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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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177

diese Übereinstimmungen abzuweisen bezw. sie
in umgekehrtem Sinne zu deuten.

So wird in Kapitel I klargestellt, daß das Pro-
pylon von Tiryns eine ganz andere, auf völlig
anderer Grundlage entstandene Form sei, als die
kretischen Propyla, die vielmehr in den Bau ein-
gelegte Eingänge seien. Kapitel II zeigt, daß die
festländischen Megara und die kretischen Pfeiler-
säle ebenso verschiedene Dinge seien, wie die
unregelmäßigen Höfe des Festlandes und die recht-
eckigen, die Hauptachse der Anlage bildenden Höfe
Kretas. Megara im Sinne von Troia, Tiryns,
Mykene usw. gäbe es auf Kreta nicht, was man
dafür angesehen, was man so genannt habe, sei
ganz anders aufzufassen. Wer nachprüft, wird
auch hier Noack recht geben müssen. Im Gegen-
teil, das wird namentlich in Kapitel III ausge-
führt , ist überall Kreta eher der gebende Teil,
wie man es für das Dekorative schon längst ge-
sehen hatte. Auch die früheren, zum Teil tief
unten liegenden Schichten in Tiryns zeigen schon
die dort einheimischen Formen, und andererseits
zeigen auch die letzten Schichten auf Kreta, z. B.
die von der ursprünglichen Grundachse so merk-
würdig abweichenden rechteckigen Bauten von
Hagia Triada doch nichts, was aus Griechenland
abgeleitet sein müßte. Kapitel IV geht den
Verschiedenheiten zwischen Festland und Kreta
Punkt für Punkt nach, gibt zu, daß die Säule
wohl von Kreta stamme, betont aber, daß ihr
keine kretischen Säle, keine Lichthöfe und Stock-
werkbauten, auch keine Frontteilungen von einer
Mittelsäule aus gefolgt seien. Die kulturelle und
künstlerische Überlegenheit Kretas stelle sich eben
überall heraus. Statt einer einheitlichen orga-
nischen Anlage des Hauskomplexes habe das
Festland immer am alten Einzelhaussystem fest-
gehalten, ohne zum regelrechten geschlossenen
Peristyl zu kommen; der Lehmziegelbau auf Stein-
sockel sei dort keiner vervollkommneten Bauweise
gewichen, wie sie uns die kretischen Bauten
doch schon früher zeigten. Ob die Ansicht, die
Kuppelwölbung sei in der Tat erst vom Festland
nach Kreta gekommen, weiteren Entdeckungen
standhalten wird, bleibt wohl abzuwarten: die
frühere der beiden Tholoi von Hagia Triada reicht
doch recht hoch hinauf. Überzeugend weist Noack
die Ansicht Mackenzies zurück von dem libyschen
Ursprung des ganzen Bausystems und der Ent-

stehung auch des Megarons aus einer Verlänge-
rung, die die libysche Form im Norden erfahren
habe unter der Notwendigkeit, für den Herd einen
inneren Baum zu schaffen. Für den rein nörd-
lichen Ursprung der Megaronform spreche viel-
mehr alles, namentlich auch ihr frühes Vorkommen
in Troia II. Fänden sich doch schon in Orchome-
nos in der Bolhroischicht neben den Oval-
häusern auch einzellige Hütten rechteckiger Form.
Ebenso im ägäischen Meergebiet, so auf Thera.

Der Schwerpunkt von Noacks Buch liegt je-
doch im Kapitel V. Hier wird in ungemein scharf-
sinniger und glücklicher Weise gezeigt, wie aus
einem vergrößerten und durch innere Teilungen
zerlegten Ovalhaus sich in durchaus natürlicher,
einfacher Weise der kretische Palastgrundriß mit
seinem in der Längsachse gestreckten Zentralhof
und den ihn umgebenden rechteckigen Einzel-
räumen, sowie das eingelegte Prothyron entwickelt
haben kann. Ob auch muß, wird wohl erst als
erwiesen angesehen werden können, wenn wir
noch mehr solche merkwürdigen Ovalhäuser kennen
als das bis jetzt einzige im fernen Osten der lang-
gestreckten Insel. Den Nachweis Noacks im ein-
zelnen hier zu wiederholen wäre nicht tunlich,
ohne die erklärenden Abbildungen dem Noackschen
Buch zu entnehmen und dieselben hier im wesent-
lichen mit Noacks Worten nochmals zu erklären.
Ich würde es für Unrecht halten, dem Leser dieser be-
richtendenDarstellungdenGenuß vorwegzunehmen,
den ihm nur die Lektüre von Noacks eigenen Worten
geben kann und soll. Das Ovalhaus von Ghamaisi
knüpft Kreta nun doch wieder an das Festland,
wenn auch in einer sehr frühen Periode, da es
selbst noch in die «Kamareszeit» gehört, d. h. um
2000 v. Chr. errichtet sein mag. Megaron und
das an die Stelle der alten runden Hütte ge-
tretene Ovalhaus — ein erster Versuch, durch
Verlängerung der runden Hütte eine bei steigen-
der Kultur erwünschte Vergrößerung zu erzielen
— sind beide alteuropäische Formen, beide von
Norden in das ägäische Meergebiet in früher Zeit,
zusammen mit den einrückenden Bewohnern ein-
gezogen. Das Bedürfnis nach Teilung und nach
Vergrößerung hat dann einerseits zu der Umge-
bung des Megaron mit mehrzelligen Anlagen —
Tiryns — geführt, andererseits zu jener Innen-
teilung des Ovalhauses, das zum kretischen System
leiten mußte. So beginnt in die Vorgeschichte
 
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