Cagliostro und se
jenes unschuldigen jungen Mannes zittere ich. Wohlan, Herr
Graf, Sie wissen, unter welcher Bedingung Sie meine Hand
erhielten. Sie haben diese Bedingung gebrochen. Sie verbittern
mir das Leben unverdienter Weise; noch heute will ich einen
Brief an meinen Vater adressiren, ich werde ihn bitten, mich
von hier abzuholen, ich will einen Ort verlassen, der mir nichts
als Qual und Angst bereitet. Wohlan, thun Sie, was Sie
wollen, ich werde thun, was mir gefallt."
Der alte Herr war augenscheinlich ans diese Antwort nicht
gefaßt, sie überraschte ihn, ja sie erschreckte ihn.
„Wie, Madame, das wollten Sie thun? Eine einfache
Fatalität, einen Streit so der Oeffentlichkeit prcisgebcn? Dieß
brauchen Sie nicht zu thun. Hören Sie," fuhr er noch immer
mit sich kampfend fort, „wir wollen uns vergleichen, verstän-
digen. Ich gestehe es, ich habe übereilt gehandelt, ohne die
Sache vollkommener zu prüfen. Wenn Sie mir nun aufrichtig
sagen wollen, daß Herr D' Ortalan die Schwelle Ihres Schlaf-
zimmers nicht . . ." er konnte nicht weiter.
Ein Blitz der Freude erhellte für einen Augenblick das
Antlitz der jungen Dame, sie sah sich im Vortheile und suchte
denselben auch gehörig auszubeuten. Sie antwortete daher: „Ich
schwöre Ihnen zum zweiten Male, daß Herr D' Ortalan nicht
hier gewesen."
„Nun gut," fuhr der Graf mühsam fort, „nun gut. Für
dießmal sei die Sache bcigelegt. Doch versprechen Sie mir
künftighin eine solche Pein zu ersparen, indem Sie mir stets
Ihre allfälligen Besuche erzählen. Wollen Sie das?"
„Ja wohl, doch nur dann, wenn Sie mir hingegen ver-
sprechen, mich fürderhin mit solch' alberner und Ihrer nicht
würdiger Eifersucht verschonen zu wollen. Wenn Sic dies; ver-
sprechen, so ist der Friede geschlossen."
„Ganz recht, meine Liebe! Ich begebe mich in das Con-
seil, ich werde möglicher Weise nur spät zurückkehren, gib mir
einen Kuß, einen Kuß, als Beweis, daß Du mir nicht mehr
zürnest!" Und der Graf beugte sich hernieder, um den Kuß
in Empfang zu nehmen, welcher ihm wirklich zu Theil ward,
dknd nach diesem Beweise des Friedensschlusses entfernte sich
kilig der Graf.
Die Thüre war noch nicht zugefallen, als die junge Dame
stch erhob, und den Tritten ihres sich entfernenden Gemahls
kauschend, wartete sie einige Minuten. Nach Verlauf dieser
Äeit zog sie die Glocke.
Die Kammerjungfer trat ein.
„Wissen Sie, wo sich der Herr Graf bcsindct?" redete
kie die Zofe an.
„Ja wohl, er läßt anspannen und ist im Begriffe, in den
-ouvre zu fahren."
„Sind Sie dessen gewiß?" fragte die Gräfin.
„Ganz und gar, gnädige Frau Gräfin. Ich hörte den
Befehl, den er seinem Bedienten ertheilte." '
„ Gut, nehmen Sie Ihr Umhängetuch, wir wollen zu dem
Grasen Cagliostro, in die Straße St. Antoine gehen; eilen
Die Zofe machte ein Zeichen des Kreuzes.
„Zu dem Geistcrbeschwörcr Cagliostro wollen Madame
ine Somnambule. 447
gehen? Oh, es könnte Ihnen ein Unglück dort widerfahren.
