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Markus E
spießbürgerlicher Trockenheit durchweht; er empfand dieses selbst
und um so schmerzlicher, als er sich immer mit großartigen
Compositionen trug, die eine freie und kühne Behandlungsweise
bedingt hätten. Der ebenso wohlwollende als geniale Leiter
unseres Kuustinstitutes meinte, Reisen würden diese Schwer-
fälligkeit am besten heben und mehr noch als das Vorbild der
großen Meister werde der höhere Wellenschlag freieren Lebens
weckend auf ihn wirken. So beschloß er denn trotz seiner gar
knapp bemessenen Mittel meinen Römerzug mitzumacheu, als
plötzlich ein ganz unberechnetes Ereigniß dem Ding eine andere
Wendung gab; mein guter Engelhardt verliebte sich nämlich
sterblich in seines Hauswirthes hübsches Töchterlein und ließ
Tizian und Tintoretto, Raphael und Michel-Angelo im Stiche,
um das blonde Gretchen zum Altar zu führen.
So zog ich denn allein über die Alpen. In den ersten
Jahren hörte ich öfter von dem biederen Gesellen. Die Nach-
richten lauteten immer trübseliger, er habe um die Erhaltung
seiner bürgerlichen Existenz und seiner anwachsendcn Familie hart
zu kämpfen; endlich hieß es, er sei in eine andere Stadt ge-
zogen, schließlich versiegten sie ganz. Immer mehr war durch
neue Ereignisse und Personen die Erinnerung an ihn in mir
verdrängt worden und nun sünfzehn Jahre nach unserer Trenn-
ung begegnete mir in der fremden Stadt sein Name.
Kaum hatte ich in Gedankenschnelle diese Rückschau ge-
halten, so befand ich mich auch schon die drei Treppen hoch
und die Klingel ertönte, von meiner Hand geregt. Ein ohn-
gefähr dreizehnjähriger, blonder, rothbackiger Junge öffnete die
Thüre und wies mich sogleich ohne jede Frage in einen Hellen,
geräumigen Salon.
Aus einer Fensternische trat mir ein Mann entgegen,
dessen kräftiger Körperbau mit dem fahlgelben, von grauem
Haar umrahmten Gesichte seltsam contrastirte. Die Züge trugen
den Stempel der. Resignation, doch ohne jede Beimischung von
Bitterkeit, die Bewegungen, im Anlaufe von rascher Offenheit,
gerietheu ans halbem Wege wie verschüchtert in's Stocken. Gar
wenig und doch wieder gar viel hatte sich der gute Engelhardt
verändert, cs überkam mich recht wehmüthig.
„Wünschen Sie ein Brustbild oder ganze Figur? Wohl
im Visilkartcnformatc?" sprach er mich an, mich zerstreut nur
leicht mit dem Blicke streifend. „Es ist schon ziemlich dunkel."
„Engelhardt, meinen alten, lieben Genossen, will ich und
I kein Bild."
Er faßte mich au beiden Händen, zog mich an's Licht,
mir tief in die Augen sehend und fiel mir dann um den Hals
mit der Wucht eines Pärcn und der Innigkeit eines Weibes.
Während dessen hatte sich eine Thüre geöffnet und das
blonde Gretchen von dereinst, jetzt eine stattliche Frau Margreth,
war knixend eingetreten; kaum jedoch hatte sie die Vertraulich-
keit wahrgenommen, mit der ihr Mann mich behandelte, so
schien ihr Respekt abzunehmen, sie sistirte das Kuixen einstweilen
und hielt strenge Musterung über meinen äußeren Menschen,
j Mein Schneider schien besseren Eindruck auf sie zu machen als
[ ich, denn während sie mein Gesicht mit ziemlich mißtrauischem
> Ausdrucke maß, erhellte sich ihre Miene ein wenig, als ihre
n g e l h a r d t.
Blicke abwärts sanken. Engelhardt betrachtete und drückte mich
in seinen kräftigen Armen ganz ungestört. Der Frau die Si-
tuation klar zu machen, erzählte ich ihr mit ein paar Worten,
daß wir Kameraden gewesen seien ans der Akademie.
„Ach ja, die Akademie, das war sein Unglück," sagte
Frau Margrethe mit einem tiefen, lauten Seufzer.
Ich fuhr zusammen und bemerkte nur an Engelhardt's
Wangen ein Helles, rasch aufstammendes und ebenso wieder
verschwindendes Roth. Uebrigens schien er nicht überrascht, an
diesen Klageruf schon gewöhnt und ihn besser verstehend als
ich. Gefaßt lenkte er ab.
„Liebe Margrethe, bringe die Kinder, alle, auch das j
kleine Leuchen muß Bruno sehen, es gleicht so ganz einem
Engelsköpfchen des Murillo. Ich habe schöne prächtige Kinder,"
wandte er sich zu mir, „und Gott sei Dank alle gesund, bei j
frischen Kräften und frischem Appetit. Mein Aeltester, mein
Markus, verrüth auch ein schönes Talent im Zeichnen, so Gott l
will —"
Hier trat besagter Markus, der Knabe, der mir die Thüre
geöffnet hatte, als Chorführer ein und hinter ihm gesprungen,
gegangen, gekrochen fünf kleinere Knaben und Mädchen und j
als letztes noch das Leuchen nach Murillo auf dem Arm der j
älteren Schwester. Es war wirklich eine blühende Schaar, das
kräftige frische Aussehen zeugte vom kräftigen srischen Appetit.
