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238

Das Buch für Alle.

Heft 10.

doppelt Sühne schuldig," endete er, „erlaubt, Wittwe
Welten, daß ich selbst Euch zu Eurem Sohu geleite!"
Nicht zum Gefängniß Wolfgang Mcltcu's allein
führte der würdige Oberst die Wittwe, aus deren Munde
der junge Manu die Kunde seiner Ehrenrettung, seiner
Befreiung vernahm — eine Stunde später brachte er
Mutter und Sohn auf das Schloß zum Fürsten Eberhard.
Den Füsilier Mcltcn hatte der Souverän zu sich
bcschicden — als Lieutenant Mclteu verließ Wolf-
gang an der überglücklichen Mutter Seite das Audienz-
gemach.
Allgemein äußerte sich die Theilnahmc für ihn;
ehrenvoll empfing das Lffiziercorps den neuen Kame-
raden, am herzlichsten von Allen der Lieutenant von
Hallen, der dem einstigen Untergebenen ein treuer
Frennd wurde und blieb. Wolfgang führte kurz darauf
die holde Pfarrerstochtcr aus seiner Hcimath, Sophie
Adler, für die er einst dem Andreas gegenüber in die
Schranken getreten war, und deren Herz ihm schon lange
im Stillen gehört hatte, heim; die bald darauf folgende
französische Campagne rin den Gatten zwar für einige
Zeit von ihrer Seite, gab ihm indcß auch Gelegenheit,
sich der verliehenen Epanlcttcn würdig zu zeigen und
sich als tüchtigen Offizier zu bewähren. — Mit Er-
duldung derselben Strafe aber, die zuvor über den un-
schuldigen Kameraden das Gericht verhängt hatte, sühnte
Andreas Horn seines Hasses unüberlegte That: „Das
böse Wort!" _

Das serbische F ü r ft enges ch l e ch t.
Von
I>r. Schmidl-Wcihcnfcls.
Nachdruck verboten.)
Im Anfang dieses Jahrhunderts war das heute als
unabhängiges Fürstenthuni dastehende Serbien noch eine
Provinz des türkischen Reichs. In mehr als vierhundert-
jähriger Unterdrückung lebte die eingeborene serbische
Bevölkerung in Frohndicnst unter den mohammedanischen
Gutsherren, die sich in das Land gcthcilt hatten. Wegen
ihres christlichen Glaubens, dem die Serben treu ge-
blieben waren, erkannte ihnen das türkische Staatsgcsetz
keinerlei bürgerliche Gleichberechtigung mit den Bc-
kennern des Islam zu. sondern sie waren die Rajah,
das heißt die Ungläubigen, denen eigentlich nur aus
Gnade. Leben und Freiheit gelassen worden, mit denen
jedoch der Sultan, der im Lande regierende Pascha und
die das Land allein besitzenden mohammedanischen Herren
oder Bcgs nach Gefallen wie über Sklaven verfügen
konnten.
Nach einer Zeit grausamer Unterdrückung und fa-
natischer Verfolgung, welche in den ersten Jahren dieses
Jahrhunderts einmal wieder über die Serben gekommen
war, erhoben sich dieselben in einem gewaltigen Auf-
stand und führten von 1804 bis 1812 einen ebenso
heldenmüthigen wie glücklichen Krieg, sowohl gegen die
eingesessenen Janitscharcn, das waren ihre mohammeda-
nischen Feudalherren, als auch gegen die türkischen
Heere, die der Sultan zu ihrer Unterwerfung ausgcsandt
hatte. Ihr oberster Anführer in diesem „heiligen" Krieg
war Georg Petrowitsch, ein ehemaliger Hirt und dann
als Flüchtling Feldwebel im österreichischen Soldaten-
dienst geworden. Dieser siegreiche Held und Befreier
des Heimathlandes vom türkischen Joch wurde von den
Seinen gefeiert als der „Schwarze Georg" — Kara
Georg auf serbisch — und gefürchtet von den Türken.
Aber im Jahre 1813 wandte sich sein Glück. Seine
Streitschaaren wurden geschlagen, er selbst entfloh nach
den: Oesterreichischen und die Türken überschwemmten
wieder unter Mord und Rachelust das Land. Wer von
den serbischen Männern fliehen konnte, rettete sich; kaum
etliche der Angeseheneren unter'm Bolkc wagten zurück-
zubleiben bei Frau und Kind und der Gefahr für ihr
Leben zu trotzen.
Unter diesen war Milosch, der sich nach seinem Stief-
vater „Obrcnowitsch" nannte; ursprünglich auch, wie
die meisten seiner Landsleute, Hirte, dann im Kriege
unter Kara Georg einer der tapfersten Anführer, dessen
Muth ihn bei Frennd und Feind in Ansehen gesetzt
hatte. In seinem Wohnort Brusnizza im Gebirg von
Rndnik harrte er bei Fran und Kind und der alten
Mutter der Dinge, die da kommen würden, gefaßt darauf,
nut seinen letzten Getreuen hier sein Leben so theuer
als möglich zu verkaufen, wenn die türkischen Gewalt-
haber es bedrohen sollten. Als eines Woiwoden, eines
ruhmvollen Anführers, unwürdig verschmähte er die
Flucht.
Der türkische Pascha wußte einen solchen Stolz ritter-
lich zu ehren. Er rückte niit seinen Truppen vor das
Quartier, in welchem Milosch kampfgewärtig sich auf-
hielt, und bot ihm Frieden und Begnadigung an. Ja,
um diesen im serbischen Volke so angesehenen Mann für
die Sache der Türken zu gewinnen und die Gcmüthcr
der Serben womöglich durch die wohlwollende Behand-
handlung desselben wieder zu versöhnen, versprach er ihm
die Würde eines Oberknescn, eines Bezirksverwalters
von Rndnik, Kragujcwaz und Poschega, beschenkte ihn

