Mittwoch, den 17. Leptember 1919
Vadische post — Nr. 216
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Line deutsch-dänische Militär-
konvention?
Das gesamte Aktenmaterial, das sich auf die
llnterhandlungen über den Plan einer deutsch -
dänischen Militärkonvention bezieht,
ist nun veröffentlicht worden. Es gründet sich auf
die Besprechungen, die zryischen dem deutschen Ee-
neralstabschef Moltke und dem Ministerialdi-
rektor im dänischen Kriegsmimsterium, Lütken,
quf Veranlassung des dänischen Ministerpräsiden-
ten Christensen 1906—1907 stattgefunden haben.
Das Material enthält aber auch Berichte rion Lüt-
kens an das dänische Außenministerium von Okto-
ber und November 1903 über Beobachtungen, Ee-
sprache in Deutschland in den Zahren 1902 unh
1903. Eine Unterhaltung mit dem General von
Moltke, die am 18. 2. 1906 an Bord des Schlacht-
schtsfes „Preuhen" stattsand, ist befonders Leach-
tenL-wert.
Nachdem Moltke Lütkens darauf hingewiefen
hatte, datz das Eespräch nur als Pouryarler be-
trachtet werden dürfte und daher mit grötzter Dts-
kretion zu Lehandeln sei. fährt er fort:
,Mas ich Zhnen jetzt sage, ist das Ergeb.nis ein-
gehender Eespräche zwischen .dem K'aiser, denv
Fürsten Bül 0 w ünd m i r. Jch kann Jhnen
glcich sagen, wenn Sie irgend befürchten sollten.
datz wir im Sinne haben, die Levorstehenden un-
ruhigen Verhältnisse zum Angriff auf d»e
Selbständigkeit Dänemarks auszunüt-
zen. so ist dies unbegründet. Wir denken nicht an
so etwas. Unser Wunsch ist, datz zwischen den bei-
den Staaten eine natürliche Annähe'rung
orfolgen soll, so datz sie nicht beständig auf dem
Sprung gegeneinander sind. Die Angelegen-
heiten in S ch lesw i g, .die zwischen uns lie-
gen, sollen wir sehen, aus ÄemWegezu schaf-
sen. Es ist Otder gegeben zu einem gradweisen
Uebergang. Aber Sie müsseir wirklich versuchen,
Ihre Presse zu zügeln, datz ste uns keine
Schwierigkeiten Lereitet. z. B. durch das Ausstotzen
oon Triumphgeschrei. Die europäischeL«ge.
die sich drohend erhebt, deutet auf
Krieg zwischen Deuts'chland, Frank-
reich und England. Zch würde einen sol-
chen Krieg für alle drei Länder als ein grostes
Unglück betrachten. Aber möglich ist er doch.
Moltke besprach dann die verschiedenen Möglichkei-
ten eines englischen Angriffes auf Dä-
nemark und sagte weiter: Sie könnten fich ja
darauf einrichten, den grotzen Belt zu sper-
ren. Dies sollten Sie in Ordnung Lringen. Wir
wvllen Zhre Neutralität nicht brechen. Wenn Sie
sich die Engländer vom Leibe halten können. so
bleiben Sie vielleicht autzerhalb des Eanzen, aber
das müsten wir verlangen."
Aus einem weiteren Bericht Lütkens über eine
Unterredung mit Mollke vom 2. 7.1906 wurde von
Lütkens Lie Frage der Sperrung des grotzen Belts
nochmal aufgeworfen. Der Eeneralstabschef ging
aber auf diese Frags. die bei einer früheren Be-
sprechung in den Vordergrund getreten war, nicht
weiter ein, betonte vielmehr, datz Deutschland z.
Zt. durchaus keine Alllank oder Militärkonvention
wünsche. sondern nur Gewitzheit darüber haben
wolle. ob Dänemark mitEngland gehen wollc
oder nicht, und dann für seine Neutvalität
kampfen würde. Die Dokumento enthalten dann
noch zwei interessante Briefe Moltkes an Lütken.
Zn dem ersten. vom 27. 3. 1907, spricht stch Moltke
darüber aus, datz die Mitzstimmung, die damals
gerade herrschte, auf die von den beidon in ihren
Ünterhandlungen verfolgten Ziele einwirken
konnte. Es handelte sich zunächst zwar nur um
Erenzschikanen, aber Moltke vermutet noch andere
schwerwiegende Eründe, die unter Umständen den
Anschlutz Dänemarks an die vorausstchtlichen Eeg-
ner Deutschlands als vorteilhaster herbei-
sühren konnten. .Lat Dänemark sich aber in an-
derem Sinne entschieden. so kann es nicht durch
Reibereien zwischen Zollbeamten u.Eendarmen an-
deren Sinnes werden. Sollte man das annehmen.
so würde jede Sicherheit und jedes Vertrauen auf-
hören."
Zn dem zweiten Briefe. der vom 5. 7. 07 datiert
tst, hebt Moltke hervor, datz das Einzige. was wich-
tig ist, .die Antwort auf dio Frage sei: Freund
oder Feind. Deutschland wollo kein Offensio-
bündnis mit Danemark gegen England. Deutsch-
l.and müffe sich aber darauf einrichten, datz ihm
einmal ein Krieg aufgezwungen würde und dann
müffe es wiffen, wie ffch der Nachbar vor der
Türe stelle. Wenn aber Danemark eine zwei-
felhafte oder unentschiedens Hal-
tung einnehme. müffe stch Deutschland auf den
Fall „Feind" einrichten. Moltke fährt dann fort:
,Habe ich dagegen die Eewitzheit, datz die Antwort
„Freund" bleiben wird. so gilt mir hierfür das
Wort eines Ehrenmannes mehr als geschriebene
Verträge. Jch würde ihm unbedingt vertrauen."
Ministerpräsident Christensen legt in einem dem
Dokument beigefügten Schreiben vom 16. August
1919 an die militärische Abwicklungsstelle dar, datz
dio Verhandlungen Lütken-Moltke in erster Linie
Deutfchlands Leäbsichtigtes Nerhalten in einem
künftigen Weltkriege gegenüber Danemark klären
sollten. Und aus einem an.deren Schriftstück geht
klar hervor, datz Christensen mit dem EÄ>anken
gespielt hat, einen Vertrag mit England abzu-
schlietzen. „Denn wenn erst die Englander in dU
Ostsee eingödrungen sind, kann Deuffchland Däne-
mark nicht mehr zwingen, mit ihm zu gehen." Es
lag also in Christensens Programm, sich nach Be-
darf und Konjunktur für den einen oder anderen
Eegner zu entscheiden.
Aus den Lishcr der Oeffentlichkeit Lekanntge-
gebenen Dokumenten kann kein Beweis für eine
boabsichtigte deutsch-dänische Militärkonvention er-
Lracht werden.
Von der Sozialistenbewegung
Aeber die Bewegung im inthmationalen
Sozialismus erhält unser Berliner Vertre-
t e r von zuverläsfiger Seite folgende Jnformatio-
nen:
- Die englischen, ArLeiterführer, insbesondere
Henderson und Macdonald, streben darauf
hin, diezweiteZnternationalezur Basis
ihrer Machtstellung zu machen. Aus diesem Erunde
haben sie bereits ihre Fühler nach den sozialisti-
schen Organisationen des Auslandes. insbesondere
nach Frankreich, Amerita und Ztalien, gerichtet.
Jn den Dereinigten Staaten von Nordamerika be-
herrscht bereits der englische Einflutz die gesamte
Arbeiterbewegung. Eompers. der die europäischen
Sozialisten beeinflussen sollte. hat fich Lereils voll-
kommen ins englische Fahrwaffer hineintreiben las-
sen. Die französischen Sozialisten iverden von den
englischen Arbeiterblättern .Labour Leader" und
.Zaily Herald" zum Kampfe gegen die Clemen-
ceau'sche Bourgeoisie angespornt. Dabei rechnet
man in England. dah Lei den kommenden Wahlen
die Franzosen eincn grotzen Sieg erfechten wer-
den.
