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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0288

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Ordnung des Grafen Aymon stark verändert. Die
Arbeiten dauern bis 1344 und sind durch aus-
führliche Rechnungen belegt. Es wird die heu-
tige Holzdecke erstellt, ein großes Fenster ange-
legt, eine Wendeltreppe errichtet. Die Zimmer-
und Schreinerarbeiten leitet ein Meister Choffred,
«maltre charpentier du comte». Als Steinmetz
arbeitet Jean de Chätez mit zwei Söhnen.
Und 1342 bis 1344 wird das Zimmer ausgemalt
durch den Meister Jean de Grandsön. Naef
hat diese Dekoration unter einer jüngeren Tünche
in leidlich gutem Zustande wiedergefunden; die
farbigen Abbildungen stellen einen Glanzpunkt des
Buches dar. Die Balken der Holzdecke sind rot
gestrichen und dicht mit kleinen silbernen Kreu-
zen besät — das Motiv des Wappens von Sa-
voyen—, die vertieften Füllungen blau mit golde-
nen Lilien. An den Wänden sind große Tiere
gemalt, Hirsche, Bären, Panther, Stier, Löwe,
Gazelle, Kamel, Greif, Drache; sie stehen und
ruhen unter Bäumen, auf blumigem Wiesengrund,
vor blauem Himmel, der mit goldenen Lilien be-
sät ist. Darunter ein gestreifter, fein gemusterter
Vorhang als Brüstung. In diesen Malereien zeigt
sich eine auffallende Vorliebe für feines und klei-
nes Detail. Man möchte meinen, Jean de Grand-
sön sei der Miniaturmalerei nahe gestanden. Der
Stil dieses Meisters — im Gebiet der heutigen
Schweiz wohl des ersten Malers, den man mit
einer größeren Arbeit sicher behaften kann —
ist weit entfernt von gleichzeitigen Werken der
deutschen Schweiz. Er enthält italienische Ele-
mente, die überhaupt in der savoyischen Kunst
des 14. und 15. Jahrhunderts eine noch nicht
genügend betonte Rolle spielen; diese Kunst ver-
mittelt einen wichtigen Austausch zwischen ita-
lienischer und niederländisch-französischer Weise.
Bei Jean de Grandson sind die italienischen Mo-
tive leicht zu erklären: er erscheint unmittelbar
vor der Ausmalung der «Gharnbre du duc» bei
einer anderen Arbeit als Genosse eines Floren-
tiners, den man als Giotto-Schüler bezeichnet:
des Giorgio d'Acquila (Georges de l'Aigle,
Georges de Florence).

Im 15. Jahrhundert wurde das herzogliche
Zimmer nur wenig verändert; man arbeitete da-
mals an anderen Teilen des Schlosses. Die Ak-
ten im königlichen Archiv von Turin bezeugen
eine sehr straffe, fast bureaukratische Organisation
des Baubetriebes. Die herzoglichen Schlösser
werden von einem Regierungsbaumeister regel-
mäßig inspiziert. Bis 1410 hatte Pierre Bra-
sier dieses Amt inne, von 1410 bis 1452 Ay-
monet Corniaux. Aus dieser amtlichen Orga-
nisation des Bauwesens dürfte sich zum Teil die
stilistische Einheit erklären, die in der Spätgotik
des großen Gebietes von Savoyen auffällt.

Im Jahre 1536 wird Chillon von den Bernern
eingenommen; bernische Landvögte hausen nun
im Schlosse. Die «Charnbre du duc» wird 1586
und 1587 unter Hans Wilhelm von Mülinen neu
ausgestattet: die Wandgemälde des Jean de Grand-
son werden übertüncht, und der weiße Anstrich
erhält durch den Maler Andreas Stoß eine
reizvolle Dekoration von schwarzen Arabesken.

Das Schlußkapitel des Buches befaßt sich mit
der Restaurierung der «Gharnbre du duc». Unver-
änderte Konservierung der alten Teile, deutliche
Erkennbarkeit der neuen Zutaten, ohne Störung
eines harmonischen Gesamteindruckes, das ist der
leitende Gedanke.

Druck und Ausstattung des Buches sind von
erster Klasse; Tafeln und Textbilder in Lichtdruck,
nach Aufnahmen des rühmlichst bekannten Hau-
ses F. Boissonnas in Genf, dazu _eine Anzahl treff-
licher Farbentafeln. Heinrich von Geymüller
hat zu dem prächtigen Werk das Vorwort ge-
schrieben. Josef Zemp.

Franz Landsberger, Wilhelm Tischbein,
ein Künstlerleben des 18. Jahrhunderts. Leipzig
1908, Klinkhardt & Biermann. 221 S. kl. 8", mit
16 Tafeln, geh. 5 Mk., geb. 6 Mk.

Das hübsch ausgestattete Büchlein bringt das
Hineinleben eines dem Rokokozeitalter entwach-
senen Künstlers in den klassizistischen Geist an-
schaulich zum Bewußtsein und belebt von neuem
das Interesse für den Goethe-Freund Tischbein.

H.

O
 
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