Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

DOI Artikel:
Thurnwald, Richard: Symbol im Lichte der Völkerkunde
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0347

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
SYMBOL IM LICHTE DER VÖLKERKUNDE.

335

zugrunde, sondern sie wirkte zunächst in dem als wesentlich betrach-
teten Vorgang des Berührens der Brust mit den Lippen und damit
der Begründung einer Verwandtschaft. Erst einer späteren Zeit, der
dieser Vorgang als etwas Äußerliches erschien, die das Wesentliche
wo anders sah, nämlich in dem tatsächlichen Gestilltwerden, einer
solchen Zeit wurde das Berühren der Brust mit den Lippen zu einem
sSymbol«. Aber dieses Symbol hatte von früher her noch die Kraft
der Wirkung einer Aufnahme in den Verwandtschafts- und damit in den
Blutracheverband. Dadurch wurde der Flüchtling des Schutzes von
Haus und Sippe teilhaftig, und die erwähnte Handlung ist zum Symbol
des Schutzes geworden.

Manchmal müssen wir einer Deutung auch nach verschiedenen
Richtungen hin nachgehen. Warum gelten Zwillinge in Westafrika von
Lagos bis Benin, wenn sie männlich sind, als Unglück bringend, weib-
liche als Glück verheißend, männlich-weibliche als neutral? Daß Zwil-
linge als Unglück betrachtet werden, finden wir häufig. Die rationa-
listische Erklärung wird in .diesem Falle recht haben, wenn sie darauf
hinweist, daß Zwillinge infolge der starken Beanspruchung der Mutter
leicht zu Krankheit oder Tod, sowohl von Mutter wie von Kindern,
führen können. Warum aber bedeuten weibliche Zwillinge Glück?
Wahrscheinlich sind dafür mutterrechtliche Gedankengänge und Ein-
richtungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der Mädchen, durch
die Geld einkommt, verantwortlich zu machen. Das übrige ist wohl
als Ergebnis lokaler Spekulation zu betrachten. Daß dagegen den Zwil-
lingen besondere Kräfte zugeschrieben werden, finden, wir häufig. Sie
sind eben etwas Außergewöhnliches. In dem Falle von Westafrika
hören wir, daß daraus insofern eine Anwendung aus dieser magischen
Bedeutung gezogen wird, als Zwillingen gewöhnlich die Heilkunst
anvertraut wird.

§ 10. Das Symbol setzt, wie wir sahen, ein Bild aus der Erinne-
rung, das man auch beim anderen als lebendig annimmt. Symbole sind
nicht nur Hilfen für die eigene Erinnerung, sondern auch für die Ver-
ständigung mit den anderen, bei denen ähnliches vorausgesetzt wird.
Die Symbolbilder sind daher Verständigungsmittel in einer Gedanken-
welt, die nicht fest geordnet und noch keine Stabilität erlangt hat.

In diesem Zusammenhang muß man auf die Erscheinung der
Eidetik hinweisen, welche zwischen Anschauungsbild und Wahr-
nehmung einen gleitenden Übergang beobachtet. Wenn wir erwägen,
daß Anschauungsbilder den Charakter von Wahrnehmungen bedingen
und sogar bis zur Täuschung der Sinne gesteigert werden, als ob man
wirkliche Gegenstände wahrnehmen würde, wie das namentlich bei
 
Annotationen