mit einem arabischen Roß und mit Pistolen und bot
ihm seine Freundschaft an.
Milosch schlng in das Anerbieten deS Türken ein
und wurde darauf feierlich vor den Großwessir Soliman
in Belgrad geführt, der ihn in der That als kaiser-
lichen Bczirksaintmann bestätigte.
„Seht da," stellte er ihn seinem Hofe vor, „meinen
lieben Baschknesen und Wahlsohn. Jetzt zeigt er sich
Wohl sromin und bescheiden; aber sonst, in Wahrheit,
habe ich manchmal vor ihm Reißaus nehmen müssen.
Zuletzt bei Rawani hat er mir den Arm zerschlagen.
Da, Wahlsohn, hast Tu mich gebissen."
„L Pascha," entgegnete Milosch, „dafür soll dieser
Arm mit Gold bedeckt werden!"
So war der serbische Woiwode denn der erste Kues
geworden, den die Türken aus den Eingcbornen zu dieser
Würde vertrauensvoll erhoben hatten. Im Uebrigen
änderte dies an der barbarischen Türkenwirthschaft in
dem wieder eroberten Lande nichts. Der serbischen
Rajah wurde die alte Sklavenstellung bereitet und die
zurückgekehrten Begs ließen ihre Rache für die erlittene
Vertreibung in allerhand Grausamkeiten an den Be-
siegten aus. Vergebens rieth Milosch zur Besonnenheit
und Milde. Auf beiden Seiten wuchs vielmehr der
alte Haß zu neuer Kampflust ans, und Milosch selbst
wurde voui Hochmuth der türkischen Gewalthaber be-
leidigt und sogar bedroht. Er Ivar in Belgrad, nur
sich für hundcrtundfünfzig gefangen dort cingelieferte
Serben, darunter den Bischof, zu verwenden. Vor
seinen Augen ließ man sic enthaupten und den Bischof
mit sechsunddrcißig Anderen spießen.
„Hast Du gesehen, Knes?" höhnte ihn ein Türke
darnach, indem er ihm den Kopf eines also getödtctcn
Landsmannes hinhielt. „Jetzt kommt auch an Dich die
Reihe."
„Wala," antwortete Milosch, in dessen Brust der
Zorn loderte, „den Kopf, den ich trage, halte ich gar
nicht für mein."
In wildem Ritt eilte er darauf von Belgrad nach
Brusnizza zurück, entschlossen, jetzt Gewalt der Gewalt
cntgcgcnzusctzcn. Er legte wieder seinen flimmernden
Woiwodenschmuck an und trat in dieser Kriegsrüstung
unter die alten Kampfgenossen, die er heimlich nach
Takowo berufen hakte.
Es war am Palmsonntag 1815, an dem seit jeher
heiligen Tag der Serben, den sic nut Liedern und Tanz
zu Ehren der Wiederauferstehung der Natur zu feiern
Pflegen. Diesnial sollte der Tag noch mehr bedeuten.
Von ihm ging der neue Aufstand des serbischen Volkes
aus, die völlige Befreiung vom türkischen Joch, die
Zukunft von Milosch's Geschlecht aus dem fürstlichen