Gehen Sie nicht, Frau Gräfin! Gehen Sic nicht!"
„Thun Sie, was ich Ihnen sage," antwortete die junge
Dame, „und widersprechen Sic nicht. Es ist bereits Abend,
man wird uns nicht bemerken. Vorwärts, so!"
Und die Gräfin eilte mit ihrer Zofe durch eine Hintcr-
thüre der angedeuteten Richtung zu.
Wir wollen ihnen vorauseilen.
Auf einem Sopha eines der Gemächer Cagliostro's saß
ein noch jugendlicher Mann und ein hübsches, höchstens zwei-
undzwanzigjähriges Mädchen. Wenn ich auch nicht sagen wollte,
daß dieser Mann eine außerordentliche Schönheit besaß, daß
seine hohe Stirne, seine blitzenden Augen, die sein geschnittene
Nase und der kühne Zug um die Mundwinkel mit helldunklem
Barte einen Eindruck übte, welcher ihn, den Mann, den Besitzer
dieses Gesichtes, als außergewöhnliches Wesen erscheinen läßt;
— wenn ich auch nicht sagen wollte, daß die neben ihn, sitzende
Dame hübsch, jung, blendend in ihrer Erscheinung und ein-
nehmend in ihrem Gespräche war: so wird dennoch Jedermann
in der erst beschriebenen Person jenen berühmten Gaukler Jo-
seph Balsamo, später Graf von Cagliostro, in der zweiten
seine Geliebte und Helfcrshelferin, die venetianische Schönheit
Lorcnza Feliciana, erkennen.
Cagliostro hält soeben ihre Hand in der seinigen, während
sie ihn seclcnvoll anblickt und sagt: „Mein Joseph, wie lange
hältst Du Dich noch auf in Paris? Sieh', es spuckt um uns
herum, die Leute fangen an, die Köpfe znsammenzustecken und
wer weiß, was über Nacht geschieht?"
(Fortsetzung folgt.)
19*
jenes unschuldigen jungen Mannes zittere ich. Wohlan, Herr
Graf, Sie wissen, unter welcher Bedingung Sie meine Hand
erhielten. Sie haben diese Bedingung gebrochen. Sie verbittern
mir das Leben unverdienter Weise; noch heute will ich einen
Brief an meinen Vater adressiren, ich werde ihn bitten, mich
von hier abzuholen, ich will einen Ort verlassen, der mir nichts
als Qual und Angst bereitet. Wohlan, thun Sie, was Sie
wollen, ich werde thun, was mir gefallt."
Der alte Herr war augenscheinlich ans diese Antwort nicht
gefaßt, sie überraschte ihn, ja sie erschreckte ihn.
„Wie, Madame, das wollten Sie thun? Eine einfache
Fatalität, einen Streit so der Oeffentlichkeit prcisgebcn? Dieß
brauchen Sie nicht zu thun. Hören Sie," fuhr er noch immer
mit sich kampfend fort, „wir wollen uns vergleichen, verstän-
digen. Ich gestehe es, ich habe übereilt gehandelt, ohne die
Sache vollkommener zu prüfen. Wenn Sie mir nun aufrichtig
sagen wollen, daß Herr D' Ortalan die Schwelle Ihres Schlaf-
zimmers nicht . . ." er konnte nicht weiter.
Ein Blitz der Freude erhellte für einen Augenblick das
Antlitz der jungen Dame, sie sah sich im Vortheile und suchte
denselben auch gehörig auszubeuten. Sie antwortete daher: „Ich
schwöre Ihnen zum zweiten Male, daß Herr D' Ortalan nicht
hier gewesen."
„Nun gut," fuhr der Graf mühsam fort, „nun gut. Für
dießmal sei die Sache bcigelegt. Doch versprechen Sie mir
künftighin eine solche Pein zu ersparen, indem Sie mir stets
Ihre allfälligen Besuche erzählen. Wollen Sie das?"