Aus diesem Erunde such! man bei beiden Rich-
tungen der französischen Sozialdemokraten. Lei den
Mehrheitlern wie bei den Minderheitlern, Sym-
pathien zu gewtnnen. Dem revolutionär gestimm-
ten radikalen Flügel macht man allerlei Zugeständ-
niffe, wie z. B. die Forderung auf Einstellung des
Kampfes gegen Sowjet-Rutzland. Während «e-
rckde früher die englischen Sozialisten dieser For-
derung sehr kühl und beinahe ablehnend gegen-
überstanden. rufen sie jetzt am stärksten nach der
Zurückziehung der Truppen aus Sowjet-Rutzland.
Dabei will sich Henderson bemühen. für den end-
gültigen Friedensschluh mit der russischen Räte-
Republik hinzuarbeiten. Zn England selbst herrscht
auch bei der Regierung grohe Stimmung dafür,
iund es steht zu erwarten. datz Henderson dem-
nächst nach Moskau in besonderer Mission abreisen
wird. Noch wahrscheinlicher tst, dah er in Stock-
holm ein Rendezvous mit Volschewisten-Führern
herbeisühren wird. Dem letzteren Plane steht man
in England sehr sympathisch gegenüber.
» Landarbeiterstreir in Oberitalien. Jn No-
vara un/d Veracelli streiken mitien im Derüa-ufe
der Ernt-earbeiten 160 000 La ndarbeiter. Das
Uebergreifen des Ausstandes auf die Provinz Pia-
cenza wird befürchtet.
* Die rumäntsche Kabinettkrisis. Nach dem
«Jntransigoclnt" wurde Manzlescu Ramni-
c,e>a n o mit der KabiiHettbildung in RumLnieir Le-
auftraet. Das Kabinett soll ein UeberLanssmini-
sterium ühne Partefführer werden.
Der Geiselmord-Prozetz
Die Nede des Staatsanroalts
Ctaatsanwalt H 0 ffmann nahm zu einer fast
fünfstündigen hoch Ledeutsamen Anklagere.de
das Wort. Er führte aus:
Dlo zur Aburteilung stehende Tat ist Mord.
iKein Kampf war dort, wo ste geschehen. Eanz
und gar wehrlose Menschen werden hin-
geschlachtet. Auch kein Schein von Recht um-
gibt die Tat. Aufrührer und mordgierige Leute
haben nicht einmal den Versuch gemacht. dem Mord
auch nur den Schein der Berechtigung ihrerseits zu
gcben. Wohl in der Erkenntnis, ein deutsches
Wort vermöge den .deutschen Znbegriff des nöti-
gen Bluthaffes gar nicht darzustellen, erfand man,
nein, entlieh man. wo eigcne Zeugungskraft
fehlt, das französische: Bourgeoisie. Mit welch
schönem Tonfall hat nicht der Vorstand der K. P.
D. von München-Wcft dieses Wort hier ausgespro-
chen, der Mann, der. wie er selbst sagt. ein Mann
der radikalen Phrase ist. der beim Schnapsglas
den Eeiseln wie einer Katze den Hals unrdreht,
der die Leichcn in die Jsar zu expedieren den
ehrenvollen Auftrag übernimmt. sich die Beglei-
tung eines Rotgardisten gefallen lätzt, der mit
ihm kommt, für seinen Jreund Hausknecht ein Ee-
avand von den Leichen zu stehlen, Hyänen des
Schlachtfeldcs.
Am 30. April Legann im Hofe des Eymnasiums
der grätzlichste Mord, an der Stätte der Erziehung
der Jugend zur Humanität; vorlnfftags die beiden
Husaren, nachmittags die anderen acht Eeiseln,
ein Dunghaufen in der Ecke die Hiurichtungsstätte.
Was haben diese Hetzer den tüchtigen deutschen Un-
teroffizieren nicht ob seines Tones als Sklaven-
halter verschrien! Freie Menschen verfprachen sie zu
schaffen, und unter sich gebrauchten ste den Kaser-
nenhofton. Der Oberkommandierende Egelho-
fer ist aus der Marine. ein entsprungener Sträf-
ling. Seidel war nie Soldat. Seidel gibt
zu. Lohnzettel gefälscht zu haben. Der Weltkrieg
hat uns diese landfremde Kraft aus dem Hafen
Triest hierher aeführt. Schickelhofer, der
Oberzugführer. hat als Kohlentrümmer aus vielen
Fahrten sich die Welt besehen und hat die Syphilis
und die Liebe zum Alkohol mitgebracht, die Körper
und Eeist allmählich zu zerstören drohen. Hessel-
mann. der die Kommandanten vertretende Herr
Oberschreiber. der im Osiziersrock umhersteigt. der
sich als grotzer Filmschauspieler vorg^tellt hat, hier
als Heiratsschwindler entlarvt wurde, ist wegen
Dicbstahls mehrmals vorbestraft. Dehmer ist
wcgen Zuhälterei vorbestraft. Josef Seidel.
der vertrauenswürdige Kantinenwirt, ist wegen
Landstreicherei. Diebstahl. Unterschlagung. uner-
laubter Entfernung und Fahnenflucht vorbestraft.
Völkl ist wegen Dtebstahl im Rückfall wiederholt
vorbestraft. Pürzl ist eln Psychopat. und sogar
dcr Herr Türsteher des Herrn Kommandanten,
Schmittele, ist frisch von der Feldstraflolonie
bezogen. Wirklich eine famose Gesellschaft
für die Ausübung von Komandogewalt. Als der
Krieg ausbrach. warcn von den vierzehn .Selden"
ganze vier volljährig. zehn waren minderiährig.
Was Wunder. wenn es nach dieser doch dieSpit -
zen dor Behörden mit umfaffenden Auslese,
im Gymnasium drunter und drüber ging.
Die Leiden Husaren, aber auch die Eräfin und
der greise Profeffor Verger, wurden roh und ge-
mein behandelt und schamlos befchimpft und ver-
höhnt bis zu dem Augenblick, wo sie den schuldlosen
Opferto- für das Bürgertum erleiden muhten.
Welch ein Nbgrund von Nohheit!
Sollte man meinen, datz es noch Grätzlicheres,
noch Scheutzlicheres zu schildern gibt! Die Gräfin
zerrte man vor mit einem Stotz. mit unflcrtigen
Schimpfworten. und die Tote wird von einem
Nohling an den Beinen in die Höhe gehoben.
Man versetzte ihr einen Futztritt. man speilt ihr
ins Antlitz. Wirklich eine Märtyrerin? Ei
anderer Unglücklicher zuckte im Sterben. Er er
hielt einen FanMutz. ..Latzt ihn doch ver .. . Er
braucht keinen Enadenschutz". sind die Worte. Ein
anderer ist auf d:e Stiefel eines Erschoffenen scharf.
Hyänen dcs Schlachtfeldcs, Lcichenflcddcrer!
