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Erich Sander, Deutsche Fahnen in vorheraldischer Zeit
nehmen, daß diese Organisationen auch ein Feld-
zeichen geführt haben. Im nordischen Gefolgschafts-
recht nimmt jedenfalls der Fahnenträger eine wich-
tige und angesehene Stellung ein, die ihn unmittel-
bar hinter den Gefolgschaftsführer einordnet18).Wenn
das Recht auch erst Ende des 13. Jahrhunderts aul-
gezeichnet wurde, so dürfte es doch dem Brauchtum
der altgermanischen Gefolgschaft sehr nahe stehen.
In der Einleitung seines Buches führt Meißner ge-
rade die Ämter des Marschalls und des Bannerfüh-
rers auf altgermanische Zustände zurück. Wir haben
es also liier mit uraltem Brauchtum zu tun; daher ist
der Schluß wohl berechtigt, daß schon in der Früh-
zeit die Gefolgschaften Fahnen geführt haben. Eine
zweite Frage ist die, ob auch die Sippen besondere
Zeichen hatten. Die Sippe ist die Gemeinschaftsform
aller germanischen Menschen, soweit sie nicht durch
den Männerbund der Gefolgschaft erfaßt wurden19),
v. Kienle übergeht in seinen Ausführungen die Be-
deutung der Sippe als Heereseinheit, die nach Taci-
tus, Germania 7, außer Zweifel steht. Auch sonst er-
scheinen germanische Heere nach Sippen geordnet20).
Da kann also auch hier ein Feldzeichen angenommen
werden, zumal Tacitus gerade betont, daß das Ganze
nicht ein wüster Haufen gewesen sei, sondern überall
Ordnung geherrscht habe. Sippen und Gefolgschafts-
verbände werden zu Hundertschaften zusammenge-
faßt. Wie weit für diese ein Feldzeichen in Frage
kommt, ist natürlich gleichfalls sehr schwer festzu-
stellen; wahrscheinlich ist es jedenfalls.
Nach dem bisher Ausgeführten sind also zwei Arten
von Feldzeichen bei den Germanen anzunehmen. „Die
gunfani mögen als Sturmfahnen einer größeren Kampf-
gemeinschaft anzusehen sein, die verzierten Lanzen-
spitzen als das Zeichen kleinerer Einheiten, außerdem
mögen sie als Symbol der Bruderschaft oder als per-
sönliches Zeichen eines Vornehmen gegolten haben21).
Daneben wird es noch eine Art Volksfahne gegeben
haben. Neben den vielen Fahnen führen die Kim-
bern einen Stier. Er ist das Volksheiligtum, hei dem
die Eide geschworen werden. Ich vermute, daß dieses
Zeichen nicht mit in die Schlacht genommen worden
ist, sondern auf einem besonderen Wagen in der Wa-
genburg geblieben ist. Dabei konnte es eine gewisse
18) Rudolf Meißner, Das norwegische Gefolgschaftsrecht.
Übersetzung (Germanenrechte, Bd. 5, Schriften der Akade-
mie für deutsches Recht), Weimar 1938, Index.
19) Welt als Geschichte 4 (1938) S. 273 ff.; 281.
20) Conrad, Wehrverfassung, S. 17.
21) Peter Paulsen, Die Wikingerlanze von Termonde in
Belgien, Mannus 29 (1937), S. 408.
22) Herbert Meyer, Sturmfahne und Standarte, Zeitschrift
taktische Aufgabe auch erfüllen, denn die Wagen-
burg mit Frauen und Kindern war ja in unmittel-
barer Nähe des kämpfenden Volksheeres. Dorthin
brachte man die Verwundeten, dorthin zogen sich die
Winner im Falle der Niederlage zurück. Hieraus wird
sich wahrscheinlich der Fahnenwagen entwickelt
haben. In der bildlichen Überlieferung taucht auf dem
Leppich von Bayeux zum ersten Male der Standart
auf. „Es handelt sich hier um einen Mast, der ein pla-
stisches Gebilde trägt, nicht um ein Fahnentuch. Er
wird daher aufgerichtet"22). Wenn diese Art des Feld-
zeichens auch erst jetzt erscheint, so ist es doch wahr-
scheinlich, daß es sich um ein altes heidnisches Sym-
bol handelt, was schon daraus zu erschließen ist, daß
es die Sachsen sind, die dieses Feldzeichen führen.