Thron seines Heimathlandes. Denn glücklich kämpfte
Milosch an der Spitze seiner serbischen Schaaren gegen
die türkischen Pascha's und bald zeigte man sich in
Konstantinopel bereit, mit dem rebellischen Baschknesen
ein Abkommen zu treffen, welches vor diesem gefähr-
lichen Feinde zunächst Ruhe verschaffe. Der konunan-
direndc Pascha schloß einen förmlichen Friedensvertrag
mit Milosch, in welchem den Serben das Recht einer-
gewissen Selbstständigkeit unter türkischer Oberhoheit
verbrieft ward. Damit begnügte sich Milosch gern.
Ein verschlagener Geist, wie er war, hoffte er das Er-
rungene durch Klugheit ergiebig für seine eigenen Inter-
essen wie für die des Landes ausnutzcn zu können. Herr
der Serben, ihr anerkannter Fürst zu werden, war
sein Ehrgeiz und Plan.
In der Wirklichkeit, wenn auch nicht nach Gesetz
und Recht, war er es jetzt schon. Er wußte sich bei
den Türken in Gunst zu sehen durch die Pünktlichkeit,
mit welcher er den ausgemachten Tribut zahlte, und
durch reiche Geschenke, die er gelegentlich dem Pascha
in Belgrad, wie den Großen in Konstantinopel machte.
Es blieb denn auch Frieden im Lande und das Volk
erfreute sich ungestört einer nie gekannten vcrhältniß-
mäßigen Unabhängigkeit. Milosch regierte es, ernannte
die Knescn und besoldete sie; die Landesversammlung,
zu welcher sie von Zeit zu Zeit zusammentraten, wurde
deshalb vollständig ein Werkzeug seines Willens. Da-
bei besann er sich niemals, einen Serben, der ihm und
seinem Ehrgeiz gefährlich schien, aus dem Wege räumen
zu lassen. Als er hörte, daß Kara Georg, der vier
Jahre zuvor entflohene Held von ehemals, heimlich
wieder in's Land geschlichen war, ließ er ihn, so be-
hauptet man, von dessen Gastfreund Wnitza meuchlings
erschlagen. Man brachte ihm dann das blutige Haupt
des gefährlich erschienenen Nebenbuhlers und er sandte
cs dcm Pascha, der es seinerseits nach Konstantinopel
schickte, wo es öffentlich als das „des berühmten ser-
bischen Räuberhauptmanns, genannt der Schwarze
Georg", ausgestellt wurde. Milosch zahlte fortan aus
seiner Kasse ein Jährgeld an Georg's Familie, die er-
freulich nicht in's Land hinein ließ, und veranstaltete
auch eine feierliche Beerdigung des Ermordeten, wie er
in öffentlicher Trauer um denselben ebenso dem allge-
meinen Volkssinn Rechnung zu tragen schlau genug
war. Gleich nach diesem geheimnißvoll ausgcführtcn
Mord, wofür die Schuld ihm Niemand bestimmt nach-
weisen konnte, anerkannten ihn die Knescn des Landes

