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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt (61): Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1919 (September bis Dezember)

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Nr. 280-304 (1. Dezember 1919 - 31. Dezember 1919)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3728#0634
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ton Rönrern bezw. Ericchcn zu uns gekommen. DaneLen gcbrouchl
iiüin den ZmiebEalender- erne ZwiLbcl mird rn zrvolf Tette
schnitten; auf jeden dcr in einer Neihe liegenden und oen entzeinen
Monatcn zugeleilten SLücke wird Sal.z geHrg't. Wird ein Stnck ve-
s.anders natz. so deutet das ans einen nassen. sonst amf einen trockenen
Monat.

Jn den .Zwölsten" zwischen dcn Iahren ist allerlei Spul los.
-uste alten Glaubens, Lnft rmlde Scharen aus dsm Esiste^reich uin-
!ehen die dem Menschen das Glück des beaorstchenden Jachros ver-
u rbcn können. finden sich noch vielfach. Fruher zoa mvn ihn^N ojt
nieskiert enhgegen. wie cs bis jeht in den Vachte numzüsen in der
Legend von Salzburg iiblich war; daLei machte man viel Lävm. uur
sie ;u ucrjagcn. Die Nummelpottumzügc im nord^oestlichen Deiutsch-
land erinncrn noch an solche Begehungcn. Vci uns ist davon fast 'nür
noch der Radau in dcr Mujahrsnacht iibrig, Ler WM UnftiL ams-
geartct ist.

Ju katholischen Eescnden schreib! man an DraiMrtg die Na-
ii'.en der heiligen Drei Könis» mit den AnsanLLbEtlAbeu K X M X
B und Kreuzlein an die Türe. danrit nichrs Büses während des
Iahres eintreten könne. Jm Einzcliien kennt die badtschr Bäubrin
noch eine Menge Mittcl. um am Iahresanfang Hrrus >und Feld,
Mcnsch und Vieb ocr IV-bel?.n bewahrcn.

Ebenso bäufig wie die Abwehrmittel ünd die Bräuche. welchs
Segcn hcrbeifühlen sollen. Es ist nicht einerlei. wias nnrn am Icchres-
anfaug ißt: Erbscnsuppe an Neujabr gegessrn. bewahrt in Mittel-
badcn während les Iahrcs vor Fieber: w<mn maN- an Muftchr
„Elünkraut" jp,t. heilt wäbrend dcs Znhres alles bessex. Im nörd-
lichen Ba-dcn, Lesonders bei Atosbach. Bruchsa,l und Restatt. ist es
vielfcrch Sitte, einen Appel oder ein Stück Brot in den Weihmachts-
gottesdienst mitzunehmen. und ihn nachher unter den Angchörigen
und dem Vieh zu oertcileu. Dcr Eenus; davon hält das Iahr über
scisund.. Ebenso bewahrt man nch die Gesundheit. lvenn mau an
Neuj^chr siebenerle'! odsr ncunerlei Speisen iüt.

Auf eincn Segenswünsch gehen auch unsev- Weibnachts- uno
Neujahrsgeschenke zurück. Wenn man am AusaUg dcs Iahres viel
hat. so hat man das gcmze Iahr etwas. Deshalb läsrt mctn sich gcrne
üeschenken. Die Weihnachtsboscherung ist auf die RikolnU'Sgeschenkü
und Ilie Reujahrsgaben zurückzusichren.

Einem alten Volksbrauch verdankt auch unser We'lhuvchts
baum seine Entstehung. Er scheint im alemannischen Gebiet auf-
sckommen und besonders bev unseren Stasnmesbrüdern im Elsckä be-
liebt gcmesen zu sein. Vvn hier aus verbrcitete icr sich üchLr ganz
Deutschland. Er fand leicht Eingang, weil falt überall verwandte
LrMchk hcinnsch waoen. Zui Bcginn drs Iahres stsllte nmn 'gern cin
immercrünes Bäumchen odsr frisches Laub und Nlüten ails' Schmuck
auf. Denn nach altlem VÄksslauben kann die Lcbenskraft der
Pflanzc segenbringend sich auf Menschen und Tiere. Haris nnd Hor
übertragen.