Sie gelten ja als Vertreter der alten heidnischen Zeit,
deshalb schickt der Papst ihrem Gegner die Kreuzes-
fahne. Der Fahnenwagen ist älter als die ältesten
Nachrichten über ihn, weil er schon in den frühesten
Erwähnungen zu kompliziert war, als daß es sich hier
um ein erstmaliges Auftreten handeln könnte23). Der
Wagen in Verbindung mit religiösen Symbolen findet
sich schon auf den Felszeichnungen2'). Ebenso auf
einer Gefäßscherbe aus Oedenburg in Ungarn. Der
Wagen aus dem Dejbjergmoore hat anerkannterweise
kultische Bedeutung25). Aucli den Wagen der Ner-
thus kennen wir. In welcher Weise die religiösen
Symbole darauf errichtet waren, zeigt die Sonnen-
scheibe auf dem Wagen von Trundholm26). Nichts
spricht dagegen, daß diese Wagen, wenn das Volk in
den Kampf zog, mitgenommen wurden. Wir können
also in diesen Funden wahrscheinlich die Urform des
Fahnenwagens sehen. Für seine Entstehung in der
Vorzeit spricht weiter, daß diese Art des Mitführens
der Feldzeichen im großen Bauernkrieg wieder auf-
taucht. Hanz Müller aus Bulzenbach führt seine Feld-
zeichen auf einem mit Laub und Bändern geschmück-
ten Zierwagen, wobei zu bedenken ist, daß gerade
bei tiefgehenden Volksbewegungen ältestes Brauch-
tum wieder an die Oberfläche zu kommen pflegt27).
Dazu kommen folgende Überlegungen: In den mei-
sten Schlachten bis zum Abschluß der Wanderzeit ge-
hört Volk und Heer zusammen. Von den Kimbern
und Teutonen an über Ariovist bis zum Untergang
der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. Bd.
51, S. 222; 228.
23) Herbert Meyer, a. a. O. S. 245.
24) Kossinna, a. a. O. Taf.22.
25) Georg Wilke, Archäologische Erläuterungen zur Ger-
mania des Tacitus, Leipzig 1921, S. 70, Abb. 60; 61.
26) Kossinna, a. a. O. Taf. 18.
27) Historische Vierteljahrsschrift 23 (1926) S. 93. Hein-
rich Schreiber, Der Bundschuh zu Lehen, 1824.
Erich Sander, Deutsche Fahnen in vorheraldischer Zeit
nehmen, daß diese Organisationen auch ein Feld-
zeichen geführt haben. Im nordischen Gefolgschafts-
recht nimmt jedenfalls der Fahnenträger eine wich-
tige und angesehene Stellung ein, die ihn unmittel-
bar hinter den Gefolgschaftsführer einordnet18).Wenn
das Recht auch erst Ende des 13. Jahrhunderts aul-
gezeichnet wurde, so dürfte es doch dem Brauchtum
der altgermanischen Gefolgschaft sehr nahe stehen.
In der Einleitung seines Buches führt Meißner ge-
rade die Ämter des Marschalls und des Bannerfüh-
rers auf altgermanische Zustände zurück. Wir haben
es also liier mit uraltem Brauchtum zu tun; daher ist
der Schluß wohl berechtigt, daß schon in der Früh-
zeit die Gefolgschaften Fahnen geführt haben. Eine
zweite Frage ist die, ob auch die Sippen besondere
Zeichen hatten. Die Sippe ist die Gemeinschaftsform
aller germanischen Menschen, soweit sie nicht durch
den Männerbund der Gefolgschaft erfaßt wurden19),
v. Kienle übergeht in seinen Ausführungen die Be-
deutung der Sippe als Heereseinheit, die nach Taci-
tus, Germania 7, außer Zweifel steht. Auch sonst er-
scheinen germanische Heere nach Sippen geordnet20).
Da kann also auch hier ein Feldzeichen angenommen
werden, zumal Tacitus gerade betont, daß das Ganze
nicht ein wüster Haufen gewesen sei, sondern überall
Ordnung geherrscht habe. Sippen und Gefolgschafts-
verbände werden zu Hundertschaften zusammenge-
faßt. Wie weit für diese ein Feldzeichen in Frage
kommt, ist natürlich gleichfalls sehr schwer festzu-
stellen; wahrscheinlich ist es jedenfalls.
Nach dem bisher Ausgeführten sind also zwei Arten
von Feldzeichen bei den Germanen anzunehmen. „Die
gunfani mögen als Sturmfahnen einer größeren Kampf-
gemeinschaft anzusehen sein, die verzierten Lanzen-
spitzen als das Zeichen kleinerer Einheiten, außerdem
mögen sie als Symbol der Bruderschaft oder als per-
sönliches Zeichen eines Vornehmen gegolten haben21).