Der Staatsanwalt kam dann noch auf die
schamlosen und vcrlogenen Hetzer zu sprechen. die
die Tat des Eeiselmordes vorbereiteten und voll-
endeten und deutcte an. wi.e schwer es war, die
Schuldigen an diesem Geiselmord ausfindig zu
machen. Er wandte sich dann fpeziell der Schuld-
frage des Kommandanten Fritz Seidel zu und
schilherte eingehend deffen Charakter. Bei der wei-
teren Schilderung Seidels kennzeichnete der
Staatsanwalt den Llutrünstigen und 1 ieri-
schen Sinn Seidels. Dcr Handlungsgehilfe Sei-
del aus Chemnitz habe sich zuweilen das Benehmen
eines Napoleon beigelcgt und seine Diltaturnatur
so recht zu erkennen gegeben. Wie gefürchtet der
Kommandant Seidel mit seinen 800 Mann in der
Räterepublik war. selbst bei den höchsten und aller-
höchsten Stellen, beweisen die Aussagen der Zeu-
gen, die erzählen, datz selbst ein Lewin und Le-
vine vor Fritz Sei.del und seinen 800 Mann'eini-
gen Nospekt hatten. Der Staatsanwalt brandmarkte
dann ein Eesuch Seidels. dieser Kommunistengröhe.
an den Mnisterpräfidenten H 0 ffmann, in denr
der Angeklagte sich als unschuldvolles Lämmlein
hinstellt. dah er es schon lange bitter Lereut habe,
sich der Räreregierung angeschloffen zu haben. Er
Littet in diesem Schreiben de- und wehmütig um
Vcrzeihung, er sei überzeugt, datz es noch Menschen
auf Erden gebe, die ihm verzeihen und aus dem
Eefängnis entlaffen würhen. Der Staatsanwalt
wies darauf hin, dah kein Zweifel Lestehen könne,
dah Seidcl in der Wohnung die enifcheidende Wei-
sung zur Erschietzung der zwei Husaren gegeben
habe, datz er neben Lewin der Hauptbeteiligte an
dieser schamlosen Hetze gewesen ist. die die Mün-
chener Arbeiterschaft aufgepeitfcht hat zu dem>
Blutrausch jener Tage. Der Staatsanwalt begrün-
dete fodann den rechtlichen Standpunkt gegenüber
den sämtlichen unter Anklage stehrnden Fälle deZ »
Mordes und betont dabei. datz die Tat in jü>em
Falle mit Vorbedacht und nicht im Affekt
geschehen sei. und wandte stch dann sämtlichcn übri-
gen Angeklagten zu. . ^
Der Staatsanwalt fuhr dann fort: Sowert die
Hauptschuld in Frage kommt, ist der Mord vom
Eefetz mit dem Tode bedroht. Das Blut von 10
unschuldigen und wehrlos gemordeten Menschen
schreit zum Himmel um Sühne. Wer immer die
Pläne ausgeheckt und sie zur Ausführung brachte.
wer mit der Waffe in der Hand d>en Sterbenden
ins Antlitz sah. der muh hinaus aus der Menschen-
gemeinschaft: Auge um Auge. Zahn um Zahn!
Am Schluffe seiner Ausführungen stellte der
Staatsanwalt dann den bereits gestern mitgeteil-
ten Antrag. Bei alle den Personen. bei denen die
Todesstrvfe beantragt ist. wird gleichzeitig der
Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebens-
dauer beantragt. Als der Staatsanwalt seiue An-
klagerüie in den schweren Strafanträgen gipfeln»
lätzt. die das Leben von 10 Angeklagten heischt und
5 andere zn l^enslanglicher Zuchthausstraf« ver-
urteilt. erbleichen die metsten Angeklagten
sichtlich, und Hesselmann fangt an zu wei-
nen. ^ i
Die Rede der Verteidlger
Die Verteidigungsreden eröffnete Rechtsanwalt
Teilhaber für den AngeklagtLN Peter-
maier. Den Antrag auf Freifprechung
feines Klienten begrundet er in der Hauptfache
damit, dah Petermaier wegen der ihm heute zur
Last gelegten strafbaren Handlung Lereits durch
das Standgericht abgeurteilt fei. lFür diefen An-
geklagten hat auch der Staatsanwalt Jreifprech-
ung beanlragt.) „ , '
Der erste Verteidiger des Hauptangeklagten
Fritz Seidel. Rochtsanwalt Fritz Löwenfeld,
hob zunächst die Lisherige Straflosigkeit des An-
geklagten Seidel hervor., der gegenüber die Lohn-
listenfäffchung kaum ins Eewicht falle. Zm ein-
zelnen versucht der Verteidiger fodann das Bild.
das der Staatsanwalt von dem Angeklagten ge-
zeichnet hat. zu lorrigieren. Die Rede g'pfelte in
dem Verlangen der Freisprechung des Angeklagteir
Fritz Seidel.
Rechtsanwalt Theodor LieLknecht aus Ber-
lin bedauerte. dah die Oeffentlichkeit fchon vor dei
Verhandlung. befonders aber vom erften Tage ver
Prozeffes ab. Seidel und Hausmann als
die Haupttäter verurteilt habe. Die politische An-
klagercde des Staatsanwaltes fei ein Versuch,
nachträglich den Mord an Lewine zu rechtfertigen.
Sodann' erging sich Liebknecht über die äutzerenpo-
tittw.och
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on"r^. ;a ru.. .
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Jn der Welt fährst du am besten, T
sprichst du stolz mit llolzen Gästen,
mit bescheidenen bescheiden,
aber wahr und klar mit beiden.
An a st. Grün
Der Dichter und Er
Von Ludwig Huna
(Schluß)
«Dieses Recht lann natürlich keinem Menschen
verwchrt roerden", versetzte Paul, der die üekränlte
Ertelveit durch ein feines Lächaln vechchlte. «Aber
dann ist e§ umlso er-sbauinlichcr, datz «r gevade bei
m 1 r die Etoriole des Todes Lestellen will."
.. »Er rvill üben trachten, Sie zur Mahrheit zu-
ruckzuiführen, Sie einfach zur Erkenntnis zu zwin-
gen. Und desihalb sendet er mich. Verchrtester."
Der Gast evhob sich wie zu eünenr recht ernsten Enl-
Ichmtz und tzch den Dichder von obeu, herab cm.
Daun faate er beinahe mitleidvoll: „Kenn-en Eie
mi-ch denn wtrklich nichit?"
«-Zch hab Sie nie aesahen". erwiderte Paul in-
vcaniert, indem er den Seffel zurückschob uich den
Fremdon näher betrachtete.
„O ja", läck>elte der Beifucher. Sie haÄsn, mich
keschcn, abcr fveilich mit recht menschlichen Auaen,
mii den innerlichen Sinneswerkzeugen haben Sie
mich durchspürt, habeu mich bchungen. mich ae-
uebt, vergöttert. Sie haiken mir ein Mcsen geae--
ven, dcis ich sonst nicht be-sitze, Mein Bicster. Aus
E» Dichtungen und philosophischen AbhandlunMir
^yrer Mchrten Herren Doirgänlrer llmben Sie das
uivo lenes üibcr mich herausgeM-lt, haiben sich
vrimmungen zusmnmengieschaben. in denen das
ENtrMickst meiner bescheideiven Persnölickckeit
ceuchtete oder wenigstens lenchten sollte. Nun olik-
lenSi'e mir ins Eesicht. Schic ichwirklich st» liebens-
rrus? So hoch willkommen? Haben Sie mich
"'cht em llvenig verkannt?"
- Dichter slank mit jedem Wort imm-er tieffer
Zeffel zurück, Nanrmerte sich am Rand des
«Mewtrick-es an und starrte seinem Gogenäber in
grotzen. matten Auaen.
«Schen Sie, nun finden Sie plötzlich keine
,oone. r>a Sre mich erkennen". fulsti dcr C^st fort.
«Und iha.ben doch ein ganzes Leben lang in Wor
ten von mir geschwärmt. Macht Sie die Fveude
vevstnnrmeir, die Frc-ude, datz Sie mich nun «mdli^
sHen und vi-ellciicht wirtlich fühlen? Oder sollte i
Zhnen eine Enttäuschung bererten? Dvs täte mir
lerd. Zch Loimme nnn im Namen mleines Auftrag-
gobers. Sie werden so gütig sein, die letzte Stunde
.ZHres Lebens dazu zu benützen, unr Ihre Änschauung
zu kläven, richtig zu stelleu, um dann nnter dom
Eindruck meiner Wrsenheit Zhre Meisterdithy-
vambe zu schaiffen. Ich setze mich dort in den Stuhl
-beim Fensber und stehe Jhnen zur VerfüiMNL. Sie
können mich ausfragen, aushorchen, aiusWlen. sich
satt felhen an meiner Eestirlt. dre nur der AusdruÄ
meiner sogenannton Wesenlosigkeit ist, können
Wwnder -aius mir herauslesen, wenn Sie welche
finden, mit -einom Wort, ich sdühe Zhn'en zur letzten
goprieslenen Tat Modell." Damit schvitt er zum
Fenster und Uetz sich dort ibequam in den hohen
Lutherstvhil nieder, kreuzte die Fütze übeveinander
und glättete wohlgesällig seine filiüvcvivenen, schnee-
wcitzen Finger.
