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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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Thiersch, Hermann: Antike Bauten für Musik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0063

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antike Bau schon enthielt: die Bevorzugung der runden, konkaven Räume, die Wölbung
der Decke, die Brechung des Schalles durch reiches Innendetail, die künstliche Hohl-
legung des Bodens, die Verwertung des akustisch ganz unentbehrlichen Holzmaterials.

Einer der akustisch vorzüglichsten Bäume, die es je gegeben hat, das alte Ge-
wandhaus in Leipzig, hatte die Form einer eiförmigen Dose mit ringsum hohlen
Wandungen in Holz und einen sogar zweigeschossigen hohlen Unterbau. (Vergl. Handb.
d. Arch., IV. Teil, 6. Halbbd., Heft 3. 1901. S. 202 [Steinbrecht].)

Die größte (elliptische) Anlage für musikalische Aufführungen ist die Albert Hall
in London mit 68 x 52 m Durchmesser und wieder gewölbter Decke (Abb. im Handb.
d. Arch., IV. Teil, 1, S. 352 [1904]).

Der große Musiksaal des Trocadero in Paris mit 48 m Durchmesser ist bis
jetzt wohl, der größte kreisförmige Bau für moderne musische Agone ^Abb. ebenda,
S. 354 ff.). Die sehr großen Dimensionen, verursacht durch die 5000 Sitzplätze, sind
akustisch ungünstig. Mit großer Geschicklichkeit ist dies ausgeglichen, indem die ge-
wölbte Holzdecke stark mittönend gemacht wurde, nämlich eingeteilt in 100 kleine Kom-
partimente, die an die Lacunaria des Pausias (vergl. oben S. 36) erinnern.

Einen idealen kreisförmigen Musiksaal von mäßigeren Dimensionen hat seinerzeit
Oppermann für Paris entworfen (Abb. ebenfalls im Handb. d. Arch., Tafel zu S. 210/11).
Vergl. was dazu Steinbrecht a. a. 0. anmerkt: «Wenn es nur auf volle Orchestermusik und
Chorgesaug ankäme, so wäre die Lage der Musikquelle im Zentrum der Zuhörer
die geeignetste, und in dieser Beziehung ist die Idealanlage., welche Oppermann mitteilt,
der Vorläufer des Trocaderopalastes, vollkommen berechtigt».

Die Beispiele ließen sich mit Leichtigkeit mehren. Ich verweise nur noch
darauf, wie man in den Anfängen des modernen Theaterbaues im 18. Jahrhundert
immer wieder auf die runde Bauform verfiel (Beispiele bei Langhans), und wie auch die
Kirche da, wo sie unbedingt auf Verstärkung der Stimme dringen mußte, an Altar und
Kanzel niemals die Rundform des Raumes vermissen, nie der verstärkenden Resonanz
des Holzes entbehren konnte: in der Apsis und in der Kanzel mit ihrem Schalldeckel.

Wenn dagegen die neuesten Erfahrungen und Untersuchungen immer wieder und
immer stärker darauf hinauskommen, daß runde Räume sich schlecht eignen als Vor-
tragssäle und daß viereckige Säle mit horizontaler Decke dazu am allerbesten sind, so
stimmt auch diese Erfahrung durchaus mit der antiken Praxis. Es ist nämlich der
fundamentale Unterschied zwischen Sprechakustik und Musikakustik nicht zu übersehen.
Die Erfordernisse sind für beide so verschieden wie die Art ihrer Schallerzeugung. Ebenso-
wenig wie die Antike jemals viereckige Musiksäle hatte, ebensowenig hat sie Räume, die
zum Reden bestimmt waren, irgendwie sphärisch oder mit Kuppeln gebaut: immer
nur rechteckig und eben eingedeckt. Die Sitzungssäle der Rathäuser, die Parlamente,
in Assos, Priene, Milet etc. . . . sind alle viereckig im Grundriß und haben alle flache
Decke. Erst als später die rechteckigen Grundrisse der Versammlungshäuser immer mehr
in die Länge wuchsen, legte man zur Verstärkung der an einem Schmalende postierten
Schallquelle einen tonsammelnden Halbzylinder mit Viertelskuppel unmittelbar da-
hinter: die Apsis der Basilika.

Rechteckige Sprechsäle — kreisrunde Musiksäle: das ist die scharfe Scheidung der
Antike. Offenbar hat dieser Differenzierung des Grundrisses auch die Gestaltung der
Decke entsprochen: horizontale Decken und — Kuppelgewölbe.
 
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