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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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Dammann, Walter Heinrich: Der Ursprung des Haubenturmes
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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0194

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Die Gotik der Backsteinländer entschloß sich selten dazu, ihre Kirchtürme bis zur
Kreuzfahne massiv aufzumauern. Die Mark Brandenburg weist einige solcher durch-
geführten Backsteintürme auf; diese erhielten meist ein einfaches Satteldach, zuweilen
mit Treppengiebeln.

In der Regel haben die gotischen Kirchtürme der Backsteinländer diese Gestalt:

ein quadratischer, wuchtiger Steinunterbau wird gleich
oberhalb des Kirchenfirstes durch vier Dreiecksgiebel
abgeschlossen. Darüber erhebt sich, oft zu beträch t-
* lieber Höhe, eine in Holz konstruierte, vier- oder
acht-, selten mehrseitige Pyramide, die iu Kupfer,
hie und da wohl auch in Schiefer gedeckt wurde.
Solche gotische Pyramiden zeigen z. B. der Dom
zu Bremen, die Johanniskirche zu Lüneburg (Ab-
bildung 1), Marienkirche und Dom (Abbildung 2) zu
Lübeck. Vormals trugen einen gleichen Spitzhelm
z. B. in Rostock der Nikolaiturm, in Stralsund der
Turm von St. Marien; ferner in Hamburg u. a. der
Petriturm von 1516, der, in genauer Formnachbildung
erneuert, als einziger Vertreter seiner Generation in
Hamburg übrigblieb.

Der massige Aufbau solcher Helme ertrug
schlecht eine Auflösung oder Durchbrechung; doch
finden sich Anzeichen, daß sie wenigstens andeutungs-
weise versucht wurde. So erhielt z. B. das Rathaus
in Neiße 1488—1499 einen Turm, der auf einem
Mauerprisma eine Brüstung und darüber mit ein-
gezogener Grundfläche eine vielseitige, überschlanke,
unten in einer Durchsicht geöffnete Pyramide zeigte.
Dafür wurden Dachreiter und Firsttürmchen, — in
gleicher Konstruktionsart, aber erheblich geringerem
Maßstabe, ausgeführt, — mit größter Freiheit geöffnet
und aufgelockert. Diese Türmchen erhielten bei ein-
facher Ausbildung eine einmalige, auf allen Seiten
gegiebelte Durchbrechung. Beispiele solcher Bil-
dungen sind zahlreich genug: ein sehr schönes zeigt
das Kloster Lüne bei Lüneburg; in Hamburg fanden

Abbildung 1. St. Johannis-Kirche sicL genau entsprechende Formen am oberen Auf-
in Lüneburg. bau des Jakobiturmes von 1587, ja sogar noch am

Firstreiter der kleinen Michaeliskirche von 1605.
Kompliziertere Gestaltung zeigen z. B. in Lübeck die Dachreiter der Marienkirche (1509)
und der Jakobikirche (jünger).

Im 17. Jahrhundert werden Pyramiden türme großen Maßstabes kaum noch errichtet.
An ihre Stelle tritt die auch in den Ländern des Natursteinbaues zu dieser Zeit allein
herrschende Haubenform mit ihrer mannigfachen Kurvierung und vielfältigen Durch-
brechung.
 
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