Die Kleinen waren recht zutraulich und blickten einen aus ihren
I großen Augen ganz so offen und treuherzig an, als es ihr
Markus E
spießbürgerlicher Trockenheit durchweht; er empfand dieses selbst
und um so schmerzlicher, als er sich immer mit großartigen
Compositionen trug, die eine freie und kühne Behandlungsweise
bedingt hätten. Der ebenso wohlwollende als geniale Leiter
unseres Kuustinstitutes meinte, Reisen würden diese Schwer-
fälligkeit am besten heben und mehr noch als das Vorbild der
großen Meister werde der höhere Wellenschlag freieren Lebens
weckend auf ihn wirken. So beschloß er denn trotz seiner gar
knapp bemessenen Mittel meinen Römerzug mitzumacheu, als
plötzlich ein ganz unberechnetes Ereigniß dem Ding eine andere
Wendung gab; mein guter Engelhardt verliebte sich nämlich
sterblich in seines Hauswirthes hübsches Töchterlein und ließ
Tizian und Tintoretto, Raphael und Michel-Angelo im Stiche,
um das blonde Gretchen zum Altar zu führen.
So zog ich denn allein über die Alpen. In den ersten
Jahren hörte ich öfter von dem biederen Gesellen. Die Nach-
richten lauteten immer trübseliger, er habe um die Erhaltung
seiner bürgerlichen Existenz und seiner anwachsendcn Familie hart
zu kämpfen; endlich hieß es, er sei in eine andere Stadt ge-
zogen, schließlich versiegten sie ganz. Immer mehr war durch
neue Ereignisse und Personen die Erinnerung an ihn in mir
verdrängt worden und nun sünfzehn Jahre nach unserer Trenn-
ung begegnete mir in der fremden Stadt sein Name.
Kaum hatte ich in Gedankenschnelle diese Rückschau ge-
halten, so befand ich mich auch schon die drei Treppen hoch
und die Klingel ertönte, von meiner Hand geregt. Ein ohn-
gefähr dreizehnjähriger, blonder, rothbackiger Junge öffnete die
Thüre und wies mich sogleich ohne jede Frage in einen Hellen,
geräumigen Salon.
Aus einer Fensternische trat mir ein Mann entgegen,
dessen kräftiger Körperbau mit dem fahlgelben, von grauem
Haar umrahmten Gesichte seltsam contrastirte. Die Züge trugen
den Stempel der. Resignation, doch ohne jede Beimischung von
Bitterkeit, die Bewegungen, im Anlaufe von rascher Offenheit,
gerietheu ans halbem Wege wie verschüchtert in's Stocken. Gar
wenig und doch wieder gar viel hatte sich der gute Engelhardt
verändert, cs überkam mich recht wehmüthig.
„Wünschen Sie ein Brustbild oder ganze Figur? Wohl
im Visilkartcnformatc?" sprach er mich an, mich zerstreut nur
leicht mit dem Blicke streifend. „Es ist schon ziemlich dunkel."
„Engelhardt, meinen alten, lieben Genossen, will ich und
I kein Bild."
Er faßte mich au beiden Händen, zog mich an's Licht,
mir tief in die Augen sehend und fiel mir dann um den Hals
mit der Wucht eines Pärcn und der Innigkeit eines Weibes.
Während dessen hatte sich eine Thüre geöffnet und das
blonde Gretchen von dereinst, jetzt eine stattliche Frau Margreth,
war knixend eingetreten; kaum jedoch hatte sie die Vertraulich-
keit wahrgenommen, mit der ihr Mann mich behandelte, so
schien ihr Respekt abzunehmen, sie sistirte das Kuixen einstweilen
und hielt strenge Musterung über meinen äußeren Menschen,
j Mein Schneider schien besseren Eindruck auf sie zu machen als
[ ich, denn während sie mein Gesicht mit ziemlich mißtrauischem
> Ausdrucke maß, erhellte sich ihre Miene ein wenig, als ihre
n g e l h a r d t.
Blicke abwärts sanken. Engelhardt betrachtete und drückte mich
in seinen kräftigen Armen ganz ungestört. Der Frau die Si-
tuation klar zu machen, erzählte ich ihr mit ein paar Worten,
daß wir Kameraden gewesen seien ans der Akademie.
„Ach ja, die Akademie, das war sein Unglück," sagte
Frau Margrethe mit einem tiefen, lauten Seufzer.
Ich fuhr zusammen und bemerkte nur an Engelhardt's
Wangen ein Helles, rasch aufstammendes und ebenso wieder
verschwindendes Roth. Uebrigens schien er nicht überrascht, an
diesen Klageruf schon gewöhnt und ihn besser verstehend als
ich. Gefaßt lenkte er ab.
„Liebe Margrethe, bringe die Kinder, alle, auch das j
kleine Leuchen muß Bruno sehen, es gleicht so ganz einem
Engelsköpfchen des Murillo. Ich habe schöne prächtige Kinder,"
wandte er sich zu mir, „und Gott sei Dank alle gesund, bei j
frischen Kräften und frischem Appetit. Mein Aeltester, mein
Markus, verrüth auch ein schönes Talent im Zeichnen, so Gott l
will —"
Hier trat besagter Markus, der Knabe, der mir die Thüre
geöffnet hatte, als Chorführer ein und hinter ihm gesprungen,
gegangen, gekrochen fünf kleinere Knaben und Mädchen und j
als letztes noch das Leuchen nach Murillo auf dem Arm der j
älteren Schwester. Es war wirklich eine blühende Schaar, das
kräftige frische Aussehen zeugte vom kräftigen srischen Appetit.
Die Kleinen waren recht zutraulich und blickten einen aus ihren
I großen Augen ganz so offen und treuherzig an, als es ihr
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Markus Engelhardt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 54.1871, Nr. 1340, S. 90
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg