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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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Dammann, Walter Heinrich: Der Ursprung des Haubenturmes
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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0197

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Der Ursprung des Haubenturmes. 183

läufig war und in der ganzen Bauweise der italienischen Renaissance hinreichend be-
gründet ist.

1480 gab Pietro Lombarde- in Venedig der Kirche Sta. Maria dei Miracoli ein
Türmchen, dessen oberer Abschluß als einer der ältesten Ahnen unserer Turmform zu
gelten hat und gleichzeitig seine Abstammungsgeschichte rückwärts zu erkennen gibt :
er ist ersichtlich formverwandt mit der Laterne der Kirchenkuppel; als losgelöstes
Einzelbauglied abgebildet wäre er von einer Kuppellaterne nicht zu unterscheiden (Ab-
bildung 3). Die einzelnen Seiten eines polygonalen Prismas werden oben je mit einem
Arkadenbogen durchbrochen; Abschluß und Bedachung bildet eine schon glocken-
förmige, wenn auch noch straffgezeichnete Kuppel.

Man vergleiche mit dieser Form etwa die Kuppellaterne, die Sansovino auf
S. Giorgio dei Greci, gleichfalls in Venedig, im Jahre 1538 errichtete. Man erkennt
darin genau das gleiche ßauglied, das dort zur Turmbildung benutzt wurde. Der
Charakter der welschen Haube ist deut-
licher ausgeprägt: die Kuppel erhält
eine nachdrückliche Einziehung und
Schweifung und außerdem eine selt-
same knospen artige obere Verzierung,
die die Möglichkeit umfangreicherer
Ausbildung in sich trägt. Die ein-
heimische Abstammung, und zwar von
den altbekannten Kuppellaternen von
S. Marco, ist unverkennbar.

Schon die oberflächliche Prüfung
in Betracht kommender Gemälde führt
zum gleichen Ergebnis: auf den Ur-
sulabildern des Vittore Carpaccio (1470
bis 1522) in der Akademie von Ve-
nedig findet sich eine Unzahl von
Hauben und Häubchen, von Laternen und Laternchen, z. T. von ähnlicher Form wie
auf den nordischen Bildern. Was von diesen Bauteilen zu Kuppeln, was zu Türmen
gehört, ist nicht auszumachen.

Daß Kuppellaterne und Turmgedanke in engem Zusammenhang stehen, zeigen
neben jenen frühen selbst noch ganz späte Beispiele: etwa Vignolas Laterne für die
Nebenkuppel von St. Peter, mit ausgesprochen welscher Schweifung, neben Berninis und
Madernas Turmentwürfen für den gleichen Bau. So könnten die Turmköpfe und die
Kuppellaterne von S. Alessandro in Mailand, um 1700, geradezu ausgetauscht werden
(Abbildung 4). So ließe sich die Kuppellaterne auf dem Dome von Messina als Turmspitze
verwenden. So gleichen die Türme von Sta. Maria Carignano, Genua, Kuppellaternen.
So gewinnt vollends die Laterne des Florentiner Domes auf flüchtig gezeichneten Marken
des sogenannten Medizeerporzellans das deutliche Aussehen eines selbständigen Turmes.

Die haubenförmige Turmausbildung ließ sich also ohne Mühe durch Anwendung
und Ausgestaltung der Kuppellaterne gewinnen. Eines wirklich neuen Formgedankens
bedurfte es dazu gar nicht. Diese grundsätzliche Feststellung ist für das Verständnis
der deutschen Turmbauentwicklung von höchster Wichtigkeit. Ob auch in Italien die

Abbildung 4. St. Alessandro-Kirche in Mailand.
 
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