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Zeitschrift für christliche Kunst — 34.1921

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Heft 10-11
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Beitz, Egid: Allegorien der Reformationszeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4344#0181

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Nr. 10/11 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. 169

viele, die einen Mantel tragen. Offenbar kennzeichnet dieser Mantel die
Rechtfertigungsgläubigen der Lehre Luthers. Nach dieser Lehre nimmt
Luther an, daß Gott die Menschen rechtfertige durch die Gerechtigkeit
Christi, der Mensch müsse nur gläubiges Vertrauen haben, seine Sünden
würden jedoch nicht getilgt, sondern durch die Verdienste Christi wie mit
einem Mantel bedeckt. „Christus muß vor Gottes Augen unser Schand-
deckel sein"; „Was noch unrein und unvollkommen, das gehört unter den
Deckel und unter den Schirm der Vergebung der Sünde", sagt Luther.
Ihm gegenüber lehrt die katholische Kirche vor allem, daß die Rechtfertigung
des Sünders durch Christus die Sünden nicht bloß bedecke, sondern auch
tilge. Um die Rechtfertigungslehre ist im XVI. Jahrh. sehr gestritten worden.
Unser Bild bekämpft die reformatorische Lehre, indem es darstellt, wie die
lutherischen Rechtfertigungsgläubigen von den Engeln mit Schwertern ab-
gewehrt werden und nicht zu Christus gelangen können. Sie sind Irrgläubige
und Ketzer. Ebenso ergeht es den andern ohne Mantel Dargestellten: Juden,
Händlern u. dergl., die wegen ihres Unglaubens zurückgeworfen werden und
eine so starke Zurückweisung erfahren, daß sie hoffnungslos übereinander-
taumeln. Auf die Bildmitte zu schreitet von rechts her noch ein Mann mit
zwei Kindern unter dem Rechtfertigungsmantel. Eins der Kinder trägt eine
Brille in der Hand, der Mann selbst stützt sich auf einen Stock (Stab des
Glaubens, Stock eines Blinden?) und hält mit der andern Hand eine Laterne
vor (Licht des Glaubens?) — auch er gehört zu den Nichtsehenden in der
Finsternis des Irrglaubens, der als lutherischer Rechtfertigungsgläubiger das
Ziel nicht erreichen wird. Links im Vordergrunde treten vier Personen auf,
zwei davon sind Lutheraner, die beiden andern Juden. Wie Blinde werden
die Reformierten von den Juden und einem weißen Hund geführt. Einer
der beiden Christen weist mit der linken Hand nach dem Berge zum Heiland
hin. Die Juden und das Hündchen führen sie aber nach rechts zu einer
Gruppe von drei Personen2. Davon ist einer als Luther kenntlich, neben
ihm sitzt ein anderer Reformator (Calvin?); beide disputieren über einen
Mantel, also über die Rechtfertigungslehre; ein stehender Dritter (Rabbiner?)
beteiligt sich an der Auseinandersetzung. Auffallend ist das einträchtige
Zusammenwirken von Juden und Protestanten. Vielleicht deutet das Bild
hier auf besonders geartete Geschehnisse hin, denn allgemein stand der
Protestantismus den Juden damals ebensowenig freundlich gegenüber wie
der Katholizismus.

Das Lehrgemälde spricht keineswegs klar aus, daß der katholische Recht-
fertigungsglaube sicherer zum Ziele führe. Doch ist das Bild gewiß aus der
katholischen Anschauung heraus entstanden, und die Vermutung Dr. Schotten-
lohers, München, der mich bei der Deutung des Werkes in dankenswerter
Weise unterstützte, wird richtig sein, daß die Tafel noch ein Gegenstück
gehabt hat, auf dem die Belohnung der Rechtgläubigen, d. h. also hier der
Katholiken, dargestellt war.

Bensberg. Egid Beitz.

2 „Führt ein Blinder den andern, so fallen beide in den Graben", lautet das flämische
Sprichwort, das Breughel 1568 in einem glänzenden Bilde dargestellt hat.
 
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