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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Bertalnaffy, Ludwig von: Die Entdeckung des Raumes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0317
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Bemerkungen.

Die Entdeckung des Raumes.

Von

Ludwig von Bertalanffy.

In der jüngsten Kunst scheint sich gegenüber der Kunst von gestern eine wich-
tige Wandlung vorzubereiten. Ein neues Verhältnis zum Räume kündigt sich an.
Der Impressionismus ging aus, die Natur in eine Farbfläche aufzulösen, von den
Dingen gewissermaßen die Farbhaut abzuziehen und sie auf die Leinwand zu
bringen. Anders ausgedrückt: Regent des Impressionismus war der bloße Sensualis-
mus des Auges, abzüglich erstens der apperzeptiven Momente der Raumbildung,
abzüglich zweitens des Einfühlungsmomentes, der Seele. Die Empfindung, nicht die
Wahrnehmung gab der Impressionismus wieder: das Chaos der Empfindungsele-
mente wurde nicht schon auf dem Bilde geordnet, sondern diese Ordnung sollte
sich erst im Auge des Beschauers vollziehen. So erscheint eine schillernde Farb-
fiäche, in der alle Raumwerte prinzipiell ausgeschaltet sind, welche Farbenimpression
sich erst im Auge zu der Wiedergabe von Gegenständen vereinigt.

In der Raumlosigkeit war auch der dekorative Stil älterer Richtung: die Kunst
eines Puvis deChavanne, Hodler, Klimt, mit dem Impressionismus einig. Die
Harmonie der Linienführung, der »Parallelismus«, die friesähnliche Aneinander-
reihung ähnlich bewegter und gestimmter Figuren wie bei Hodler, der Prunk einer
glänzenden Ornamentik, die an byzantinische Mosaiken erinnert, wie bei Klimt,
sollte den Eindruck des Gemäldes bedingen; ein Vorstoßen aus der Bildfläche in
die Tiefe war bei diesen Kunstrichtungen, ebenso wie beim Impressionismus, nicht
bezweckt, weil sie nicht Tiefenwirkung, sondern reiz- und ausdrucksvolle Flächen-
füllung anstrebten.

Aber auch im Expressionismus war für Raumwerte kein Platz. Die kürzeste
Formel des Expressionismus lautet: Verstärkung und Ersatz des Ausdruckswertes
der natürlichen Form durch den absoluten Ausdruckswert von Linie und Farbe. Zur
Erreichung dieses Zieles zerriß der extreme Expressionismus die Naturform ganz
und gar, und ersetzte sie durch den symbolischen Ausdruckswert übernatürlich
schimmernder Farben, phantastisch sich gebärdender Linien. Wir haben an dieser
Stelle kein Urteil darüber abzugeben, ob und inwieweit diese grundsätzliche Ten-
denz des Expressionismus berechtigt sei; das eine aber kann jedenfalls gesagt
werden: daß auch das expressionistische Gemälde nicht den dreidimensionalen
Raum eröffnen will, sondern in der Fläche bleibt.

Doch nunmehr scheint sich in der modernen Kunst eine andere Bewegung
anzukündigen. Cezanne war nicht umsonst in gleichem — vielleicht in höherem
Maße — Klassizist wie Expressionist. Von Cezanne geht eine Entwicklungslinie
aus, welche die Natur in geometrische Figuren zerlegt, und die über Marc und
Feininger zum Kubismus führt. Der Kubismus fußt bekanntlich auf dem Apercu
Cezannes, daß es möglich sein müsse, alle Nalurgegenstände und -formen in Kuben
 
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