Der Dichter war wachsblleich güwc-rde,n. Er
folgie den Vowegungen seinos Eastes und srochte sich
gev-alksam einizureden, -datz «r träume. ALcr je
miMtrongter er das untzeimliche W^en fixierte,
desto nie.hr wurde es itzni -zur Gewischeit, dätz er
i.nmöslich einen gemiffenloien Spatzmächer vor stch
kaDe. Er wollte sich erhebm. aber ein uirerklär-
licher Banni hielt ihn crm Stuhl fcst. Er verniochte
sich nicht zu regen, die Arme hingen ilhm schwer. w>ie
gelähmt, herab, selbst die Handmuskeln versaat«.n
ihren Dienst, nur das Hirn vrbeitete ficberhaft
und spruugweise m beginnender Angst. Die Augen
wollten sich von der gespenstischen Evsck>eimmü be-
freien, sie irrten dcchin und dorthin. blieben aber
immhr wieder anr der Eestalt anr.Fenster haften.
Die dichterischen Vorstelluusen, die tzch währeird der
letsten Zcchre in der Scale des Schaifsenden zu
einom festen Eebilde geformt hatten. riffon ent-
zroei, taumolten hin und her. verdichteten sich zu
sinnverwirvonden Knäueln. Ulitien stch wicder auf
und zorfloffen in dunkle DüMe. Er vcr-suchte die
Schönheiten der Phantaste aus seiner Seele,' a>us
sttzven Erinnerungen hervorzuholen, doch Leinr Än-
blick des in ßrauenvollcs Schwarz aetauchten We-
sens sccnken die sonst so leicht avbeitendkn Kräfte in
ein fernes llnbewutztsein.
..Eib mir Zeit!" stöhnte er dem Lordcrer eint-
gegc.n. «Ich finde keine Stimmung — keine Samm-
lung-knn-e Kraft — gch aus dichom Zimnver
— ich will dich nicht sehon."
De>r Toid lächelte. «Zck> bin ja gekommn, damit
du mein wahres Gcstcht endlich siotzst -uud nvein
Wesen suhlst. Das 'Falschs tzaist du ja in deiner
Coele oft gearug erschaut. Wonn ich jetzt sortgeh-o,
hüllt stch dein Ceist abermals in herrlichr Phraljei;
und Buchwort-o ein. Du foUt nnch malen, wie ich
bi.n. Drum bleiibe ich L-eeile dich — die M?imrte:l
vevMhen."
Der Dichter fühtte sein Herz zuscnnmenkrcrm-
psen, di-e Ströme des Blutes schoffen durch seinen
Leib uind verwandelten sich in hc'itzes Fouer, das
seine Elieder von innen heraus durchgl-ühte. Die
Schreckon der Verzweiflung tobt-on in seine-n Schlä-
fen, hainmerten an den Gehirnwänden und jvgteu
seine Eedanken -aus einm Bild in das amdere. Der
ZuMndLrana wehrte sich geaen die Varstelluns,
schon ietzt in Lie schwarzen Arine zu sinEeu, ni-o-
uials fiihlte dcr Eefolterte so sehr das Lcbensver-
langen in allen Eliedern zittern wie nun. da der
unerbitMchir Mckliner vor tlxin stctz Drs Elücksb"-
wutzttzein der vcrgansenon Zeiten stieg mit Vehe-
menz m ihm auf. Was er einst hochtvabend «ir
schailesBositztum der Alltagsmenschen erkannt haben
wolkte, nahnr nun die Gestalt eines teuern, ver-
lorenM Soelengutes an. Eiu überschwengli-chcs
Echnon nach den uiiausgenützten. beinahe verachte-
tien irdilschen Errungenschwfte,, des Menschengeist.es
rüttolte an fein-em Herzen und trieb es in iminor
gröheve Berzweiflung. Dazu kcvin die phyUchs
Ohnnuuht s-olnes Letbes, der divsc.m sewaltisen
Drängvn der Soel-o nicht nachzugoben vernrochte,
der gofesselt und selähmt in dem Sesiel lag und
deshalb um so entsetzlick>er das Tolsen dcr inn^ron
Stürnie sühlte. Znimer nwher rückte die Stunde
dos leisten Kampfes, innner verworrener und
schrcclhafter wurden die Grstchte des Dichters, im-
mer unheimlichor der Anblick des schwssigsainicn
Eastes, der nach.cissig hinge.worfen cmi Fenstcr satz
und mit aeschäftsmätzigom Eleichmut auf die Loi-
deu seines Qpfers hinüberblickte.
«Lös mir dte Dande — gib mir die Hand
frci —" stöhnte der Eepcinigte.
..Es ist M fpät. Zch habe dtr den. Schlag ge-
sendet, um deine See-lonkräfte ganz auf mich kou-
zentricren zu köunen. Nur deine rechto Hand ist
frei, um den Stift zu ermeifen. Bediene dich Ihver.
Der Morgen araut. Hast du mein AZesen «vfatzt?
Der Tod wandte sein Gesicht d-em Dichter M uud
lictz cin badauerndes Lächen um die Lippey
spielen. .
.>Zch habs begriffen —" achste Paul. «Eib mich
— frei! Zch will leben!"
«Sammle dich zum letzten Federstrich! Vergöt-
tere mich! Mobe Sphärentlänae um m-ein Haupt
und gtb mir den Vrudcrkutz, vo,n dem du so ge-
schwärnrt." Dor Tod erhob sich langsam nnd schritt
wuf den Tisch los. Dort blieb cr hochaufgerichtel
stehon und streckte die Nechte nach dvm Dunkelge-
weihten aus -und ftreich.'lte ihm kalt übers Haar.
«Du sichst, meine Berührung ist kein allzn sützer
Schauor. miein Wort hat krine holde Melo,die, mem
Blick nicht das Nersinken tn roonnige Tiefen. Was
jetzt aus mir zu dir fpricht, ist nichts uils der be-
aiiinende Pro.pff; der Zersetzun.p Gar nichts anvreÄ
Das ist moin wahres Sem! Nun bete mich an!
Er drückte Lom Dichter die Feoer in die Haud und
stellto sich hinter ihm in majestätischer Erös? und
Unbarncherzig^eit auf. ^
Da beg-Liin das letzte Grausen m dem Ee-Hirir
dcs Unalücklichen zu wüten. Er fühlte die schwar-
zen Sck>att-on crns der Tic-fe steigen. die cr Zeit sei-
ues Lobons gvleuignet, hörtr auialvoll die lockcndou
Lebensvufe ans dem Margen herüberschallen, ver-
fuchte die Töne zu erhaschen. zu beqreifen. zu vor-
arbeiten. doch ste zerfloffen in wüster Disharmonre,
die aus oein ouccklen Reich herüberflutete uivd alles
Bowichtstin zerWckclte und zcrbrack). Mit dem
Aufgobot dcr letzten Seolenkräfte. die ihm der
Speiider hinter seinem Nücken nockr acvb, formte er
das naue Bild d-es Goschauten in seinem erlöschen-
den Eeiste mrd gotz os in die widervuse-nden, er-
löfenden ?Lorte, die er bebend aufs Papier warf:
»Kein Fveund und Retter ist der Tc,d — —
Das Leiben sieht ihn schön — dock) hätzlich ist er —
iZni Tod verklärt sich erst bie Schönheit allen
^ Dcr schnxirze Bezwingcr blickte ibm isbcr die
Hand. Ernu dnmmeriid blickte der Morgen herein,
ünd der Tod schritt hinnus in dna neue. ,hm unte^
länig-e Leben.
Vadische post — Nr. 216
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Line deutsch-dänische Militär-
konvention?
Das gesamte Aktenmaterial, das sich auf die
llnterhandlungen über den Plan einer deutsch -
dänischen Militärkonvention bezieht,
ist nun veröffentlicht worden. Es gründet sich auf
die Besprechungen, die zryischen dem deutschen Ee-
neralstabschef Moltke und dem Ministerialdi-
rektor im dänischen Kriegsmimsterium, Lütken,
quf Veranlassung des dänischen Ministerpräsiden-
ten Christensen 1906—1907 stattgefunden haben.
Das Material enthält aber auch Berichte rion Lüt-
kens an das dänische Außenministerium von Okto-
ber und November 1903 über Beobachtungen, Ee-
sprache in Deutschland in den Zahren 1902 unh
1903. Eine Unterhaltung mit dem General von
Moltke, die am 18. 2. 1906 an Bord des Schlacht-
schtsfes „Preuhen" stattsand, ist befonders Leach-
tenL-wert.
Nachdem Moltke Lütkens darauf hingewiefen
hatte, datz das Eespräch nur als Pouryarler be-
trachtet werden dürfte und daher mit grötzter Dts-
kretion zu Lehandeln sei. fährt er fort:
,Mas ich Zhnen jetzt sage, ist das Ergeb.nis ein-
gehender Eespräche zwischen .dem K'aiser, denv
Fürsten Bül 0 w ünd m i r. Jch kann Jhnen
glcich sagen, wenn Sie irgend befürchten sollten.
datz wir im Sinne haben, die Levorstehenden un-
ruhigen Verhältnisse zum Angriff auf d»e
Selbständigkeit Dänemarks auszunüt-
zen. so ist dies unbegründet. Wir denken nicht an
so etwas. Unser Wunsch ist, datz zwischen den bei-
den Staaten eine natürliche Annähe'rung
orfolgen soll, so datz sie nicht beständig auf dem
Sprung gegeneinander sind. Die Angelegen-
heiten in S ch lesw i g, .die zwischen uns lie-
gen, sollen wir sehen, aus ÄemWegezu schaf-
sen. Es ist Otder gegeben zu einem gradweisen
Uebergang. Aber Sie müsseir wirklich versuchen,
Ihre Presse zu zügeln, datz ste uns keine
Schwierigkeiten Lereitet. z. B. durch das Ausstotzen
oon Triumphgeschrei. Die europäischeL«ge.
die sich drohend erhebt, deutet auf
Krieg zwischen Deuts'chland, Frank-
reich und England. Zch würde einen sol-
chen Krieg für alle drei Länder als ein grostes
Unglück betrachten. Aber möglich ist er doch.
Moltke besprach dann die verschiedenen Möglichkei-
ten eines englischen Angriffes auf Dä-
nemark und sagte weiter: Sie könnten fich ja
darauf einrichten, den grotzen Belt zu sper-
ren. Dies sollten Sie in Ordnung Lringen. Wir
wvllen Zhre Neutralität nicht brechen. Wenn Sie
sich die Engländer vom Leibe halten können. so
bleiben Sie vielleicht autzerhalb des Eanzen, aber
das müsten wir verlangen."
Aus einem weiteren Bericht Lütkens über eine
Unterredung mit Mollke vom 2. 7.1906 wurde von
Lütkens Lie Frage der Sperrung des grotzen Belts
nochmal aufgeworfen. Der Eeneralstabschef ging
aber auf diese Frags. die bei einer früheren Be-
sprechung in den Vordergrund getreten war, nicht
weiter ein, betonte vielmehr, datz Deutschland z.
Zt. durchaus keine Alllank oder Militärkonvention
wünsche. sondern nur Gewitzheit darüber haben
wolle. ob Dänemark mitEngland gehen wollc
oder nicht, und dann für seine Neutvalität
kampfen würde. Die Dokumento enthalten dann
noch zwei interessante Briefe Moltkes an Lütken.
Zn dem ersten. vom 27. 3. 1907, spricht stch Moltke
darüber aus, datz die Mitzstimmung, die damals
gerade herrschte, auf die von den beidon in ihren
Ünterhandlungen verfolgten Ziele einwirken
konnte. Es handelte sich zunächst zwar nur um
Erenzschikanen, aber Moltke vermutet noch andere
schwerwiegende Eründe, die unter Umständen den
Anschlutz Dänemarks an die vorausstchtlichen Eeg-
ner Deutschlands als vorteilhaster herbei-
sühren konnten. .Lat Dänemark sich aber in an-
derem Sinne entschieden. so kann es nicht durch
Reibereien zwischen Zollbeamten u.Eendarmen an-
deren Sinnes werden. Sollte man das annehmen.
so würde jede Sicherheit und jedes Vertrauen auf-
hören."
Zn dem zweiten Briefe. der vom 5. 7. 07 datiert
tst, hebt Moltke hervor, datz das Einzige. was wich-
tig ist, .die Antwort auf dio Frage sei: Freund
oder Feind. Deutschland wollo kein Offensio-
bündnis mit Danemark gegen England. Deutsch-
l.and müffe sich aber darauf einrichten, datz ihm
einmal ein Krieg aufgezwungen würde und dann
müffe es wiffen, wie ffch der Nachbar vor der
Türe stelle. Wenn aber Danemark eine zwei-
felhafte oder unentschiedens Hal-
tung einnehme. müffe stch Deutschland auf den
Fall „Feind" einrichten. Moltke fährt dann fort:
,Habe ich dagegen die Eewitzheit, datz die Antwort
„Freund" bleiben wird. so gilt mir hierfür das
Wort eines Ehrenmannes mehr als geschriebene
Verträge. Jch würde ihm unbedingt vertrauen."
Ministerpräsident Christensen legt in einem dem
Dokument beigefügten Schreiben vom 16. August
1919 an die militärische Abwicklungsstelle dar, datz
dio Verhandlungen Lütken-Moltke in erster Linie
Deutfchlands Leäbsichtigtes Nerhalten in einem
künftigen Weltkriege gegenüber Danemark klären
sollten. Und aus einem an.deren Schriftstück geht
klar hervor, datz Christensen mit dem EÄ>anken
gespielt hat, einen Vertrag mit England abzu-
schlietzen. „Denn wenn erst die Englander in dU
Ostsee eingödrungen sind, kann Deuffchland Däne-
mark nicht mehr zwingen, mit ihm zu gehen." Es
lag also in Christensens Programm, sich nach Be-
darf und Konjunktur für den einen oder anderen
Eegner zu entscheiden.
Aus den Lishcr der Oeffentlichkeit Lekanntge-
gebenen Dokumenten kann kein Beweis für eine
boabsichtigte deutsch-dänische Militärkonvention er-
Lracht werden.
Von der Sozialistenbewegung
Aeber die Bewegung im inthmationalen
Sozialismus erhält unser Berliner Vertre-
t e r von zuverläsfiger Seite folgende Jnformatio-
nen:
- Die englischen, ArLeiterführer, insbesondere
Henderson und Macdonald, streben darauf
hin, diezweiteZnternationalezur Basis
ihrer Machtstellung zu machen. Aus diesem Erunde
haben sie bereits ihre Fühler nach den sozialisti-
schen Organisationen des Auslandes. insbesondere
nach Frankreich, Amerita und Ztalien, gerichtet.
Jn den Dereinigten Staaten von Nordamerika be-
herrscht bereits der englische Einflutz die gesamte
Arbeiterbewegung. Eompers. der die europäischen
Sozialisten beeinflussen sollte. hat fich Lereils voll-
kommen ins englische Fahrwaffer hineintreiben las-
sen. Die französischen Sozialisten iverden von den
englischen Arbeiterblättern .Labour Leader" und
.Zaily Herald" zum Kampfe gegen die Clemen-
ceau'sche Bourgeoisie angespornt. Dabei rechnet
man in England. dah Lei den kommenden Wahlen
die Franzosen eincn grotzen Sieg erfechten wer-
den.
Aus diesem Erunde such! man bei beiden Rich-
tungen der französischen Sozialdemokraten. Lei den
Mehrheitlern wie bei den Minderheitlern, Sym-
pathien zu gewtnnen. Dem revolutionär gestimm-
ten radikalen Flügel macht man allerlei Zugeständ-
niffe, wie z. B. die Forderung auf Einstellung des
Kampfes gegen Sowjet-Rutzland. Während «e-
rckde früher die englischen Sozialisten dieser For-
derung sehr kühl und beinahe ablehnend gegen-
überstanden. rufen sie jetzt am stärksten nach der
Zurückziehung der Truppen aus Sowjet-Rutzland.
Dabei will sich Henderson bemühen. für den end-
gültigen Friedensschluh mit der russischen Räte-
Republik hinzuarbeiten. Zn England selbst herrscht
auch bei der Regierung grohe Stimmung dafür,
iund es steht zu erwarten. datz Henderson dem-
nächst nach Moskau in besonderer Mission abreisen
wird. Noch wahrscheinlicher tst, dah er in Stock-
holm ein Rendezvous mit Volschewisten-Führern
herbeisühren wird. Dem letzteren Plane steht man
in England sehr sympathisch gegenüber.
» Landarbeiterstreir in Oberitalien. Jn No-
vara un/d Veracelli streiken mitien im Derüa-ufe
der Ernt-earbeiten 160 000 La ndarbeiter. Das
Uebergreifen des Ausstandes auf die Provinz Pia-
cenza wird befürchtet.
* Die rumäntsche Kabinettkrisis. Nach dem
«Jntransigoclnt" wurde Manzlescu Ramni-
c,e>a n o mit der KabiiHettbildung in RumLnieir Le-
auftraet. Das Kabinett soll ein UeberLanssmini-
sterium ühne Partefführer werden.
Der Geiselmord-Prozetz
Die Nede des Staatsanroalts
Ctaatsanwalt H 0 ffmann nahm zu einer fast
fünfstündigen hoch Ledeutsamen Anklagere.de
das Wort. Er führte aus:
Dlo zur Aburteilung stehende Tat ist Mord.
iKein Kampf war dort, wo ste geschehen. Eanz
und gar wehrlose Menschen werden hin-
geschlachtet. Auch kein Schein von Recht um-
gibt die Tat. Aufrührer und mordgierige Leute
haben nicht einmal den Versuch gemacht. dem Mord
auch nur den Schein der Berechtigung ihrerseits zu
gcben. Wohl in der Erkenntnis, ein deutsches
Wort vermöge den .deutschen Znbegriff des nöti-
gen Bluthaffes gar nicht darzustellen, erfand man,
nein, entlieh man. wo eigcne Zeugungskraft
fehlt, das französische: Bourgeoisie. Mit welch
schönem Tonfall hat nicht der Vorstand der K. P.
D. von München-Wcft dieses Wort hier ausgespro-
chen, der Mann, der. wie er selbst sagt. ein Mann
der radikalen Phrase ist. der beim Schnapsglas
den Eeiseln wie einer Katze den Hals unrdreht,
der die Leichcn in die Jsar zu expedieren den
ehrenvollen Auftrag übernimmt. sich die Beglei-
tung eines Rotgardisten gefallen lätzt, der mit
ihm kommt, für seinen Jreund Hausknecht ein Ee-
avand von den Leichen zu stehlen, Hyänen des
Schlachtfeldcs.
Am 30. April Legann im Hofe des Eymnasiums
der grätzlichste Mord, an der Stätte der Erziehung
der Jugend zur Humanität; vorlnfftags die beiden
Husaren, nachmittags die anderen acht Eeiseln,
ein Dunghaufen in der Ecke die Hiurichtungsstätte.
Was haben diese Hetzer den tüchtigen deutschen Un-
teroffizieren nicht ob seines Tones als Sklaven-
halter verschrien! Freie Menschen verfprachen sie zu
schaffen, und unter sich gebrauchten ste den Kaser-
nenhofton. Der Oberkommandierende Egelho-
fer ist aus der Marine. ein entsprungener Sträf-
ling. Seidel war nie Soldat. Seidel gibt
zu. Lohnzettel gefälscht zu haben. Der Weltkrieg
hat uns diese landfremde Kraft aus dem Hafen
Triest hierher aeführt. Schickelhofer, der
Oberzugführer. hat als Kohlentrümmer aus vielen
Fahrten sich die Welt besehen und hat die Syphilis
und die Liebe zum Alkohol mitgebracht, die Körper
und Eeist allmählich zu zerstören drohen. Hessel-
mann. der die Kommandanten vertretende Herr
Oberschreiber. der im Osiziersrock umhersteigt. der
sich als grotzer Filmschauspieler vorg^tellt hat, hier
als Heiratsschwindler entlarvt wurde, ist wegen
Dicbstahls mehrmals vorbestraft. Dehmer ist
wcgen Zuhälterei vorbestraft. Josef Seidel.
der vertrauenswürdige Kantinenwirt, ist wegen
Landstreicherei. Diebstahl. Unterschlagung. uner-
laubter Entfernung und Fahnenflucht vorbestraft.
Völkl ist wegen Dtebstahl im Rückfall wiederholt
vorbestraft. Pürzl ist eln Psychopat. und sogar
dcr Herr Türsteher des Herrn Kommandanten,
Schmittele, ist frisch von der Feldstraflolonie
bezogen. Wirklich eine famose Gesellschaft
für die Ausübung von Komandogewalt. Als der
Krieg ausbrach. warcn von den vierzehn .Selden"
ganze vier volljährig. zehn waren minderiährig.
Was Wunder. wenn es nach dieser doch dieSpit -
zen dor Behörden mit umfaffenden Auslese,
im Gymnasium drunter und drüber ging.
Die Leiden Husaren, aber auch die Eräfin und
der greise Profeffor Verger, wurden roh und ge-
mein behandelt und schamlos befchimpft und ver-
höhnt bis zu dem Augenblick, wo sie den schuldlosen
Opferto- für das Bürgertum erleiden muhten.
Welch ein Nbgrund von Nohheit!
Sollte man meinen, datz es noch Grätzlicheres,
noch Scheutzlicheres zu schildern gibt! Die Gräfin
zerrte man vor mit einem Stotz. mit unflcrtigen
Schimpfworten. und die Tote wird von einem
Nohling an den Beinen in die Höhe gehoben.
Man versetzte ihr einen Futztritt. man speilt ihr
ins Antlitz. Wirklich eine Märtyrerin? Ei
anderer Unglücklicher zuckte im Sterben. Er er
hielt einen FanMutz. ..Latzt ihn doch ver .. . Er
braucht keinen Enadenschutz". sind die Worte. Ein
anderer ist auf d:e Stiefel eines Erschoffenen scharf.
Hyänen dcs Schlachtfeldcs, Lcichenflcddcrer!
Der Staatsanwalt kam dann noch auf die
schamlosen und vcrlogenen Hetzer zu sprechen. die
die Tat des Eeiselmordes vorbereiteten und voll-
endeten und deutcte an. wi.e schwer es war, die
Schuldigen an diesem Geiselmord ausfindig zu
machen. Er wandte sich dann fpeziell der Schuld-
frage des Kommandanten Fritz Seidel zu und
schilherte eingehend deffen Charakter. Bei der wei-
teren Schilderung Seidels kennzeichnete der
Staatsanwalt den Llutrünstigen und 1 ieri-
schen Sinn Seidels. Dcr Handlungsgehilfe Sei-
del aus Chemnitz habe sich zuweilen das Benehmen
eines Napoleon beigelcgt und seine Diltaturnatur
so recht zu erkennen gegeben. Wie gefürchtet der
Kommandant Seidel mit seinen 800 Mann in der
Räterepublik war. selbst bei den höchsten und aller-
höchsten Stellen, beweisen die Aussagen der Zeu-
gen, die erzählen, datz selbst ein Lewin und Le-
vine vor Fritz Sei.del und seinen 800 Mann'eini-
gen Nospekt hatten. Der Staatsanwalt brandmarkte
dann ein Eesuch Seidels. dieser Kommunistengröhe.
an den Mnisterpräfidenten H 0 ffmann, in denr
der Angeklagte sich als unschuldvolles Lämmlein
hinstellt. dah er es schon lange bitter Lereut habe,
sich der Räreregierung angeschloffen zu haben. Er
Littet in diesem Schreiben de- und wehmütig um
Vcrzeihung, er sei überzeugt, datz es noch Menschen
auf Erden gebe, die ihm verzeihen und aus dem
Eefängnis entlaffen würhen. Der Staatsanwalt
wies darauf hin, dah kein Zweifel Lestehen könne,
dah Seidcl in der Wohnung die enifcheidende Wei-
sung zur Erschietzung der zwei Husaren gegeben
habe, datz er neben Lewin der Hauptbeteiligte an
dieser schamlosen Hetze gewesen ist. die die Mün-
chener Arbeiterschaft aufgepeitfcht hat zu dem>
Blutrausch jener Tage. Der Staatsanwalt begrün-
dete fodann den rechtlichen Standpunkt gegenüber
den sämtlichen unter Anklage stehrnden Fälle deZ »
Mordes und betont dabei. datz die Tat in jü>em
Falle mit Vorbedacht und nicht im Affekt
geschehen sei. und wandte stch dann sämtlichcn übri-
gen Angeklagten zu. . ^
Der Staatsanwalt fuhr dann fort: Sowert die
Hauptschuld in Frage kommt, ist der Mord vom
Eefetz mit dem Tode bedroht. Das Blut von 10
unschuldigen und wehrlos gemordeten Menschen
schreit zum Himmel um Sühne. Wer immer die
Pläne ausgeheckt und sie zur Ausführung brachte.
wer mit der Waffe in der Hand d>en Sterbenden
ins Antlitz sah. der muh hinaus aus der Menschen-
gemeinschaft: Auge um Auge. Zahn um Zahn!
Am Schluffe seiner Ausführungen stellte der
Staatsanwalt dann den bereits gestern mitgeteil-
ten Antrag. Bei alle den Personen. bei denen die
Todesstrvfe beantragt ist. wird gleichzeitig der
Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebens-
dauer beantragt. Als der Staatsanwalt seiue An-
klagerüie in den schweren Strafanträgen gipfeln»
lätzt. die das Leben von 10 Angeklagten heischt und
5 andere zn l^enslanglicher Zuchthausstraf« ver-
urteilt. erbleichen die metsten Angeklagten
sichtlich, und Hesselmann fangt an zu wei-
nen. ^ i
Die Rede der Verteidlger
Die Verteidigungsreden eröffnete Rechtsanwalt
Teilhaber für den AngeklagtLN Peter-
maier. Den Antrag auf Freifprechung
feines Klienten begrundet er in der Hauptfache
damit, dah Petermaier wegen der ihm heute zur
Last gelegten strafbaren Handlung Lereits durch
das Standgericht abgeurteilt fei. lFür diefen An-
geklagten hat auch der Staatsanwalt Jreifprech-
ung beanlragt.) „ , '
Der erste Verteidiger des Hauptangeklagten
Fritz Seidel. Rochtsanwalt Fritz Löwenfeld,
hob zunächst die Lisherige Straflosigkeit des An-
geklagten Seidel hervor., der gegenüber die Lohn-
listenfäffchung kaum ins Eewicht falle. Zm ein-
zelnen versucht der Verteidiger fodann das Bild.
das der Staatsanwalt von dem Angeklagten ge-
zeichnet hat. zu lorrigieren. Die Rede g'pfelte in
dem Verlangen der Freisprechung des Angeklagteir
Fritz Seidel.
Rechtsanwalt Theodor LieLknecht aus Ber-
lin bedauerte. dah die Oeffentlichkeit fchon vor dei
Verhandlung. befonders aber vom erften Tage ver
Prozeffes ab. Seidel und Hausmann als
die Haupttäter verurteilt habe. Die politische An-
klagercde des Staatsanwaltes fei ein Versuch,
nachträglich den Mord an Lewine zu rechtfertigen.
Sodann' erging sich Liebknecht über die äutzerenpo-
tittw.och
Die
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>°"Ls
on"r^. ;a ru.. .
s-n-
Jn der Welt fährst du am besten, T
sprichst du stolz mit llolzen Gästen,
mit bescheidenen bescheiden,
aber wahr und klar mit beiden.
An a st. Grün
Der Dichter und Er
Von Ludwig Huna
(Schluß)
«Dieses Recht lann natürlich keinem Menschen
verwchrt roerden", versetzte Paul, der die üekränlte
Ertelveit durch ein feines Lächaln vechchlte. «Aber
dann ist e§ umlso er-sbauinlichcr, datz «r gevade bei
m 1 r die Etoriole des Todes Lestellen will."
.. »Er rvill üben trachten, Sie zur Mahrheit zu-
ruckzuiführen, Sie einfach zur Erkenntnis zu zwin-
gen. Und desihalb sendet er mich. Verchrtester."
Der Gast evhob sich wie zu eünenr recht ernsten Enl-
Ichmtz und tzch den Dichder von obeu, herab cm.
Daun faate er beinahe mitleidvoll: „Kenn-en Eie
mi-ch denn wtrklich nichit?"
«-Zch hab Sie nie aesahen". erwiderte Paul in-
vcaniert, indem er den Seffel zurückschob uich den
Fremdon näher betrachtete.
„O ja", läck>elte der Beifucher. Sie haÄsn, mich
keschcn, abcr fveilich mit recht menschlichen Auaen,
mii den innerlichen Sinneswerkzeugen haben Sie
mich durchspürt, habeu mich bchungen. mich ae-
uebt, vergöttert. Sie haiken mir ein Mcsen geae--
ven, dcis ich sonst nicht be-sitze, Mein Bicster. Aus
E» Dichtungen und philosophischen AbhandlunMir
^yrer Mchrten Herren Doirgänlrer llmben Sie das
uivo lenes üibcr mich herausgeM-lt, haiben sich
vrimmungen zusmnmengieschaben. in denen das
ENtrMickst meiner bescheideiven Persnölickckeit
ceuchtete oder wenigstens lenchten sollte. Nun olik-
lenSi'e mir ins Eesicht. Schic ichwirklich st» liebens-
rrus? So hoch willkommen? Haben Sie mich
"'cht em llvenig verkannt?"
- Dichter slank mit jedem Wort imm-er tieffer
Zeffel zurück, Nanrmerte sich am Rand des
«Mewtrick-es an und starrte seinem Gogenäber in
grotzen. matten Auaen.
«Schen Sie, nun finden Sie plötzlich keine
,oone. r>a Sre mich erkennen". fulsti dcr C^st fort.
«Und iha.ben doch ein ganzes Leben lang in Wor
ten von mir geschwärmt. Macht Sie die Fveude
vevstnnrmeir, die Frc-ude, datz Sie mich nun «mdli^
sHen und vi-ellciicht wirtlich fühlen? Oder sollte i
Zhnen eine Enttäuschung bererten? Dvs täte mir
lerd. Zch Loimme nnn im Namen mleines Auftrag-
gobers. Sie werden so gütig sein, die letzte Stunde
.ZHres Lebens dazu zu benützen, unr Ihre Änschauung
zu kläven, richtig zu stelleu, um dann nnter dom
Eindruck meiner Wrsenheit Zhre Meisterdithy-
vambe zu schaiffen. Ich setze mich dort in den Stuhl
-beim Fensber und stehe Jhnen zur VerfüiMNL. Sie
können mich ausfragen, aushorchen, aiusWlen. sich
satt felhen an meiner Eestirlt. dre nur der AusdruÄ
meiner sogenannton Wesenlosigkeit ist, können
Wwnder -aius mir herauslesen, wenn Sie welche
finden, mit -einom Wort, ich sdühe Zhn'en zur letzten
goprieslenen Tat Modell." Damit schvitt er zum
Fenster und Uetz sich dort ibequam in den hohen
Lutherstvhil nieder, kreuzte die Fütze übeveinander
und glättete wohlgesällig seine filiüvcvivenen, schnee-
wcitzen Finger.