Gedichte / Hans Christoph Ade

Msolute Lyrik ini Sinne HüldieÄins unü Novalis find die
Ecdlchte, oie der in München lcbende HansChr istopk, Ado in
seinem schmalen Buche „Die Schale" sLandhausveillaa. Ienas ver-
-inigt hat. cine strenae Lese aus der Ernte dn Iabre. aber aleich-
wert ln ,iorm un d Echa'lt. Es folsen hier zwoi der fchönsten Stücke:

Weihnacht 1919

Michel, du tumber, wamr träumst du aus? «

Die Marder schleichen um dein Haus!

Die Wölfe nah. die Wölfe fern,

Sie heulen unterm Wethnachtsstern!

Die Wintersnacht. wie nie zuvor,

Mit Ketteu llirrt sie vor dem Tor,

Die Raben krächzen heisern Fluch:

Wer hilft uns weben ein Leichentuch?!

Wir schlugen mit Flügeln den Tag und die Naöst, '
Wir schlugen ins Totentuch Deutschlands Machr,

Wir trugen rm Morgerr- und Abendbrand
Wer hrlft uns weben? Wer wirket noch mehr?

Auf schwarzem Eefieder den Hunger ins Land.

Wer spinnt ins Leilach die deutsche Ehr'?

Wer wirkt Verzweiflung in Mark und Gebein'.'

Wer zimmert Alldeutschlands TotenschreinD

Die Raben krächzen, die Eulen schrein —

Am Himmel steht ein Weihnachtsscheinp
Ein süfies Lied geht erdenwärts
Und süllet mrt Balsam sedes Herz.

O deutsche Secle, du Närrin, du Kind,

Wann wirst du verstehen die Welt und den Wind?/
Du nährest wie kejne auf.Erden das Leid
Und rätselst und deutest die Zerchen der Zert.

Du ratest die Quellen, das Vauschen im Tal,

Mertzt alle Alrausren und Schlüssel der Qual,

Und alles, was da unbewntzt.

Verborgen in Tiefen der Menschenbrust.

Kcnnst alle Stimmen der Vöglein im Wald.

Nur — Schwefters und Vruders nrcht so bald!

Ein Kläng aus der Ferne, ein schmeichelnder Wind.
Sie buhlen dein Ohr und dein Auge blind.

Zch weitz nicht, ob du dich selber verstehst,

Und wie du das Rätsel von Deutschland löst.':

Das Schicksalsrätsel von Deutscher Not
Und deines Volkes Opfertod!

O tumber Michel, wann Lräumst ou aus?!

Die Wölfe traben um dein Haus!

Die Wölfe nah, die Wölfe fern,

Sic heulen unterm Weihnachtsstern . . .

Kurt Gerucko

Sommerklage

Nun sammelir Vögel sich schon zu Scharon
Ilnd sitzen auf den Drähten lana aereiht.

Die Tage. die voll Sommerhelle wcrren.

Ctehcn überreif in der Zeit.

Noch lieqcn die Aehrenfelder über der arüiren Weii.e
Wie Tafeln aufaehöht mit dunklem Rand. /

Doch im Dorfc wieqen schon erntebereite

Burschen und Dirnen Sensen und Sicheln in dcr Hand.M

Der Lauwind ist fremder aeworden und auch die GemitWdre hint

den Hüaeln verhallen.

-vcierlich itehen die Waldcr im dunklen Laub
L.eisc Leainnt der Kranz zu verfallen
Aup des Sommers goldnsm Hauvt.

Abschied

' Im Ruhen niattet mir die K-raft.

Ich fühl's: mein Sinn ist Wanderschast.

Mich können eure Mauern nicht mehr halten.

Die heintatlich um eure Tagg stehn.

Mich treibt im Innern.dunkles Sichentfalten
Ins Nebelhafte fortzuaehn.

Wo blafie Sterne meine Ziele halten.

Leb wohl! Wer woifi. wo wir uns wrederfinden
Auf dieser Welt. die ihre Weae weitet?

Wir find die Dlinden.

Dis innen ties dte RLtseWmme leitet.

