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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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Thiersch, Hermann: Antike Bauten für Musik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0090

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76

Unter Pisistratus strömten Musiker aus ganz Griechenland nach Athen. Er versuchte
es, Delphi in Schatten zu stellen. Seine neuen athenischen Feste sollten den Pythien
Konkurrenz machen. Auf diesen ehrgeizigen Mann geht wahrscheinlich auch die Ein-
führung musischer Agone in Athen zurück. Zweifellos gab es hier solche längst vor Perikles.
Man ist also von vornherein berechtigt anzunehmen, daß es auch einen entsprechenden Bau
dafür iu Athen gegeben haben muß, einen Rundbau demnach, ähnlich wie die Skias in Sparta.
Man glaubte auch Nachrichten über ein solch ältestes Odeion in Athen zu haben, bis
Dörpfeld (Ath. Mitt. 1892, S. 352 ff.) dies bestritt durch die Vermutung, daß sich diese
Berichte auf die bekannte alte Orchestra an der Agora und auf ein von Agrippa daneben
erbautes, römisches Odeion bezögen. Daß sich die Pausaniasstelle I, 8, 6 auf den
Agrippabau bezieht, wird richtig sein. Daß sich aber deswegen die Notiz des Hesychios
(s. v. (iuSsrov)1 auf die Orchestra beziehe, halte ich für unwahrscheinlich. Denn zum
Wesen eines Odeions gehört unbedingt eine gewisse Abgeschlossenheit des Raumes,
vor allem nach oben hin. In Sparta wußte man das längst. Das ist auch sicher
der Grund, warum man viel später, nachdem die alten Odecn längst aufgegeben und
die ganzen Musikaufführungen in die Theater gezogen waren, wieder darauf zurück-
kam, sie in geschlossene Bauten zu verlegen, die zwar noch theaterähnlich2, aber doch
enger sich zusammenschließend und vor allem wieder mit einem festen Dach versehen
waren, mit einem Schalldeckel, wie ihn die Musik nun einmal doch nur schlecht ent-
behren konnte. Das ist der Grund, warum die Odeen der römischen Zeit den Theatern
zwar ähnlich, aber kleiner sind als diese und überdeckt. Das ist der Hauptent-
stehungsgrund der theatra tecta.

Man kann fragen, warum ist man damals nicht einfache zur alten Runclform
zurückgekehrt? Dies geschah wohl auch darum nicht, weil jetzt die mittlerweile er-
folgte Musikentwicklung ein viel größeres Orchester verlangte, als dies jemals in der alten
Zeit der Fall gewesen war. Ein Konzert richtigen römischen Stils in den alten, kreisrunden
Pavillons wäre wahrscheinlich ohrenbetäubend gewesen. Für sehr viel bescheidenere Ver-
hältnisse waren ja jene alten Rundbauten geschaffen worden.

Aus diesem Grunde halte ich es nicht für geraten, jenen töjios, auf dem nach
Hesych vor Erbauung des Theaters die musischen Aufführungen in Athen stattgefunden
hätten, also das alte Odeion, mit der Orchestra an der Agora zu identifizieren. Wohl
aber wird diese der offene Platz gewesen sein, auf dem die ebenfalls schon im 6. Jahr-
hundert durch Pisistratus in Athen eingeführten dithyrambischen Chöre getanzt haben,
aus denen mit dann die Tragödie entstand, die aber mit jenen alten musischen, aller-
dings auch aus dem Peloponnes stammenden Produktionen ruhigen Charakters nichts zu
tun hatten.

Aber auch auf das jüngere Odeion des Perikles kann ich die Hesychstelle nicht
beziehen, denn man kann nicht behaupten, daß zu Perikles' Zeit das Theater noch
nicht gebaut gewesen wäre; es hatte nur noch nicht die monumentale Ausgestaltung
durch Lykurg bekommen, die uns heute immer vorschwebt. Außerdem erfolgte die Über-
siedlung der musischen Aufführungen ins Theater überhaupt erst viel später, zu Ende
des 4. Jahrhunderts. Die Nachricht des Hesych und andere Stellen und Umstände führen,
wie mir scheint, mit Sicherheit auf ein vorperikleisches, älteres Odeion in Athen,

2 So sagt Pausan. I, 8, G vom Odeion des Agrippa: fi-saxpov, o v.aXoüsiv a>8siov.
 
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