Der Dichter war wachsblleich güwc-rde,n. Er
folgie den Vowegungen seinos Eastes und srochte sich
gev-alksam einizureden, -datz «r träume. ALcr je
miMtrongter er das untzeimliche W^en fixierte,
desto nie.hr wurde es itzni -zur Gewischeit, dätz er
i.nmöslich einen gemiffenloien Spatzmächer vor stch
kaDe. Er wollte sich erhebm. aber ein uirerklär-
licher Banni hielt ihn crm Stuhl fcst. Er verniochte
sich nicht zu regen, die Arme hingen ilhm schwer. w>ie
gelähmt, herab, selbst die Handmuskeln versaat«.n
ihren Dienst, nur das Hirn vrbeitete ficberhaft
und spruugweise m beginnender Angst. Die Augen
wollten sich von der gespenstischen Evsck>eimmü be-
freien, sie irrten dcchin und dorthin. blieben aber
immhr wieder anr der Eestalt anr.Fenster haften.
Die dichterischen Vorstelluusen, die tzch währeird der
letsten Zcchre in der Scale des Schaifsenden zu
einom festen Eebilde geformt hatten. riffon ent-
zroei, taumolten hin und her. verdichteten sich zu
sinnverwirvonden Knäueln. Ulitien stch wicder auf
und zorfloffen in dunkle DüMe. Er vcr-suchte die
Schönheiten der Phantaste aus seiner Seele,' a>us
sttzven Erinnerungen hervorzuholen, doch Leinr Än-
blick des in ßrauenvollcs Schwarz aetauchten We-
sens sccnken die sonst so leicht avbeitendkn Kräfte in
ein fernes llnbewutztsein.
..Eib mir Zeit!" stöhnte er dem Lordcrer eint-
gegc.n. «Ich finde keine Stimmung — keine Samm-
lung-knn-e Kraft — gch aus dichom Zimnver
— ich will dich nicht sehon."
De>r Toid lächelte. «Zck> bin ja gekommn, damit
du mein wahres Gcstcht endlich siotzst -uud nvein
Wesen suhlst. Das 'Falschs tzaist du ja in deiner
Coele oft gearug erschaut. Wonn ich jetzt sortgeh-o,
hüllt stch dein Ceist abermals in herrlichr Phraljei;
und Buchwort-o ein. Du foUt nnch malen, wie ich
bi.n. Drum bleiibe ich L-eeile dich — die M?imrte:l
vevMhen."
Der Dichter fühtte sein Herz zuscnnmenkrcrm-
psen, di-e Ströme des Blutes schoffen durch seinen
Leib uind verwandelten sich in hc'itzes Fouer, das
seine Elieder von innen heraus durchgl-ühte. Die
Schreckon der Verzweiflung tobt-on in seine-n Schlä-
fen, hainmerten an den Gehirnwänden und jvgteu
seine Eedanken -aus einm Bild in das amdere. Der
ZuMndLrana wehrte sich geaen die Varstelluns,
schon ietzt in Lie schwarzen Arine zu sinEeu, ni-o-
uials fiihlte dcr Eefolterte so sehr das Lcbensver-
langen in allen Eliedern zittern wie nun. da der
unerbitMchir Mckliner vor tlxin stctz Drs Elücksb"-
wutzttzein der vcrgansenon Zeiten stieg mit Vehe-
menz m ihm auf. Was er einst hochtvabend «ir
schailesBositztum der Alltagsmenschen erkannt haben
wolkte, nahnr nun die Gestalt eines teuern, ver-
lorenM Soelengutes an. Eiu überschwengli-chcs
Echnon nach den uiiausgenützten. beinahe verachte-
tien irdilschen Errungenschwfte,, des Menschengeist.es
rüttolte an fein-em Herzen und trieb es in iminor
gröheve Berzweiflung. Dazu kcvin die phyUchs
Ohnnuuht s-olnes Letbes, der divsc.m sewaltisen
Drängvn der Soel-o nicht nachzugoben vernrochte,
der gofesselt und selähmt in dem Sesiel lag und
deshalb um so entsetzlick>er das Tolsen dcr inn^ron
Stürnie sühlte. Znimer nwher rückte die Stunde
dos leisten Kampfes, innner verworrener und
schrcclhafter wurden die Grstchte des Dichters, im-
mer unheimlichor der Anblick des schwssigsainicn
Eastes, der nach.cissig hinge.worfen cmi Fenstcr satz
und mit aeschäftsmätzigom Eleichmut auf die Loi-
deu seines Qpfers hinüberblickte.
«Lös mir dte Dande — gib mir die Hand
frci —" stöhnte der Eepcinigte.
..Es ist M fpät. Zch habe dtr den. Schlag ge-
sendet, um deine See-lonkräfte ganz auf mich kou-
zentricren zu köunen. Nur deine rechto Hand ist
frei, um den Stift zu ermeifen. Bediene dich Ihver.
Der Morgen araut. Hast du mein AZesen «vfatzt?
Der Tod wandte sein Gesicht d-em Dichter M uud
lictz cin badauerndes Lächen um die Lippey
spielen. .
.>Zch habs begriffen —" achste Paul. «Eib mich
— frei! Zch will leben!"
«Sammle dich zum letzten Federstrich! Vergöt-
tere mich! Mobe Sphärentlänae um m-ein Haupt
und gtb mir den Vrudcrkutz, vo,n dem du so ge-
schwärnrt." Dor Tod erhob sich langsam nnd schritt
wuf den Tisch los. Dort blieb cr hochaufgerichtel
stehon und streckte die Nechte nach dvm Dunkelge-
weihten aus -und ftreich.'lte ihm kalt übers Haar.
«Du sichst, meine Berührung ist kein allzn sützer
Schauor. miein Wort hat krine holde Melo,die, mem
Blick nicht das Nersinken tn roonnige Tiefen. Was
jetzt aus mir zu dir fpricht, ist nichts uils der be-
aiiinende Pro.pff; der Zersetzun.p Gar nichts anvreÄ
Das ist moin wahres Sem! Nun bete mich an!
Er drückte Lom Dichter die Feoer in die Haud und
stellto sich hinter ihm in majestätischer Erös? und
Unbarncherzig^eit auf. ^
Da beg-Liin das letzte Grausen m dem Ee-Hirir
dcs Unalücklichen zu wüten. Er fühlte die schwar-
zen Sck>att-on crns der Tic-fe steigen. die cr Zeit sei-
ues Lobons gvleuignet, hörtr auialvoll die lockcndou
Lebensvufe ans dem Margen herüberschallen, ver-
fuchte die Töne zu erhaschen. zu beqreifen. zu vor-
arbeiten. doch ste zerfloffen in wüster Disharmonre,
die aus oein ouccklen Reich herüberflutete uivd alles
Bowichtstin zerWckclte und zcrbrack). Mit dem
Aufgobot dcr letzten Seolenkräfte. die ihm der
Speiider hinter seinem Nücken nockr acvb, formte er
das naue Bild d-es Goschauten in seinem erlöschen-
den Eeiste mrd gotz os in die widervuse-nden, er-
löfenden ?Lorte, die er bebend aufs Papier warf:
»Kein Fveund und Retter ist der Tc,d — —
Das Leiben sieht ihn schön — dock) hätzlich ist er —
iZni Tod verklärt sich erst bie Schönheit allen
^ Dcr schnxirze Bezwingcr blickte ibm isbcr die
Hand. Ernu dnmmeriid blickte der Morgen herein,
ünd der Tod schritt hinnus in dna neue. ,hm unte^
länig-e Leben.