz in meinem Sinne — auch eine spekulative
Kunstmetaphysik erkennt. Es ist eine ganz seltsame Erscheinung, daß viele deutsche
Kunsthistoriker dem Phänomen des französischen Klassizismus nicht immer in vollem
 
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