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Zeitschrift für christliche Kunst — 34.1921

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Heft 9
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Rademacher, Franz: Die Kanzel in ihrer archäologischen und künstlerischen Entwicklung in Deutschland bis zum Ende der Gotik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4344#0150

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138

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 9

Jahre 1333, die u. a. genaue Vorschriften für die Errichtung des Lettners
gibt". Wir finden den üblichen Typ mit fester Rückwand, vorderer Säulen-
stellung und breiter Bühne genau vorgezeichnet. Von der Bühne heißt es:
,, . . . cuius summitas pro lectura evangelii organorum locacione remaneat
et ambone." Ein gleichzeitiger deutscher Text lautet: ,, . . . und dy hoye
des gewelbys sal blibin, das man dar uf secze den predicstul orgelin und
dar uf das evangehum lese." Ebenso eine andere etwas spätere deutsche
Übersetzung. Es wird hier also deutlich ein Unterschied gemacht. Die
Lettnerbühne soll dienen zur Verlesung des Evangeliums, aber andererseits
nicht einfach zur Abhaltung der Predigt, sondern um darauf den Predigtstuhl
zu setzen. Der Predigtstuhl wird hier der Orgel gleichgestellt. Während
man sich also für die Verlesung des Evangeliums wohl mit einem einfachen
Pult auf der Brüstung begnügte, soll für den Prediger ein besonderer „Stuhl"
auf den Lettner gestellt werden. Es muß ein selbständiges Möbel gemeint
sein, sonst könnte man nicht von „daraufstellen" reden und den Predigtstuhl
in einem Atemzug mit der Orgel nennen. Die einzig mögliche Deutung
ist die, daß wir uns diesen Predigtstuhl nach Art der von den Bettelmönchen
benutzten einfachen Holzkanzeln vorstellen. Es wird im wesentlichen eine
auf einem Sockel erhöhte Brüstung gewesen sein.

Dürfen wir eine solche Kanzel auf der Lettnerbühne als die Regel an-
nehmen? Überliefert ist uns weiter nichts, doch gibt die Vorschrift für
den Königsberger Lettner - der natürlich hier im Osten einfach übernommen
wurde - so genau den üblichen Typus wieder, daß wir annehmen möchten,
daß man sich auch mit dem Aufstellen der Kanzel einem allgemeinen
Gebrauch anschloß. Hätte man hiermit eine Neuerung beabsichtigt, so
würde der Wortlaut der Vorschrift sicher anders lauten. Ob dieser Predigtstuhl
in die Mitte des Lettners gestellt wurde, läßt sich nur vermuten.

Bis in die Renaissancezeit werden neue Lettner errichtet, doch zeigt
sich eine Weiterentwicklung, die allerdings oft zugleich eine Entartung ist.
An die Stelle der üblichen drei treten vielfach fünf oder sogar sieben
Arkaden; zuweilen wächst der Lettner auch in die Seitenschiffe hinein.
Die dekorative Ausgestaltung wird immer reicher, dagegen wird die ur-
sprüngliche Bestimmung allmählich aufgegeben. Mit der Auflösung der
Rückwand geht der Charakter einer abschließenden Schranke verloren, und
in seiner Bestimmung als Lese- und Predigtort wird der Lettner im XV. Jahrh.
abgelöst durch die Kanzel. (Fortsetzung folgt.)

Krefeld. Franz Rademacher.

51 R. Dethleffen: Die Domkirche in Königsberg i. Pr. Berlin 1912. S. 7. Auf die
Urkunde wies schon Otte hin: a. a. 0. I, 51 Anm. 1.
 
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