Wie fich die Seelen lösen. SeOlen bindenr "

Das letzte Halt ist allen aleich l^reitet.

i(im WeihmlchtsalpiLwach des Erete-VerlasZ

Weihnachten / FeNx Timmermanns

Als alles schlief und die sanze Welt in der nächtlichen StMe
lag. als dü: Sterne allein wirkten, hoch und hell über dier bsschnLiten
Erds, sahen arme Hirten Lei einem knisternden Feuer aus einem HL-
gel und weideten ihre Herde.

Die vielen SchQfe lagen ruhig und warm Mamimengewllt
unter dem einscdrückten Strohdach. das nach allen Seiten offcn wae
und durch alle Windlöck>er die Helle der Ncrcht hereinließ.

Ein paar Kühe w-Ten mit dumm^n Augen da und guckten
nach nichts, ctwas weiter Lrüllte ein weitzer Ochse. und eind grrme
Zrese tat. als ob fie schltefe.

Don den Hirte'i, die die Üllache hirtten. wahrend die mrderen
Zwischen den fettigen, wollenen Schafleibern die Rube genofien. sahen
vier neiben dem Feuer bei einein Krug Bier und spielten Sechsund-
sechgig; jeder. der gewann. durfts ein'en Schluck von dem leckeren
Oudenaarder Bier trinken.

An einen Pfosten des Schutzdäches g^lchnt. stand der alte auf-
rechte Bienus. bis über dis Ohren in seinen dreifachen sMkrntol vpn
ZrLgonfellsn gewickelt, uud stvickte. emsig wie -eine Frau. mit Holzna-
deln an einem Wollstrumpf. An kiear Hcuboden. in der Dunkelheit.
sak einer und trällimre <vuf seäner Geige. Sonst war es hermlich still
untcr diiessen einfackcn Menschen. die irach Mist und Erde rochen die
täsaus. tasein /mit ihren Tieren lebten und mit Leib und Sesle
verwachsen waren dsr frisdlichen Stille der Felder und der Unenv-
lichkeit des Himmels.

Das Feiuer, das nöben ihnen knisterte innd vcm einem spindel-
dürren Iunsen (einem Kinde, das sie auf ihren Wanderungen hmter
ernem Holzhaufen gefunden hatten) unterhaltsn wurde. lwts «lne
warme. freundliche Helle über ihre haarigen. ungeschorenen Bavem-
«efichter. warf ckber gespenstiSe Schatten auf den Schnee wenn ihr
Axm in die Höhe ging. um einrn Trumpf ins Spiel zu schkrgen. DLs


irz-ir Schäferhunde genosstir das Feuer nrit und knu-rrlen
-agen. .

..Seht das.Wettürleiuchten!" rief der kleine stumpfnäfige Buck-
uge wrd wies mit einem zu langen Ärm in dic Richtung von D'cth-

lehenr.

Dionus saste ohue aufzusrhcn mit Prophetenrvorten: „Es kann
^ ^?^^er/euchten. der Himmel steht voller Sterne."— „Ich hab
<s doch, mein ich. gvstzhn." wagtc- der Lucklige zögernd Bienus zu
entgegnvn. der ben Lauf der Sterne kannte. und fuhr geduldig fort,
«n Himmel abzusuchen. um noch einmM den wunderbaren Lickt-
ichein 5U entdecken. Die anderen ivendeton rhre Aufmerksamkeit wie-
der auf das Spiel. und flüsternd gmg es von neuem. gleichisam scheu
^otztti Stille der Nacht: „Schippenwenzel, ich pafie. Herzätz/'
Emtonig und doch» volh zarten Eefühls stieg der weiche Klang der
Geiae weiter hinamf in dis DunLÄlheit. bis auf e'iimial dcr sch.varz-
«uisrg« Iunse rief: „Mutter. Mutter. der Himmel fällt ein!"

_ Sie sa^n alle miteinandLr ompvr; dsr Ninz-r Hiimmel kam in

Bewegung. Millionen Sterne fielen Es der Luft und erleuchteten
die Erdc. ais sei heller Tag. ober wie auf Verabrcdur.g hörte es
plotzlich auf; der Erotze Bär. die.Milchstratze, Äer Riese. sis waren
wohl noch auf ihrem Platz. aber ni all seiner erhabenien Elorio stand
da drüben ein ungehencr grotzer Koniet.

