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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Cassirer, Ernst: Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0309

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DAS SYMBOLPROBLEM U. SEINE STELLUNG IM SYSTEM D. PHILOSOPHIE. 297

es ist kaum zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß die gesamte
wissenschaftliche Gestaltung der Logik und der Mathematik, wie sie
sich im 19. Jahrhundert vollzieht, in ihrem Zeichen steht. In der stetigen
Weiterbildung des Leibnizischen Leitgedankens ist auf der einen Seite
die geometrische Charakteristik und die Ausdehnungslehre Hermann
Graßmanns entstanden, wie anderseits hierauf die Grundlegung der
»symbolischen Logik« bei Boole, bei Peano und Russell be-
ruht. Und heute sieht der princeps mathemäticomm, heute sieht ein
Denker wie Hilbert das Heil der Mathematik allein auf diesem Wege:
nur von einer durchgängigen, bis ins Letzte getriebenen »Formalisierung«
der Mathematik erhofft er die Sicherung ihrer Grundlagen und den lücken-
losen Beweis ihrer Widerspruchslosigkeit. So stark, so beherrschend
ist diese Tendenz, daß sich unter ihrem Einfluß eine völlige Wandlung
in der Auffassung des Gegenstands der Mathematik durchzusetzen
beginnt. Denn den eigentlichen mathematischen Gegenstand bilden
fortan nicht mehr die Zahlen oder Größen, sondern ihn bilden vielmehr
die sinnlich-anschaulichen Zeichen selbst. »Indem ich diesen Standpunkt
einnehme — so betont Hilbert — sind mir im genauen Gegensatz
zu Frege und Dedekind die Gegenstände der Zahlentheorie die
Zeichen selbst... Hierin liegt die feste philosophische Einstellung, die
ich zur Begründung der reinen Mathematik, wie überhaupt zu allem
wissenschaftlichen Denken, Verstehen und Mitteilen für erforderlich
halte: am Anfang — so heißt es hier — ist das Zeichen«1). Es darf
freilich nicht übersehen und nicht verschwiegen werden, daß eben
diese radikale Folgerung heute im Kreise der Mathematik noch-durch-
aus umstritten ist — daß dem Hilbertschen Versuch einer Reduktion
der gesamten Mathematik auf eine »Lehre vom Zeichen« in der »intui-
tionistischen Mathematik«, wie sie von Brouwer und Weyl ver-
treten wird, ein gefährlicher Gegner erstanden ist. Aber schon der
Versuch, den gesamten Gehalt der Mathematik in dieser Weise in
eine »Lehre vom Zeichen« einzuspannen, ist charakteristisch für eine
typische Grundrichtung der modernen mathematischen Denkart. Und
es bedarf nur eines kurzen Hinweises darauf, wie stark diese Denk-
art auch auf die Fassung der naturwissenschaftlichen Begriffe und
auf deren erkenntnistheoretische Begründung gewirkt hat. Schon bei
Helmholtz tritt der Begriff des Zeichens in den Mittelpunkt der
naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre: er ist es, der der gesamten
Helmholtzschen Wahrnehmungstheorie und seinem Aufbau der »Phy-
siologischen Optik« das Gepräge gegeben hat. Und Heinrich Hertz

;) Hilbert, Neubegründung der Mathematik. Erste Mitteilung, Abh. aus dem
Math. Seminar der Hamburg. Univers., Bd. I, S. 162.
 
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