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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 11
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Haupt, Albrecht: Von germanischer Baukunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0093

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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 11

tragen, die als Grundlage ein¬
dringenderer systematischer Un¬
tersuchung, vor allem durch ge-
schichtlicheNach Weisung, dienen
können. Man hat dort für die
altgermanischen Vorfahren, die
man als solche achtet, ein ge¬
wisses Interesse und folgt gerne
ihren Spuren; es mangelte nur
stets an Mitteln und Kräften.
Wirkliche Taten sind in¬
dessen auch dort bisher nicht
geschehen; selbst im Museo
arqueologico nacional zu Madrid
liegen die zahlreichen westgoti¬
schen Baubruchstücke mit denen
der folgenden Zeiten wild durch¬
einander, und sind genauere
Nachweisungen über ihre Her¬
kunft spärlich vorhanden; so
ist auch bei diesem unschätz¬
baren greifbaren Material noch
alles zu tun. Aber es ist da
wenigstens möglich, Anfänge
und Anhaltspunkte zu finden.
Über die Arbeiten auf un-
serm Gebiete in Skandinavien
darf ich hinweggehen, denn sie
sind bekannt und verhältnis¬
mäßig vollständig; hier sind vor¬
zügliche Unterlagen gegeben, und noch in letzter Zeit hat
Seesselberg solche in weiterem Sinne ausgebaut und schätzens-
werteste Winke für ihre Beziehungen zu dem großen Ger-
manentum gegeben.
Für Deutschland mangeln systematische Zusammenstel-
lungen bisher zwar durchaus. Reiches Material bieten uns
aber die in fast unübersehbarer Masse überall erwachsenden
Inventarien der Kunstdenkmäler; die das Vaterland überall
planmäßig durcharbeitenden Konservatoren würden jetzt mit
Leichtigkeit alles nur erwünschte Material aussondern und
gruppieren können, sobald hierfür nur ein gemeinsamer Plan
aufgestellt würde.
England und Frankreich ließen sich ohne Schwierigkeit,
vorläufig mehr beratend, hier anschließen.
Was sollen nun solche Arbeiten bezwecken? Soll dahin
gewirkt werden, daß künftig nach ihrem Muster statt in Gotik
oder Renaissance, oder modern, etwa in altnordisch-germani-
schem Stile gebaut und gebildet würde? Das sei ferne! Es
hieße den Teufel durch Beelzebub austreiben! Eine neue
Mode würde die alte ablösen, und bei unsrer, Gott sei es

werde, uns künstlerisch endlich
selber zu erkennen, wenn auch
nur gewissermaßen in unsern
ersten Anfängen und in der
Kindheit.
Ist das Deutschtum und
das Germanentum im weiteren
Sinne dessen nicht etwa auch
würdig, nachdem wir die ge-
waltigsten Mittel, die Arbeit der
glänzendsten Geister, der Er-
kenntnis der Kunst so vieler
andrer alter und neuer Völker,
seit den Tagen der Ägypter und
Inder, der Griechen und Römer,
bis zu denen der Franzosen und
Italiener der letzten Zeiten ge-
widmet haben?
Welches Museum im Deut-
schen Reiche, die zwei bayeri-
schen ausgenommen, trägt bis
heute auch nur den Namen, daß
es nationalen Zwecken diene?
Aber das Münchener ist »Baye-
risches Nationalmuseum«; das
Nürnberger Germanische hat mit
unsern Absichten bisher noch
wenig zu tun.
Ist jene Ehrenpflicht zu-
nächst erfüllt oder wird ihre Er-
füllung angestrebt, so wird der wissenschaftlichen Arbeit die
weitere Aufgabe erwachsen, dann aus ihren Ergebnissen im
Vergleich mit der gesamten nationalen Kunstgeschichte die-
jenigen Festpunkte herauszufinden, die sich unveränderlich
und stets wiederkehrend durch alle Jahrhunderte und Jahr-
tausende bis zur Gegenwart wiederfinden.
Diese Festpunkte haben ihre Begründung im Klima und
in der Natur unsres Vaterlandes, in dem dort von jeher ver-
wandten Material, und schließlich vor allem im Stammes-
charakter der Germanen.
Es ist geradezu verwunderlich, wie gewisse Formen, nicht
lauter konstruktiv und logisch bedingte, sondern gerade ganz
willkürliche rein formale Zierelemente, durch diese Jahrtausende
immer von neuem wieder auftauchen. Um ein ganz bezeich-
nendes Beispiel zu erwähnen: unsre Schlosserkunst des
16./17. Jahrhunderts hat sich plötzlich, sich abkehrend vom
Mittelalter wie von den Renaissanceformen, einem völlig ata-
vistischen Formenkreis zugewandt, der dem altnordischen
Bandwerk und seinen Tierverschlingungen völlig ähnlich ist,
bis zu dem Maße, daß man öfters glauben möchte, jene

Von S. Stefano bei S. Sepolcro zu Bologna. 10. Jahrhundert.


Von S. Stefano zu Bologna.
Nachbildung eines Fensters. Langobardisch.
10. Jahrhundert.


geklagt, fabrikmäßi-
gen Stilproduktion
würde eine neue Un-
fruchtbarkeit der al-
ten hinzugefügt.
Nein — es han-
delt sich zunächst
darum, eine Forde-
rung der Gerechtig-
keit gegen uns selber
und unsre Vorfahren
zu erfüllen! Es han-
delt sich darum, die
eigene und unbeein-
flußte künstlerische
Auffassungsweise
des Germanentums
ihm selber wie einen
Spiegel vorzuhalten.
Es handelt sich für
uns darum, daß uns
Gelegenheit gegeben


Hof von S. Stefano zu Bologna. Langobardisch. 10. Jahrhundert.

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