»Der Stern mit de.m Schlvoif! D.cr Siern mit deni Schweis!"
Mrde ersiaunt gerufen.^ Ein EMuder fuhr tinrch diese schlichten
Meiychen hindurch,, der >schreck fiel ihnen mifs Herz. djie Karten ent-
»itten ihreii Händcn. und dis wclcke schlr.fcn, fuhren aus dLm
Schlafc und lrefen von Furcht erfüllt zu den andern.

Nur l er da oben sü>^ auf seiner G-N'ge trüumend satz. bliob

daber und lcbtc mit seiner Seele. Aber die andern standen mit zit-
b»e-<deii Knicrn da und üetrachteten das Himmelswmnder. das seine
Hcrrnchkeit über. dem fernen tunllen Bcthlchem, in den Himmel
iccktc.

Dies war das. zweitemal in kurzer Zeit. datz der Stern sich so
den Menschrn zeigte: der Kopf von kreiscndem, strablend'em. regenbo-
gigcni Feuer und der SchwLif fiolz '<rum''richtLt. voll wimmelntjer Fun-
ken und b«Ä zevflictzenÜ nrit zarten Pfauenaugen. in Ler höchsten
Höhe der Luft. Zumi zweiten Malr stand er da wie ein strahlender
Vcrkündcr ron Unglück und Tod. und all diess MenschNi. einfältig
ven Eedankon. sahen einer in des andirrn Aügen die Furcht. Vange,
voller Deniut. schjarten sie sich um Bisnus, der ihr Führer mnb Lera-
ter war. Seine Stimme war ein Cchot; er mar gelehrt. donn er
konnie Bücher lefen und war iexfihren rn allsn Echchmnifi-en der
Schafe und der Bienen. er Sonnte GiftkrLuter WHwören. kairnte den
Lauf dcr Sterne und wutzts aus Wafier-, Sonne- und Mondstand das
Wetter für don folgenden Tag. Lisweilen auch sür eine ganze Iahres-
zeit. zu prophezeien Mrn sagte sogar. datz er den Wind zur UEHc.
zwingen konnte. und viele Zauberer aus der Gegend. die mit dcm
„Schwar^n Ralben" arbeiteten. warsn neidjsck <mf ihn. weil er mehr
konnte als sie und Kraft fchüvfte aus den Wortvn Eottes und der
Ensi:l.

Voll hoher Dhrfurcht fahen die Hirten stets zu ihm auf. und
nun in diesem Angsnblick, als von neuem der Stern mit dem Schweif
ihr Herz mit Schveck erfüllte, evwarteten fie. vertrMiend auf sein Ws-
s«r und sein« Weishsit, Erklärung urib Trost.

Ruhig. mit geschlofienen Lippen, stand er aüfgerichtet da und
bctrachtcte uiivcrjwandt «mit seinen svauen, rotumrändcrten Augen
die näcktliche Erschei>'>'ng. Mcni sabi datz er gewohnt war. über Flä-
chen a-nd Farncii zu schauen. seine Zlugen blickten gesenkt und geradc
nach rorn wie dio der Kam-e-e. Es herrschte eine ftagende Stille zu
Unv hin. und mit seiirer dürp-'n. gelbrn Hand übLr den spärlichcn
Stoppelbart streichend. sagts er bedächtig: „Der Stern erschernt zum
zweitenmal: er kommt. uns etwas zu sagen; alle Sterne mit einsm
Schweif kommen, etroas zu sagen. Ich glLube. datz wir es heute noch
erfahren werden."

Zuerst war es nach diesen Lestimmten Worten still. doch dann
ftagte dcr Bucklig-:. der auch Schase lurücren tonntv. sonst absr keine
Eeheimnifie wutzte' ..W'''d es Krieg geben?"

„Oder kommt die Post?" ftagtir ein kleiner Tficksack. her noch
mit blafien, blauen Kinderaugen.

„Oder Huiigersnot?" lispelte ein kl^iner Dicksack. dlLr noch
Schlaf :ii den Augen hatte und Wolle im Haar.

„Eeht die Welt vidlloicht Witer?" meinte zähneklappernd das Fin-
delkind.

Die Aclteren schwiegen und ließen Bienus das Wort. der nack
langem Nachdenlen entschied: „Er fieht zum zweitenmal im Osten.
«r steht zum zwcitenmal über Bethlehem. Es ist derfolbe Stern. .