und die Geistlichkeit ans einer feierlichen Versammlung
als ihr Oberhaupt. Zehn Jahre später, 1827, auf dem
Landtag zu Kragujcwaz, dem mehr als tausend Serben
anwohnten, unterzeichneten dieselben eine Bittschrift an
den Sultan, daß Milosch Obrcnowitsch zu ihrem erb-
lichen Fürsten ernannt werde, wie sie zugleich iu einer
Urkunde bekräftigten, „dein Durchlauchtigsten Fürsten
Milosch Obrenowitsch, ihm und seinen Nachkommen
von Geschlecht zu Geschlecht, als ihrem Herrn und
Fürsten unterthänig sein zu wollen." Geduld und Geld
errängen Milosch dann auch den hcißcrsehnteu Sieg
in Konstantinopel und im Jahre 1830 bestätigte ein
Hattischcrif, ein eigenhändiger Brief des Sultans
Mahmud, zum ersten Mal alle Freiheiten, welche sich
die Serben iin Kriege errungen und seitdem fünfzehn
Jahre lang zu behaupten gewußt hatten; er ernannte
Milosch Obrenvwitsch „zur Belohnung seiner Treue
gegen die Hohe Pforte" zuiu Baschknesen, d. h. Fürsten
der serbischen Nation, welche Würde erblich in seiner
Familie erklärt wurde. Es war nun erreicht, wonach
Milosch beharrlich und klug gestrebt; er war erblicher
Fürst des serbischen Staats, dessen Abhängigkeit von
den Türken nur äußerlich bestand und die gänzlich ab-
zustreifen die natürliche Fortsetzung der Politik dieser
neuen Dynastie bilden mußte.
Milosch erlaubte sich nun nicht blos den Lurus
einer glänzenden Hofhaltung, sondern auch den einer
modernen konstitutionellen Staatsversassung. Auf dcr
alten Naturznständlichkeit des Landes und der Volks-
sitten nahm sich dies freilich absonderlich genug aus.
Außerdem zog er sich damit den Unwillen Rußlands
zu und die Feindschaft einer Anzahl serbischer Familien,
welche die Obrenowitsch nin ihr Glück beneideten und das
Land unter eine Bojaren- (Adels-) Wirthschaft gestellt
wissen wollten. Vor der russischen Einsprache mußte
Milosch zunächst 1838 die konstitutionelle Verfassung
bis auf einen kümmerlichen Rest wieder anfhcben, und
die feindlichen Bojaren suchte er damit zu versöhnen,
daß er ihnen hohe Würden und Aemter verlieh. Den-
noch richteten dieselben ihre Angriffe des Weiteren gegen
ihn und bildeten sogar unter russischer Aufmunterung
eine Verschwörung, um der Dynastie der Obrenowitsch
wieder ein Ende zu machen. Im April 1839 bewirkten
sie einen Aufstand ini Lande und der alte Milosch
wurde davon so cingeschüchtert, daß er in die Forde-
rungen der Verschwörer cinwilligte und zu Gunsten
seines Sohnes abdankte.
Er ging aus seinem undankbaren Vaterlandc nach
der Walachei in's Exil und zurück blieb sein ältester
Sohn Milan, freilich schon ein todkranker junger Mann,
der denn auch vierzehn Tage später schon dahinstarb.
Statt seiner Krönung fand nun sein Leichenbegängniß
unter großem Pomp statt.
Der nächstberechtigtc Thronerbe war der zweite
Sohn des alten Verbannten Milosch, Prinz Michael.
In der That kam eine serbische Deputation nach Bu-
karest, wo er sich bei seinem Vater aufhielt, und berief
ihn zur Regierung, trotzdem er erst sechzehn Jahre
zählte. Das war aber der in Serbien obenauf ge-
kommenen russischen Bojarcnpartci gerade recht, da ihre
Häupter den jungen Fürsten unter ihre Vormundschaft
nehmen und die Regierung in seinem Namen führen
wollten.
Im Februar 1840 begab sich Michael Obrcnowitsch
in Begleitung seiner Mutter und zahlreicher serbischer
Großen nach Konstantinopel, wo der Sultan ihn feierlich
in die Fürstenwürde cinsetzte, ihn für großjährig er-
klärte und zum Muschir, zum Marschall des Kaiser-
reichs ernannte.
So jung und unerfahren Fürst Michael auch war,
sah er doch in den ihm aufgedrungenen Rathgebern die
geschworenen Feinde seiner Familie und verstand cs,
sich ihrer baldigst zu entledigen. Damit mehrte er
aber die Erbitterung ihrer Partei und die alten Ver-
schwörer begannen von Neuem ihr Werk, diesmal, um
die Obrenowitch überhaupt vom Throne zu stoßen. Im
August 1842 brach der von ihnen vorbereitete Militär-
aufstand aus und Fürst Michael, der sich von seiner
Umgebung verrathen sah, räumte das Feld ohne Wider-
stand. Gleich seinem Vater entthront, theilte er nun
mit diesem abermals das Exil. Die russische Partei
in Serbien erhob in derselben Sknptschina, der Landes-
versammlung, in welcher die Absetzung der Dynastie
Obrenowitsch ausgesprochen wurde, Alexander Kara-
georgewitsch zmn Fürsten.
Dieser Alexander war der Sohn jenes Schwarzen
Georg, des ersten Befreiers Serbiens, der dann so
schmählichen Tod von Mörderhand gefunden hatte.
Alexander selbst hatte bisher das Gnadenbrod der re-
gierenden Obrenowitsch gegessen und war nach Fürst
Michacl's Thronbesteigung von diesem zum serbischen
Offizier und zu seineni persönlichen Adjutanten gemacht
worden. Auf diese Weise kam er als 34jähriger Mann
wieder in sein Vaterland zurück. Die Feinde der
Obrenowitsch^ drängten sich sogleich an ihn, erinnerten
ihn an die Heldcnthaten und an das Ende seines Va-
ters und erweckten in ihm den schlummernden Erbhaß
gegen die Dynastie, welche in dem Verdacht stand, Kara
 
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