Daneben wird es noch eine Art Volksfahne gegeben
haben. Neben den vielen Fahnen führen die Kim-
bern einen Stier. Er ist das Volksheiligtum, hei dem
die Eide geschworen werden. Ich vermute, daß dieses
Zeichen nicht mit in die Schlacht genommen worden
ist, sondern auf einem besonderen Wagen in der Wa-
genburg geblieben ist. Dabei konnte es eine gewisse
18) Rudolf Meißner, Das norwegische Gefolgschaftsrecht.
Übersetzung (Germanenrechte, Bd. 5, Schriften der Akade-
mie für deutsches Recht), Weimar 1938, Index.
19) Welt als Geschichte 4 (1938) S. 273 ff.; 281.
20) Conrad, Wehrverfassung, S. 17.
21) Peter Paulsen, Die Wikingerlanze von Termonde in
Belgien, Mannus 29 (1937), S. 408.
22) Herbert Meyer, Sturmfahne und Standarte, Zeitschrift
taktische Aufgabe auch erfüllen, denn die Wagen-
burg mit Frauen und Kindern war ja in unmittel-
barer Nähe des kämpfenden Volksheeres. Dorthin
brachte man die Verwundeten, dorthin zogen sich die
Winner im Falle der Niederlage zurück. Hieraus wird
sich wahrscheinlich der Fahnenwagen entwickelt
haben. In der bildlichen Überlieferung taucht auf dem
Leppich von Bayeux zum ersten Male der Standart
auf. „Es handelt sich hier um einen Mast, der ein pla-
stisches Gebilde trägt, nicht um ein Fahnentuch. Er
wird daher aufgerichtet"22). Wenn diese Art des Feld-
zeichens auch erst jetzt erscheint, so ist es doch wahr-
scheinlich, daß es sich um ein altes heidnisches Sym-
bol handelt, was schon daraus zu erschließen ist, daß
es die Sachsen sind, die dieses Feldzeichen führen.
Sie gelten ja als Vertreter der alten heidnischen Zeit,
deshalb schickt der Papst ihrem Gegner die Kreuzes-
fahne. Der Fahnenwagen ist älter als die ältesten
Nachrichten über ihn, weil er schon in den frühesten
Erwähnungen zu kompliziert war, als daß es sich hier
um ein erstmaliges Auftreten handeln könnte23). Der
Wagen in Verbindung mit religiösen Symbolen findet
sich schon auf den Felszeichnungen2'). Ebenso auf
einer Gefäßscherbe aus Oedenburg in Ungarn. Der
Wagen aus dem Dejbjergmoore hat anerkannterweise
kultische Bedeutung25). Aucli den Wagen der Ner-
thus kennen wir. In welcher Weise die religiösen
Symbole darauf errichtet waren, zeigt die Sonnen-
scheibe auf dem Wagen von Trundholm26). Nichts
spricht dagegen, daß diese Wagen, wenn das Volk in
den Kampf zog, mitgenommen wurden. Wir können
also in diesen Funden wahrscheinlich die Urform des
Fahnenwagens sehen. Für seine Entstehung in der
Vorzeit spricht weiter, daß diese Art des Mitführens
der Feldzeichen im großen Bauernkrieg wieder auf-
taucht. Hanz Müller aus Bulzenbach führt seine Feld-
zeichen auf einem mit Laub und Bändern geschmück-
ten Zierwagen, wobei zu bedenken ist, daß gerade
bei tiefgehenden Volksbewegungen ältestes Brauch-
tum wieder an die Oberfläche zu kommen pflegt27).
Dazu kommen folgende Überlegungen: In den mei-
sten Schlachten bis zum Abschluß der Wanderzeit ge-
hört Volk und Heer zusammen. Von den Kimbern
und Teutonen an über Ariovist bis zum Untergang
der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. Bd.
51, S. 222; 228.
23) Herbert Meyer, a. a. O. S. 245.
24) Kossinna, a. a. O. Taf.22.
25) Georg Wilke, Archäologische Erläuterungen zur Ger-
mania des Tacitus, Leipzig 1921, S. 70, Abb. 60; 61.
26) Kossinna, a. a. O. Taf. 18.
27) Historische Vierteljahrsschrift 23 (1926) S. 93. Hein-
rich Schreiber, Der Bundschuh zu Lehen, 1824.