' „Und? ftagte der blafie Iünsling.

. Ich glüube. datz in Bethlehem grotzje Dins» geschehen werden."

..Schrccttichc Dinge!" stmnmelte der Bucklige.

„ALer latz d-och Lienus erst mal wftter nachdenksn!" brüllte ein
Riese von einem Kerl dem Männlein zu.

Und während Bienus mit all seiN!rm Scharffinn zu ergründen
suchte.. warum der Stcrn dort stand, redLten dic- anderen a-usgevegt
weiter.

..Jch setze niemals wieLer einen Futz m diefes Teufelsnest,"
sagte dsr kleine Dicksack.

..Wir täten «m Lesten. nach Wcften zu zrchn. zu den DünPn und
zum Meer," scklug oin Schwarzbärtigcr^ vor.

„Da gibts k>

lige.

„Ich bleibe hier nicht." sagt- dcr Blafie
' "Nein. ich aiuch nicht. ick auck nicht." riefen andere.

„Soll ich euch mal was fagen?" meinte ein kleines selLbärtigLs
Mannlein, so alt mie ein Steinbock. „Betblehsm ist eine schlechte
SLadt. »ine Stadt. reif sür die Sündflu.t; es fitzt vall von schlschten

kein Futter für die Schärf-," Lehauptete dsr Duck-

Stein. auf dsm andern, und vcm Iahr zu Iahr wachsen da roeniser
Blatter^au> Len Bäumen; Hexen und .

, . „Seht. der Stern wird heller!" riefen Stimmen.

,.Er gibt so viel Licht wie der Mond'." nickte cin ylattnäsiger
Tropf. d-r bis dahin ncch nichts gefaigt hatte.

..Sehet mal hinter mir den Schatten!" rief der Vucklige.

„Ilnd." fuhr das gelbbärftge Männlern fort. „oatz Bechlehem
eine versluchte Ctadt ist, das steht in alten Büchern geschrieben. Wir
müssen uns auf das Schlimmste gefatzt machen."

„Hört nur. was da heute erst passiert ist," sagt,,' der Riese voll
Entrüstung: „De: Ludwig aus Gent. dec mit seinem Planwagen hier
vcrbeifuhr. hat mit eigenen Augcn ssfchen. wie nrcrn einer Frau,
die jedc.i Augenblick ein Kind kriegen konnte. die Türe wies. Nie-
mand bat fie aufnehmen wollen. und da war ein wlter Mann dabei
Mit cinem Eftl. >Ist das nicht eine Schande? Ist das nicht vichisch?
Ludwig hat nachher noch aus Mitleid darnach sesucht. hat sie aber
im Menschsngcwüh'' nicht niehr geftinden."

„Ä?o möscn die armen Menschen nun sein?" fragte eine weiche
Stimme.

»Ia, wo niögen sie sein?" claichten einiae laut.

„Weitz der Himmel. ob W nicht im Schnee herumftren!" sagto
der blafie Iüngling

. Ach. wenn sie doch hier nur vorbsiLmen. wie wüüie das Kind-
lein es hier warm haben. inmitten unferer Schafe," wünschte fich der
Knabe.

Und wahrend sie dachten und sprachen von jenen Menschen.
die durch Schnee und Dunkelheit nack Hilft suchten. sab Bismis rmmer-
fori ohnc zu bünzeln nach dem lebenden Licht dex Sterne. nnd der
Klang der Geige, sütz wie eins Frauenstimme. entschrocbte iiMMr nvch
in die Nacht.

.Es kräht ein HHnl" rief leiner.

„Hört. überall krähen Hähne!" riefen mrdere.

..Kinder. Kinder' Was wird nicht albes pafiie«n!„ ridf L«r
Ducklrge und fuhr fich mit den Fnrgern burchs Haar. „seht m<rl die
Schafs an. sie sind all: znfirmmen Mtfsesdanden und sucken mit ihren
Köpfen nach Ofiei'!"

'Latzt uns wcssehen." flehte der Jungs. weitz wis der Tod, „ich
bin so bangr?"

Und darauf entstand cine weite Stille. in der diik Geigv kkagte
und dcr Stern hellex auflsuchtete.

Würtzender legte dier Schreck stch um die Herzen lier ftonrmen
Hirte. Lie schon lange fortgelauftn wären. tief lns Land hiniein. höft^
Bienus, der Sternendeuter, da nicht so ruhig und ficher gestandm.

„Ich höre Mufik." flüsterte der Dicksack.

„Das ist der Dlinde," sag-ts der von Nckbur streitkustige Bucklise.

„Nein. der Blinde ist es nicht," widerftrack der Dicke .„der
Llinb«: ist es auch, aber da fit noch jemand anderes. der spielt. hoch
in der Lust."

Alle lauschten nun nach einer feinen Miustk. die wie etn Tau
über die Hügsl träujylte; es waren kurze und lange KlLiWs. hier.
dann dort. dann drüben. wie langsame Regentrofpsn. die jeder einen
stitzen Ton gaben, wenn ste di« Bäurne auf der Ecds berührten.

„Latzt den Blinden schweiv-n". s>agte der Riese.

„Weitz ar noch nicht. datz der CLÄn da ist?" fvagto der Llau-
äu-gige Iunge.

„Wir kann er dcrs wifien," spottste der Buckligc. „er kann ja
nicht 'sehen! Hött. er schveist' . . . Da kommt er von der Leiter!''
Erotze Fützs suchtcn di- Sprosssn. mid d'a ka-m ein lin-kischrr. sroher
Mensch nrit dicken Lippen uftd geschlofienen Lidern; er tmg eino Eerge
unter dem Arm.

„Wer svielt da so schön?" ftagte er.

„Der >sLern mit dsm Schweif ist koiedsr da," sasLe dsr Duck--
lige.

,'Wo?" ftagte der Bttnde.

„Da drüben!" sagte der Bucklige, und in crll seiner Wngst wies
er auf den herrlichen Stcrn.

„Wie kannst du nur dsnr Blinden ctwas zÄgen!" brummte drr
schwarze Riese. „Er sieht über Vethlehem. Iodocus. und leuchtet uns
wie der Mondschein."

„Macht er diese schöne Musi'k?" fragte Äsr Vlinde vcrwuNdert.

Und wieder entstand cine jiurchtbare Stille, wie vor einem sro-
tzen Unwetter; kein Echaf rührte sich. nicht eiwnial das Reisig knache.
Dor Schreck rruxd-en ihre Ecsichter fahl: ein jetier sühlte. datz etwas
Genailtiges im Anzug wor. uiid aller Augen waren auf Vienus ge-
richtct, als wollten sje Hülfe und Beistand von ihm crflehen.

Und mit bcbender Strinme, was noch niemckls vorgekonmren
mar. sprach e-r: »Freunde. etwas Erotzes bcreitet fich vor, ich weitz
nicht. was es ist. cs kann das Ende der Welt bedeuten: aber l
luns nicht bangi: se-in, wir haben cincn festen Elcmben. und alles, was
iiber uns kommen kann. geschieht um eines Besseren willen. Aber
latzt uns nun knieen und beten. denn meine Worte vermogen nichts
uno haben ihre Kraft verloren."

Alle knieten nieder in den Schnee. abcr vor Schreck konnte Lein
einziger beten und zu nichts geworden. fick zusammmenkrünmiend,
fich klein mach'end. ecivarteten fie das Gewaltigste. Biemls indeficn
hatte doch noch dsn Mut. im Schein der vsrlöschenden Flammen aus
einem f'-ttisen Vüchlein vorzulesen. ^ ^ .

„Eott ist unsere Zuversicht und Starke. eine Hifte in den gro-
tzsn Siöten die uns getrofftn haben. Darum fürchten wir uns nicht.
wenngleich' die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer
sänten. wenngleich das Moer wütete und wallte uno oon sein.em Un-
sestüm die Berge einfielen ^ ..

Dennoch soll die Stadt Eottes leui lu,tig bleiben mit rhren
Brünnlein die die heiligcn Wohnungen des Höchsten find ...

Die'Hc'dcn müfien verzagen und die Königrciche fallen: das

Weibern, Säuftrn. ^runern und BQndften. Cs steht kärum noch ein Erdreich nAitz vcrgehen. wenn er sjch HLren lätzt
 
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