„Ja wohl, doch nur dann, wenn Sie mir hingegen ver-
sprechen, mich fürderhin mit solch' alberner und Ihrer nicht
würdiger Eifersucht verschonen zu wollen. Wenn Sic dies; ver-
sprechen, so ist der Friede geschlossen."
„Ganz recht, meine Liebe! Ich begebe mich in das Con-
seil, ich werde möglicher Weise nur spät zurückkehren, gib mir
einen Kuß, einen Kuß, als Beweis, daß Du mir nicht mehr
zürnest!" Und der Graf beugte sich hernieder, um den Kuß
in Empfang zu nehmen, welcher ihm wirklich zu Theil ward,
dknd nach diesem Beweise des Friedensschlusses entfernte sich
kilig der Graf.
Die Thüre war noch nicht zugefallen, als die junge Dame
stch erhob, und den Tritten ihres sich entfernenden Gemahls
kauschend, wartete sie einige Minuten. Nach Verlauf dieser
Äeit zog sie die Glocke.
Die Kammerjungfer trat ein.
„Wissen Sie, wo sich der Herr Graf bcsindct?" redete
kie die Zofe an.
„Ja wohl, er läßt anspannen und ist im Begriffe, in den
-ouvre zu fahren."
„Sind Sie dessen gewiß?" fragte die Gräfin.
„Ganz und gar, gnädige Frau Gräfin. Ich hörte den
Befehl, den er seinem Bedienten ertheilte." '
„ Gut, nehmen Sie Ihr Umhängetuch, wir wollen zu dem
Grasen Cagliostro, in die Straße St. Antoine gehen; eilen
Die Zofe machte ein Zeichen des Kreuzes.
„Zu dem Geistcrbeschwörcr Cagliostro wollen Madame
ine Somnambule. 447
gehen? Oh, es könnte Ihnen ein Unglück dort widerfahren.
Gehen Sie nicht, Frau Gräfin! Gehen Sic nicht!"
„Thun Sie, was ich Ihnen sage," antwortete die junge
Dame, „und widersprechen Sic nicht. Es ist bereits Abend,
man wird uns nicht bemerken. Vorwärts, so!"
Und die Gräfin eilte mit ihrer Zofe durch eine Hintcr-
thüre der angedeuteten Richtung zu.
Wir wollen ihnen vorauseilen.
Auf einem Sopha eines der Gemächer Cagliostro's saß
ein noch jugendlicher Mann und ein hübsches, höchstens zwei-
undzwanzigjähriges Mädchen. Wenn ich auch nicht sagen wollte,
daß dieser Mann eine außerordentliche Schönheit besaß, daß
seine hohe Stirne, seine blitzenden Augen, die sein geschnittene
Nase und der kühne Zug um die Mundwinkel mit helldunklem
Barte einen Eindruck übte, welcher ihn, den Mann, den Besitzer
dieses Gesichtes, als außergewöhnliches Wesen erscheinen läßt;
— wenn ich auch nicht sagen wollte, daß die neben ihn, sitzende
Dame hübsch, jung, blendend in ihrer Erscheinung und ein-
nehmend in ihrem Gespräche war: so wird dennoch Jedermann
in der erst beschriebenen Person jenen berühmten Gaukler Jo-
seph Balsamo, später Graf von Cagliostro, in der zweiten
seine Geliebte und Helfcrshelferin, die venetianische Schönheit
Lorcnza Feliciana, erkennen.
Cagliostro hält soeben ihre Hand in der seinigen, während
sie ihn seclcnvoll anblickt und sagt: „Mein Joseph, wie lange
hältst Du Dich noch auf in Paris? Sieh', es spuckt um uns
herum, die Leute fangen an, die Köpfe znsammenzustecken und
wer weiß, was über Nacht geschieht?"
(Fortsetzung folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Cagliostro und seine Somnambule"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 54.1871, Nr. 1347, S. 147
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg